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Impressum

 

Jule Matthies

 

Gechillt

 

 

Roman

 

 

LESEPROBE

 

 

 

 

© 2013 AAVAA Verlag

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

 

Kapitel 1

Endlich! Wieder einmal Sommerferien…

 

„Mama, wo ist mein Bikini?“, schrie ich durch das ganze Haus.

Meine Freundinnen schreckten vom Sofa hoch und guckten mich entgeistert an. Kurz vor den Sommerferien gab es bei uns immer den legendären Packstress. „Der müsste noch unten auf der Wäscheleine hängen!“, schrie Mama aus ihrem Schlafzimmer.

Meine Freundinnen Lisa, Jette und Kaja beschäftigten sich derweil immer noch mit unseren Matheaufgaben, die uns Herr Muster extra für die Ferien mitgegeben hatte.

„Damit ihr auch ja nicht aus der Übung kommt“, hatte er am Montag mit einem breiten Grinsen verkündet.

Er gab uns vier Zettel mit binomischen Formeln, Logarithmus, Polynomdivision und noch vielem mehr. Die Überschrift lautete:

„Mathematische Anwendungen, die man in der neunten Klasse kennen sollte“. „Der hat doch einen riesigen Knall!“ Lisa pfefferte die Zettel in die Ecke. „Welcher Mensch hat bloß diesen ganzen mathematischen Schwachsinn erfunden? Und vor allem, wozu?“, fragte Jette und gab ebenfalls auf, die Formeln zu verstehen.

Ich selbst hatte mehr als die Hälfte von den Aufgaben schon abgearbeitet, denn schließlich wollte ich die nicht auch noch mit in den Urlaub nehmen. Aber momentan hatte ich keine Zeit irgendetwas zu erklären. Deshalb sammelte ich die Zettel zusammen und schaltete den Fernseher an. Somit waren die drei erst einmal versorgt und ich konnte meine Tasche packen. Schließlich wollten wir am nächsten Tag in den Urlaub fahren.

„Hier, bitte schön.“

Meine Oma stand im Türrahmen und reichte mir meinen frisch gewaschenen Bikini.

„Danke Oma, wenigstens eine auf die man sich hier verlassen kann.“

„Ich verstehe euch nicht, ihr könnt doch ein paar Tage früher anfangen zu packen.“ Oma runzelte die Stirn, als sie das Chaos in meinem Zimmer sah. „Ach, das verstehst du nicht“, antwortete ich.

Dabei hatte sie verdammt noch mal Recht! Es war wirklich jedes Jahr das Gleiche. Stress ohne absehbares Ende! Jedes Jahr fuhren wir in den Sommerferien mit unserem Segelboot vier Wochen weg, das konnte ja immer nur Stress bedeuten. Schließlich musste man für alle Wetterlagen gewappnet sein, die „Delta Papa 07" voraussagte. Somit wurden Klamotten vom Bikini bis zum Gummistiefel eingepackt.

Gegen Abend hatte ich es dann tatsächlich geschafft, die Tasche mit Gewalt zu zubekommen.

„Ciao Sophie, wegen Mathe müssen wir dann noch mal gucken. Ansonsten fragen wir einfach Justin, ob er das für uns macht“, verabschiedeten meine Freundinnen sich, um den Heimweg anzutreten.

Hinterlassen hatten sie allerdings ein noch größeres Chaos, als das was vorhin beim Packen in meinem Zimmer herrschte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als die Krümel vom Bett zu saugen und die Colaflecken vom Boden zu wischen. Zum Glück hatte ich PVC verlegen lassen und keinen Teppich! Ich überlegte noch ein letztes Mal, ob ich auch wirklich alles eingepackt hatte und um halb drei lag ich dann auch endlich im Bett. Ich musste dringend Kraft tanken, um den morgigen Tag zu überstehen. Schon um Viertel nach acht kam Papa in mein Zimmer gerast, riss mir die Decke weg und den Rollladen hoch, öffnete das Fenster und sagte, mit nicht sehr leiser Stimme, dass ich nun aufstehen sollte. Mittlerweile beeindruckte mich sein Aufwachritual nicht mehr. Ich griff nach der nächstbesten Decke und drehte mich auf die andere Seite, um noch ein paar Minuten zu dösen. Doch Papa gab so schnell nicht auf. Nach der dritten Mahnung stand ich dann doch widerwillig auf und schleppte mich ins Bad.

