Wolfram Christ
Die Bombe
kriminell erotisch
& gnadenlos romantisch
Erzählungen
LESEPROBE
© 2013 AAVAA Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
oder
Die Unternehmungen des Professor Cunningham
LA. Landeanflug. Ein Gong. Das Symbol zum Anschnallen leuchtete auf. Interessiert blinzelte Mc Allister nach draußen. Die Abendsonne blendete. Silbrig glitzernd grüßten vom Horizont die Wellen des Ozeans herüber. Des großen, stillen, pazifischen Meeres.
Davor das andere Meer. Der schier unendlich sich nach Nord und Süd dehnende Ozean flacher grauer Dächer. Fabrikanlagen, Lagerhallen, Supermärkte. Dazwischen Parkplätze, Parkplätze, Parkplätze. Dann wieder rechtwinklige, palmenbestandene Alleen. Gesäumt von Parzellen unterschiedlicher Größe. Häuser, Villen, Schulen, Baseballstadien. Und mitten drin wie von mutwilliger Kinderhand in das Wirrwarr hinein gestapelt, die unvermeidlichen Wolkenkratzer. Kathedralen vermeintlichen Fortschritts aus Glas und Beton, die keiner größeren Stadt in den Staaten fehlen durften.
Mc Allister lehnte sich grinsend in seinem gemütlichen First Class Sessel zurück. Da hatten sie wohl etwas zu kompensieren, diese Amis. Fette Pickups, hohe Häuser, gigantische Autobahnkreuze … alles irgendwie überproportioniert, fand er.
Die Boing neigte sich zur Seite. Statt der Weiten des Pazifik rückten schneebedeckte Gipfel in sein Gesichtsfeld. Eis und Palmen. So nah beieinander. Die Maschine setzte zur Landung an. Endlich.
Dr. Brian Mc Allister betrachtete es als ausgesprochenen Glücksfall, zu diesem Kongress nach Kalifornien eingeladen worden zu sein. Er war sich natürlich bewusst, daheim in Edinburgh als Kapazität in Fragen der Kiefernchirurgie zu gelten. Allein, dass sein Ruf sogar bis ins ferne Santa Barbara gedrungen war, erstaunte ihn schon ein wenig … und schmeichelte ihm natürlich ungemein. Ein früherer Landsmann, der nach eigener Aussage seit Jahren in Kalifornien lebte, hatte die Sache eingefädelt. Ein gewisser Charles Mc Fadden. Genannt Charly. Seines Zeichens Veranstaltungsmanager und Koordinator der bevorstehenden Fachtagung. Angeblich kannte der Mann ihn von verschiedenen Kongressen und diversen Publikationen. Er hatte über Facebook Kontakt zu ihm aufgenommen.
Mc Allister konnte sich zwar nicht erinnern, je von einem Charly Mc Fadden gehört zu haben, aber was tat das schon zur Sache? Die Gelegenheit, vor der versammelten Meute Hollywood gestählter Dentisten und Schönheitsfarmer über schottische Methoden der Zahnheilkunde und Kiefernorthopädie referieren zu dürfen, eröffnete völlig neue Perspektiven.
Vielleicht sollte er sie nutzen, sich ganz und gar hier im Westen anzusiedeln, um künftig die makellosen Gebisse von Catherine Zeta Jones oder Angelina Jolie in Pflege zu nehmen?
Beim Gedanken an die Traumfrauen, die er bislang nur von der Leinwand kannte, schloss der Arzt seine Augen. Es war wie im Film. Er sah verführerisch aufgespritzte Botox-Lippen, blitzend weiß gebleichte Zähne, perfekt in Reih und Glied gerichtet, auf seinem Behandlungssessel, unter seinen einfühlsamen Händen. Und er sah seine Hände, die dazugehörige Rechnungen in astronomischer Höhe ausfertigten.
Ein heftiges Rütteln und Schütteln holte den schottischen Dentalakrobaten auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie waren gelandet.
Draußen, vor der Halle mit dem Gepäckband, reihten sich Taxen und Busse. Trauben schwitzender Menschen schoben sich hinein und heraus. Trotz des Gewusels schienen die meisten Leute irgendwie entspannter als daheim in Schottland. Eben Kalifornien.
Suchend sah sich Dr. Mc Allister um. Er zerrte die zerknitterte Mail aus seiner Jackentasche, um sich zu vergewissern. Die Ankunftszeit und das Terminal stimmten. Folglich müsste in Kürze ziemlich genau an dieser Stelle jemand aufkreuzen, um ihn einzusammeln.
„Professor Cunningham, Señor?“
„Bitte?“ Erschrocken drehte sich Mc Allister um. Der Mann, der ihn angesprochen hatte, war einen Kopf kleiner. Dunkler Typ. Mexikaner vermutlich.