Nach dem Frühstück packten wir die Taschen und Kühlschranksachen ins Auto. Meine kleine Schwester und ich verabschiedeten uns von unseren Kaninchen, auf die Oma und Opa nun aufpassen mussten. Opa brachte uns die zwei Kilometer bis zum Hafen, wo unser Boot lag. Papa war schon mit seinem Fahrrad losgefahren und baute die Plane ab. Als Opa am Seitenstreifen parkte, damit wir die Taschen aus dem Kofferraum räumen konnten, kam mir sofort meine beste Freundin Lena mit zwei vollen Reisetaschen entgegen. Ich überlegte kurz, wofür man so viele Klamotten brauchte, wenn man doch nur eine Woche durch die Gegend tuckerte. Mit Sack und Pack ging es dann die Brücke zum Steg hinunter. Papa schrubbte inzwischen auf der „Meteor“ das Deck.

Wir hatten das Boot 2005 in den Niederlanden gekauft und seitdem fuhren wir die Elbe auf und ab. Wenn wir mal etwas mehr Zeit hatten, sprich zum Beispiel in den Sommerferien, fuhren wir auch auf der Nord- oder Ostsee. Bisher hatten wir zwar mit der Ostsee bessere Erfahrungen gemacht, aber in diesem Urlaub wollte Papa unbedingt auch mal auf der Nordsee fahren. Wir verstauten unser Gepäck und legten ab. Dieses Jahr wollten wir nach Cuxhaven segeln, wo Lenas Eltern sie wieder abholen wollten. Danach wollten wir weiter bis Sylt um noch ein paar Wochen in der Sonne zu brutzeln. Das Leben konnte so schön sein! Das Thermometer zeigte vierunddreißig Grad Celsius an, die Sonne schien und wir hatten sechs Wochen Ferien, zu genial! Während Lena mir half, die Taue aufzuschießen und die Fender reinzuholen, kochte Mama unten in der Kombüse Ravioli. Meine Leib- und Magenspeise! Derweil steuerte Papa immer weiter Richtung Westen. Nachdem wir drei Dosen Ravioli gegessen hatten, waren alle satt und zufrieden. Etwa eine halbe Stunde später hatten wir dann auch schon die Hafeneinfahrt von Wedel vor der Nase. Nun ging alles von vorne los, nur umgekehrt. Leinen klar machen, Fender raushängen und einen geeigneten Liegeplatz finden, was jedes Mal eine neue Herausforderung war.

„Ey Ilo, ist da eine Box frei?“, rief Papa nach vorne.

„Ne du, da ist rot!“, kam es von Mama zurück.

„Okay, dann nehmen wir doch die Box dahinten.“

Als wir dann endlich in der viel zu kleinen Box fest gemacht hatten, war es schon Kaffeezeit. Der Hafen war ziemlich voll, somit war der Andrang beim Hafenmeister groß. Wir beschlossen, noch in die „Badebucht“ zu gehen und packten unsere Sachen zusammen. Papa wollte an Bord bleiben, um noch ein bisschen „Klarschiff“ zu machen und außerdem hatte er Rückenschmerzen. Auf dem Weg zum Schwimmbad hatten Lena und ich so viel Langeweile, dass wir anfingen, die Schafe auf dem Deich zu zählen.

„Boah ey, das Schaf hat ja einen roten Punkt auf dem Rücken“, schrie meine kleine Schwester.

Franzi war zehn Jahre alt und eigentlich ganz in Ordnung. Nur ab und zu konnte sie etwas nerven, wie momentan. Lena versuchte ihr zu erklären, dass das Markierungen waren, damit der Bauer seine Schafe wieder erkennen konnte. Doch an Franzis Gesichtsausdruck merkte ich schon, dass sie das nicht kapierte oder es einfach nicht kapieren wollte. Wie dem auch gewesen sei, kam plötzlich ein Schrei von Mama:

„Diese doofen Mistviecher! Wieso müssen die überall hinkacken?“

Ganz ehrlich, um das herauszufinden, musste sie uns doch nicht fragen, sondern die Schafe. Denn schließlich war das ja nicht ich, die da auf den Weg machte. Als wir endlich im Schwimmbad ankamen, war es schon brechend voll. Im Schwimmbecken waren lauter Rentner, kleine Kinder mit Schwimmflügel und im Whirlpool saßen zwei verliebte Pärchen.

Nachdem ich meinen frisch gewaschenen Bikini angezogen hatte und Lena mir ihr neues Oberteil zeigte, wagten wir es, uns langsam in die Menge zu stürzen. Ganz hinten in der letzten Ecke hatte Lena noch eine Liege für uns gesichtet, neben der zwei aufgestylte Mädchen saßen. Ungefähr fünfzehn Jahre schätzte ich die beiden schon. Oh mein Gott, sahen die schlimm aus! Lena und ich konnten uns das Lachen kaum verkneifen. Doch weil wir so nette Menschen waren, gingen wir auf die beiden zu und fragten ganz freundlich, ob die Liege neben ihnen noch frei sein würde. Da sie das war, pfefferten wir unsere Sachen einfach darauf und liefen zum Becken.

„Hey, da sind ja auch Franzi und Mama“, sagte ich leise zu Lena.

„Lass uns Franzi mal ein bisschen ärgern.“

Nachdem wir Franzi ein paar Mal untergluckerten, spürte ich plötzlich ein Ziehen an meinem Bikinioberteil.

„Ey Lena, kannst du das nächste Mal nicht ein bisschen besser aufpassen?“, fauchte ich sie an.

„Das war ich doch gar nicht.“

Neben mir tauchte plötzlich ein Junge auf, der mir irgendwie bekannt vorkam. „Hi Sophie, was machst du denn hier?“, fragte er verwirrt.

Ich glaubte es nicht, vor mir stand Chris! Der Chris, mit dem ich bis jetzt jedes Jahr aufs Neue nach Amrum gefahren bin! Der Chris, der in Hausbruch bei uns quasi kurz um die Ecke wohnte und ein guter Kumpel von mir war! Der Chris, dessen Spezialität es war, die Bikinioberteile von Mädchen zu öffnen!

„Ähm, ich… äh… schwimmen. Aber was machst du hier?“, fragte ich ihn, nachdem ich mich von dem Schock wieder erholt hatte.

„Womöglich das Gleiche wie du. Ich bin mit Vanessa und Teresa hier. Die beiden haben mich sozusagen gezwungen, mit hierher zu kommen.“

„Du meinst doch nicht etwa die beiden Tussis da hinten?“, gab Lena ihren Senf dazu.

„Ah, ihr kennt die beiden also schon…“

„Du Armer! Wie kannst du das mit diesen komischen Menschen bloß aushalten? Hast du nicht Bock ein bisschen mit uns zu chillen?“, fragte ich ihn, weil er wirklich zu bemitleiden war.

„Echt, du hast was Besseres verdient, als die beiden dahinten!“, rief Lena so laut, dass sich alle zu uns umdrehten.

„Meint ihr? Dann hole ich schnell unsere Handtücher und wir setzen uns wo anders hin. Mit Vanessa und Teresa ist das echt nicht zum Aushalten.“

„Ne brauchst du nicht, ich mach das schon, dann fällt das nicht so auf“, entschied Lena.