„Äh nein, nein. Sie verwechseln mich.“
„Sí. Sie Professor Cunningham, Señor. Sie nach Santa Barbara.“
Die Hartnäckigkeit des Mexikaners amüsierte den Schotten.
„Sie irren sich. Santa Barbara ja, Professor Cunningham nein. Mein Name ist Mc Allister. Dr. Mc Allister. Guten Abend, mein Herr.“ Er wandte sich ab. Doch der andere gab nicht auf.
„Wenn sie Mc Allister, Señor, dann sie Professor Cunningham!“ sagte er bestimmt und griff, noch ehe Mc Allister protestieren konnte, nach dessen Koffer.
„He, warten sie. Was soll denn das? Geben sie mir sofort meinen Koffer zurück. Ich bin nicht ihr Professor. Kapieren sie nicht?“ Ein Verdacht keimte in ihm auf. Sollte es sich um die besonders raffinierte Variante eines Raubüberfalls handeln?
Tolldreist mitten unter diesen unzähligen Fluggästen? Schlagartig wurde ihm bewusst, dass es ihn ja quasi in den wilden Westen verschlagen hatte, unter unzivilisierte Halbwilde. Denen fehlten logischerweise ein paar hundert Jahre britischen Understatements.
„Hören sie, wenn sie nicht umgehend stehen bleiben und mir meinen Koffer wiedergeben, alarmiere ich die Polizei.“ Einige Passanten wandten sich neugierig nach dem merkwürdigen Paar um. Der Mexikaner scherte sich weder um sie noch um Mc Allisters Gezeter.
Ungerührt packte er den Koffer des Schotten in den bereitstehenden Wagen.
„Sie Dr. Mc Allister, sie also Professor Cunningham, Señor. Sie wollen nach Santa Barbara. Ich ihr Fahrer. Señor Charly mich schicken.“
„Charly? Mr. Charly Mc Fadden?“
„Sí. Charly Mc Fadden. Ich seien Marty, Señor.“ Marty? Mc Allister zerrte seinen Zettel erneut aus der Tasche. Tatsächlich. Der Mann der ihn abholen sollte, hieß Marty. So stand es jedenfalls in der Nachricht von diesem Mc Fadden. Verwirrt stieg der Chirurg ins Auto.
Der Wagen ließ nichts zu wünschen übrig. Ein ziemlich neues Modell einer ziemlich noblen Marke. Getönte Scheiben, weiches Leder, in der Minibar gekühlte Drinks. Das roch nach Geld. Das roch nach Hollywood. Das entsprach seinen Erwartungen. Langsam wurde er ruhiger. Vielleicht hatten ihm seine vom langen Flug strapazierten Nerven einen Streich gespielt und er hatte irgendetwas an der verworrenen Rede des Mexikaners falsch verstanden. Ihm schien eine Erklärung nötig.
„Ähm, sorry. Tut mir leid. Also ich wollte sie nicht brüskieren, Marty. Nur die Geschichte mit diesem … Professor. Das hat mich irgendwie irritiert.“
„
No Problemo, Señor. Alles gut. You‘re welcome.”
Eine Weile schwiegen sie sich an. Marty bugsierte sein Gefährt gekonnt durch ein unübersichtliches Gewirr stark frequentierter Straßen bis sie schließlich auf einen nach Norden führenden vielspurigen Highway einbogen.
„Santa Monica Boulevard“, erläuterte der Fahrer.
„Aha.“
„Sind neu in Los Angeles, Señor?“
„Ja. Ist mein erster Besuch in Kalifornien.“
„Schönes Land. Leute nennen es ‚Golden State‘.“
Obwohl es langsam dunkelte, leuchteten die reifen, golden schimmernden Apfelsinen und Zitronen von den Bäumen und Sträuchern der gepflegten Vorgärten und Plantagen zu ihnen herüber. Die in Edinburgher Blumenläden sündhaft teuren Strelitzien wucherten überall am Straßenrand. Mc Allister bewunderte fasziniert die vorbeiziehende Landschaft.
Später wurden die Häuser spärlicher, blieben schließlich ganz aus. Marty hatte den Highway verlassen. Um diese späte Stunde sei die alte Route 101 nach Norden fast leer und einfach viel angenehmer zu fahren, erklärt er. Zeitweilig führte die Straße direkt an der Küste entlang. Vom Landesinneren rückten Felsen und schroff ansteigende Hänge näher. Wären da nicht ab und zu Surfer-Kneipen und die Bahngleise der parallel verlaufenden Amtrak Route gewesen, auf der einige Male diese typisch hohen amerikanischen Doppelstock- und Güterzüge vorbeidonnerten, Mc Allister hätte geglaubt, wieder daheim in den Highlands zu sein.