Fünf Minuten später kam sie mit unseren Handtüchern wieder.

„Meine Fresse, das sind ja richtige Zicken! Ich wollte doch nur Chris’ Handtuch mitnehmen. Doch die beiden haben gleich angefangen mich auszufragen, was ich damit will, woher ich Chris kenne und so weiter!“

Kaum hatte Lena uns von den beiden berichtet, liefen hinter uns zwei Gestalten lang, die auf 180 waren.

„Was hast du denn mit denen gemacht?“, fragte Chris mit einem breiten Lächeln.

„Och, ich hab denen nur meine Meinung gesagt“, gestand Lena.

Wir schwammen schnell in eine verlassene Ecke und fingen laut an zu lachen. „So etwas Dummes hab ich wirklich noch nie gesehen! Seit wann geht man denn mit Schminke und allem Drum und Dran ins Schwimmbad?“, prustete Lena los.

„Na ja, die beiden wollen mich echt unbedingt haben! Aber danke, dass ihr mich vor diesen Monstern gerettet habt.“

Wir lachten noch eine Weile, und als uns der Bauch vor Lachen wehtat, ließen wir uns erschöpft auf unsere gerade frei gewordenen Liegen fallen.

„Man hab ich ein Hunger!“, kam es plötzlich von Chris.

„Hast du das nicht immer? Na ja, so ganz wenig Hunger hab ich aber auch nicht, komm lass uns doch etwas essen gehen“, schlug ich vor.

Das ließ sich keiner zweimal sagen und schon saßen wir, jeder mit einer großen Portion Pommes, oben im Restaurant. Vanessa und Teresa waren mittlerweile schon abgerauscht, die waren nicht mehr so happy. Wir redeten noch ein bisschen von früher, bis Chris meinte, er müsste jetzt dringend nach Hause, weil er nachher noch zum Fußball müsste. Wir beschlossen, dass wir uns irgendwann mal wieder treffen müssten.

Nachdem Chris gegangen war, war uns eine Zeit lang ziemlich langweilig. Wir setzten uns auf unsere Liege und hörten ein wenig Musik. Als ich schon halb eingepennt da lag, spürte ich plötzlich einen kurzen Schmerz an meinem Arm.

„Hey Sophie! Guck dir den mal an! Zum Weglachen!“, schrie Lena mich an.

Ich musste erst mal wieder zu mir kommen, um das alles zu realisieren. Gerade eben war eine Clique lauter Jungs mit lautem Geschrei ins Wasser gesprungen. „Hast du die Badehose von dem Typen gesehen?“, fragte Lena aufgeregt.

„Ne hab ich nicht. Was war denn damit?“

Ich war verwirrt.

„Der hatte irgendwie solche komischen Figuren darauf. Komm das sehen wir uns mal genauer an.“

Schon zog mich meine Freundin mit ins Wasser. Nachdem wir dem Typen zwanzig Minuten hinterher gelaufen waren, um des Rätsels Lösung zu finden, konnten wir uns vor Lachen kaum noch halten.

„Das waren doch nicht etwa…?“

„Doch waren es!“

Es waren goldene Spermien, auf schwarzen Stoff. Ich glaubte, mein Schwein pfiff! Manche Menschen litten echt unter Geschmacksverirrung! Und dieser Junge war der eindeutige Beweis dafür. Um uns ein wenig abzureagieren, checkten wir, was in der Rutsche so abging. Doch dort trafen wir ausgerechnet die Clique von vorhin wieder. Lena und ich konnten uns ein Schmunzeln nicht verkneifen, als der Typ mit seiner Badehose vor uns stand. Zu allem Überfluss zog er, kurz bevor er losrutschte, seine Badehose komplett runter, sodass sein Hintern uns direkt in das Gesicht ragte. Um mal etwas klarzustellen: Es gab drei Kategorien von Ärschen:

1. totales Flachland

2. gut bestückt

3. ein bisschen zu viel

Er fiel eindeutig in Kategorie 3!!! Dieser Tag war echt verrückt. Wie konnten manche Leute nur so hohl sein!


 

 

Kapitel 2

 

Auf dem Rückweg zog ein heftiges Gewitter auf, wir schafften es aber noch rechtzeitig an Bord zu sein, bevor der Regen einem Weltuntergang glich. Zum Glück hatte Lena eine ganze Kiste DVDs mitgenommen! Ich suchte die Salzstangen und Chips und dann machten wir es uns in unserer Koje richtig gemütlich. Manche Menschen fragten mich ernsthaft, wie es sich denn in den Hängematten schlafen ließ. Diese Frage konnte ich ihnen leider nicht beantworten, wir schliefen schließlich in halbwegs normalen Betten. Die darauf folgenden fassungslosen Blicke waren zum Totlachen. Hightech-Geräte standen bei uns auf der Tagesordnung. Von der Kaffeemaschine über einen integrierten Fernseher bis hin zum Computer mit elektronischer Seekarte. Kurse abstecken und abends bei Kerzenschein „Kniffel“ spielen, gehörte der Vergangenheit an. Mit so einem gut ausgestatteten Segelboot ließ es sich aushalten.

Am nächsten Tag fuhren wir weiter nach Stade. Auf der Fahrt dorthin musste Lena mir plötzlich etwas Wichtiges erzählen:

„Du… letztes Wochenende… als du bei deiner Tante warst... in Lüneburg…“

„Ja, was war da?“, fragte ich neugierig.

„Na ja… du weißt doch, dieser Niklas… von dem ich dir erzählt habe.“

„Du meinst den, in den du schon so lange verliebt bist?“, fragte ich, um sicher zu sein, dass wir von dem gleichem Jungen sprachen.

„Ja, also… am Wochenende… da…“

„Mensch Lena! Jetzt sag’s doch endlich. Oder brauchst du erstmal eine Abkühlung?“, langsam wurde ich ungeduldig.

„Also gut. Wir… wir sind… wir sind zusammen!“

„Waaaaaaas? Das erzählst du mir erst jetzt?“, ich konnte es gar nicht fassen! Meine Freundin verheimlichte mir fast eine ganze Woche ihren Freund! Doch dann fing Lena an, die ganze Geschichte zu erzählen. Wie sie mit ihrem Bruder Hannes Einkaufen war, wo dann Niklas auf sie zu kam und sie fragte, ob er sie auf ein Eis einladen dürfte.

„Und als wir dann am Samstag in der Eisdiele mit einem großen Schoko-Becher saßen, konnte Nicki es nicht mehr aushalten und küsste mich einfach. Das war ja soooo romantisch Sophie, das kannst du dir gar nicht vorstellen!“, setzte sie das Erlebnis fort.

„Ne, woher soll ich das auch wissen! Schließlich hatte ich ja noch nie einen Freund“, seufzte ich etwas traurig.

Natürlich gönnte ich Lena so einen tollen „Traummann“, wie sie ihn immer nannte, aber ich wusste auch, dass sie nun mehr Zeit mit ihm verbringen würde. „Na ja, aber leider ärgern mich jetzt Max und Robin damit, weil sie genau in dem Augenblick da vorbei fuhren. Aber was soll’s, wahre Liebe zeigt man ja auch öffentlich. Ach, Sophie ich vermisse ihn so! Und in einer Woche fährt er mit seinen Kumpels, Kai und Michi nach Mallorca. Eine Woche! Das halte ich nie durch!“, fing sie an zu jammern.

„Nun mal langsam, erst mal hast du ja noch mich und du kannst mich auch jederzeit anrufen oder mir eine SMS schreiben. Außerdem ist eine Woche doch gar nicht so lange“, versuchte ich sie zu beruhigen.

Max und Robin waren übrigens in unserer Klasse, bald die 9b und waren gute Freunde von Lena und mir. Und Kai und Michi, das waren Niklas beste Freunde, ohne die er fast nichts unternahm.

„Sophie du doofe Kuh, wo hast du meinen Nintendo gelassen?“, schrie Franzi mich an.

„Wieso denn immer ich? Ich hatte den noch gar nicht in der Hand!“

Was die sich immer einbildete! So nach dem Motto:

„ICH-BIN-IMMER-UNSCHULDIG-SOPHIE-WAR-DAS-ICH-WEIß-GAR-NICHT-WIE-DAS-KOMMT!!!“

So ging das noch einen Augenblick weiter, bis Franzi begriff, dass ich ihren Nintendo wirklich nicht hatte, wieder unter Deck ging und uns in Ruhe ließ. Nach einiger Zeit tuckerten wir endlich in die Schwinge, einem Nebenfluss der nach Stade führt und warteten darauf, dass der Brückenwärter für uns die Brücke aufmachte. Denn leider hatte noch keiner einen zusammenklappbaren Mast erfunden. So müsste man nicht vor jeder Brücke anhalten und warten, bis sie aufgeklappt wurden, sondern konnte ganz gemütlich weiterfahren. Na ja, vielleicht würde ich so etwas irgendwann mal selbst erfinden.

„Hier drüben könnt ihr anlegen, da ist bis übermorgen frei!“, rief uns der Hafenmeister von Stade schon vom Weitem zu.

Also machten wir alles klar, um mit Backbord vor einer kleinen Jolle anzulegen. Doch als ich mit der Vorderleine auf unserem Deck stand, um im richtigen Augenblick an Land zu springen, sah ich auf der Jolle einen süßen Jungen oben ohne liegen. So etwas nannte man wohl „Liebe auf den ersten Blick“. Blonde Surferfrisur und blau-weiß karierte Badeshorts! Ich dachte, ich bekam gleich einen Herzkasper! Wahrscheinlich war ich gerade geistlich ziemlich abwesend, denn Papa schrie mich an, dass ich doch endlich mal an Land springen sollte, um die Leine festzumachen. In Gedanken versunken reagierte ich irgendwann und schaffte es irgendwie an Land zu kommen und fest zu machen.

„Na, dich hat es ja voll erwischt! Aber der sieht echt cool aus. Also natürlich nicht so süß und schön wie Nicki, aber immerhin“, wurden meine Gedanken durch Lenas Stimme unterbrochen.

Sie hatte wirklich Recht, bis auf das mit Nicki, das überhörte ich. Der Typ war super cool! Doch als ich seinen Anblick noch einmal genießen wollte, war er plötzlich nirgends mehr zu sehen.

„Schade“, dachte ich und war etwas traurig.

„Man, hab ich einen Hunger!“, sagte Lena zu Papa.

„Ihr könnt ja was vom Dönermann holen und euch dann oben auf die Bank setzen.“

Also manchmal waren die Ideen von Papa doch nicht so schlecht.

Wir holten uns jeder einen Minidöner und gingen langsam wieder zurück. Ein Blick auf die Jolle, die übrigens „Gib ihm“ hieß, verriet mir, dass er immer noch nicht wieder da war. Ich wollte wirklich zu gerne wissen, wo er gerade war, was er dort machte, ob er eine Freundin hatte und so weiter. Bevor wir unseren Döner auspackten, informierte ich Lena über das Kleckerverbot.

„Denk dran, nicht kleckern! Sonst wird Justus so fett.“

„Ja ja, weiß ich doch! Aber was ist eigentlich mit dir los? Du bist so ruhig, seit wir hier sind. Immer noch der Junge von vorhin?“, fragte sie vorsichtig.

Tja, irgendwie fiel es immer auf, wenn etwas bei mir nicht in Ordnung war.

„Ich glaube, ich habe mich auf den ersten Blick total in ihn verliebt!“, gab ich zu.

„Aber das ist doch cool, dann haben wir ja beide einen Freund.“

„Hahaha sehr lustig! Als wenn der mich haben will!“, spottete ich.

„Aber diesmal werde ich nicht locker lassen“, versprach ich mir insgeheim. Plötzlich schleckte mir eine raue Zunge über das linke Bein.

„Hallo Justus du kleiner Racker! Lass das! Gibt nix zu futtern", redete ich auf ihn ein, während ich über sein graues Fell streichelte.

Doch zurück kam nur ein jaulendes „Wau“. Justus war der Hund vom Hafenmeister. Er war schon ziemlich alt und trug immer eine orangefarbene Schwimmweste. Wir aßen unseren Döner auf und entschlossen uns, eine Runde mit unserem Schlauchboot zu fahren. Nach dem fünfzehnten Versuch sprang dann auch der Außenborder an. Wir drehten ein paar Runden, fuhren noch mal zur Brücke und wieder zurück. Als wir wieder in den Hafen kamen, war auch der Typ wieder da. Um ihn zu imponieren, zeigten wir ihm noch ein paar Runden, wie schön wir doch Schlauchboot fahren konnten. Plötzlich rief der Typ irgendetwas zu uns rüber. Ich verstand nur:

„Legt mal kurz hier an!“

Meinte der das jetzt ernst? Lena nahm sofort, ohne nachzudenken, Kurs auf den Steg zu.

Er hatte schon wieder dieses süße Grinsen im Gesicht, und als er dann „Hast du Bock, dass wir beide mal eine Runde alleine drehen“, sagte, war ich hin und weg!

Der meinte wirklich mich! Nicht Lena, sondern mich! Obwohl ich gerade heute rum lief, als hätte ich drei Tage nicht geduscht und nur in bequemen Sachen - nix mit sexy angezogen! Und trotzdem meinte der mich!

„Ja klar, können wir gerne machen. Ähm macht es dir was aus, wenn Lena mitkommt?“, hakte ich nach.

„Ne ne, ist schon gut, ich geh ein bisschen in der Stadt shoppen. Du kannst ja irgendwann nachkommen“, sagte Lena großzügig.

Dafür liebte ich sie! Unter anderem…

Seit zwei Schweigeminuten fuhren wir jetzt schon durch die Gegend, als der Typ mich fragte, wie ich denn hieße und wie alt ich wäre.

„Sophie und bin 14 Jahre alt“, sagte ich zu ihm.

Er sah mich an und lächelte.

„Der Name passt gut zu dir“, kam es von ihm.

Es stellte sich heraus, dass er aus Glückstadt kam, Marcus hieß und 17 Jahre alt war. Er war mit seinen Kumpels am Wochenende alleine unterwegs.

Wir redeten noch eine Weile weiter und er freute sich, dass wir viele Interessen teilten.

„Hast du noch Lust mit ins Kino zu kommen? Es gibt so einen coolen Film. Der erscheint hier, glaub ich, schon zum zweiten Mal. „Sommer“ oder so heißt der.“ Man, der kannte sich aber gut aus! „Sommer“ war mein absoluter Lieblingsfilm! Aber er wusste ja nicht, dass ich diesen Film schon in und auswendig kannte. „Na klar! Das ist mein absoluter Lieblingsfilm! Wann wollen wir denn ins Kino?“

„Wie wäre es mit jetzt?“

„Ähm…ja… doch, können wir machen. Ich muss nur schnell mein Portemonnaie holen.“

„Brauchst du nicht. Schließlich war das eben eine Einladung von mir.“

Keine zehn Minuten später hatten wir das Schlauchboot wieder festgemacht und waren auf dem Weg ins Kino, welches glücklicherweise direkt am Hafen lag. Marcus kaufte Karten für uns und wir hatten noch eine halbe Stunde Zeit, bis wir in den Kinosaal konnten.

„Kann ich mir vielleicht mal euer schönes Boot angucken?“, fragte Marcus.

„Na klar.“

Schließlich war ich wirklich stolz, dass wir so ein großes Boot hatten. Papa zeigte ihm den Maschinenraum und unsere Kojen sowie andere spannende Dinge, die Jungs interessieren. Nach der kleinen Bootsführung war Marcus sprachlos.

„Das… das ist ja… riesig!“

„Ja natürlich“, sagte ich. „Da soll ja später so einer wie du mitkommen.“

„Wie soll ich das denn jetzt verstehen?“, fragte er irritiert.

„Ach, egal. Musst du nicht verstehen“, sagte ich schnell.

Als wir im Kino saßen, ging auch schon das Licht aus. Natürlich hatte Marcus Plätze in der letzten Reihe bestellt. Während der Werbung war mir noch ein bisschen mulmig zumute. So ganz alleine mit einem fast fremden Jungen im Kino. Aber spätestens als ich ihn von der Seite musterte fühlte ich mich wieder großartig. Mitten im Film legte er seinen Arm um mich und zog mich an sich. Ich schmiegte mich an ihn und wir kuschelten die ganze Zeit. Zum Glück kannte ich den Film ja schon. Denn ich hatte nichts davon mitbekommen. Doch leider küsste mich Marcus nicht. Na ja, es war trotzdem wunderschön, und als das Licht anging, brauchte ich erst einmal fünf Minuten, um zu kapieren, dass der Film zu Ende war und dass wir nun wieder zurück zum Hafen mussten. Doch auch Marcus war noch total in Gedanken versunken und grinste vor sich hin. Er sah echt so süß aus! Selbst die Popcorntüte war noch voll, weil wir schließlich etwas Besseres zu tun hatten.

Es war schon halb sieben, als mir einfiel, dass Lena noch auf mich wartete.

„Oh shit!“, rief ich plötzlich laut.

„Was ist denn jetzt los?“, fragte Marcus mich.

„Ich hab Lena total vergessen!“

„Ist doch egal. Hauptsache wir sind zusammen.“

„Ja, du hast Recht, ich kann auch später noch mit ihr reden“, gab ich dann mit einem schlechten Gewissen nach.

„Komm lass uns auf mein Boot gehen“, sagte Marcus.

Er griff nach meiner Hand und zog mich wieder an sich. Dann gingen wir eng umschlungen zu seinem Boot. Wir saßen noch bis Mitternacht auf dem Steg und machten Party mit seinen Kumpels. Doch irgendwann packte mich mein schlechtes Gewissen wieder und ich sagte, dass ich jetzt mal ins Bett gehen müsste.

„Gibt’s du mir deine Handynummer?“; fragte Marcus mich.

Ich gab ihm die natürlich.

„Danke“, sagte er und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

Auch er speicherte noch schnell seine Nummer in mein Handy und dann verabschiedete ich mich. Ich war echt voll verknallt! Doch als ich auf unserem Segelboot ankam, sah ich Lena, wie sie schon schlief. Eigentlich wollte ich ja jetzt noch mit ihr reden. Eigentlich! Ich überlegte, wo ich schlafen könnte und beschloss im Vorraum auf der Bank zu schlafen. Man konnte es sich dort richtig gemütlich machen. Man klappte einfach die Rückenlehne hoch und schon hatte man mehr Platz zum Schlafen. Die Nacht wurde ziemlich unruhig, in Päckchen zu liegen war schließlich nicht jedermann Sache. Dauernd trampelten irgendwelche Menschen von den Nachbarbooten über unser Deck. Dementsprechend schlecht hatte ich auch geschlafen.


 

 

 

 

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Impressum

Texte: Jule Matthies
Bildmaterialien: AAVAA Verlag
Tag der Veröffentlichung: 27.03.2013

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