Nach einer guten Stunde öffnete sich die Landschaft. Die Berge zur Rechten wichen zurück und gaben den Blick auf ein fantastisches Lichtermeer frei. Nicht so gleißend hell wie LA. Eher weit gestreut mit weichem, warmem Schein. Das romantische Candle-Light-Dinner eines Riesen.
Aufgereiht von der Bucht beginnend, wo sich die Laternen der Seebrücke im Wasser spiegelten, bis weit hinauf in die Höhen des nahen Santa Anna Gebirges, schwerelos im Dunkel schwebend wie Sterne.
„Santa Babs.“ meinte Marty.
„Bitte?“
„SB. Santa Barbara. Wir gleich da.“
„Aha.“ Der Doktor hatte sich natürlich zu Hause umfassend informiert. Insofern wusste er die Wahl des Ortes zu schätzen.
Das verhältnismäßig kleine Städtchen beherbergte eine ziemlich gut gehende Universität sowie mehrere Schulen und Weiterbildungseinrichtungen.
Seiner schönen Lage an der Bucht und des guten Klimas wegen hatten sich in den Bergen rund um das Stadtzentrum etliche Hollywoodstars angesiedelt. Dazu Manager großer Unternehmen, staatliche Institutionen, Naturschutzbehörden, wohltätige Stiftungen und andere mehr. Die zahlungskräftige Kundschaft brachte es mit sich, dass sich mehrere Kinos und Theater im Ort hielten, Museen, dazu unzählige Kneipen und Boutiquen.
Enttäuscht stellte der Doktor fest, dass sein Chauffeur eine schmale, eng gewundene Straße hinauf in die Berge wählte. Insgeheim hatte er gehofft, in einem der schmucken Hotels nahe dem Wasser untergebracht zu sein. Er liebte das Meer und wollte in den Kongresspausen unbedingt einmal im Pazifik baden gehen.
Der Wagen bog in eine von gepflegten Hecken eingefasste Allee ein, die geradewegs auf ein großes schmiedeeisernes Tor zu führte. Dahinter ein hell erleuchtetes Haus. … Wobei, was hieß Haus? Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto deutlicher waren die Umrisse eines regelrechten Palastes auszumachen. Wie von Geisterhand schob sich das Tor zur Seite und gab den Weg in einen großzügigen Park frei. Ein Wachmann nahm Haltung an und salutierte, als sie an ihm vorüber rollten. Mc Allister war sprachlos. Das alles war viel mehr, als er erwartet hatte. Unglaublich. Ein Traum.
Der Wagen stoppte. Marty sprang heraus, rannte um das Auto, riss die Tür auf und salutierte ebenfalls. Draußen standen aufgereiht mehrere Frauen und Kinder.
„Meine Frau und meine Kinder heißen herzlich willkommen, Professor. Schön, dass endlich wieder zu Hause“, posaunte der Chauffeur. Im Angesicht der Kinder wagte der Arzt nicht, ihrem Vater zu widersprechen. Irgendwie würde sich die Sache mit dem Professor schon klären. Ein kleiner Junge von vielleicht vier Jahren löste sich aus der Reihe und trat mit einem Blumenstrauß auf Mc Allister zu.
„Buenos tardes, Señor Professor. Willkommen daheim.“ Dabei musterte er ihn neugierig. Auch seine Geschwister schienen ihn eher erstaunt als erwartungsfroh zu betrachten. Einige von ihnen sogar ein bisschen ängstlich.
Als er sich von Martys Frau ins Haus führen ließ, drängte sich das älteste der Mädchen, sie mochte 16 oder 17 sein, kurz an seine Seite und flüsterte:
„Die Beautyfarm scheint Ihnen gut bekommen zu sein. Wenn Pa nicht gesagt hätte, dass sie es sind, könnte ich es kaum glauben. Sie sehen zehn Jahre jünger aus! Ehrlich.“ Sie zwinkerte ihm zu und verschwand in der Dunkelheit.
Brian Mc Allister blieb keine Zeit, sich vom Schock zu erholen. Kaum im hellerleuchteten Empfangssaal der Villa angekommen, schritt eine elegante Dame unbestimmbaren Alters hoheitsvoll auf den Doktor zu. Marty und seine Familie zogen sich zurück.
Die Dame staunte nicht. Sie wirkte sehr selbstsicher. Mit geschäftsmäßig leicht unterkühltem Lächeln ergriff sie seine Hand.
„Hallo. Schön, dass sie wieder da sind, Professor Cunnigham. Wir alle haben sehnsüchtig auf ihr Eintreffen gewartet. Ich bin ihre Privatsekretärin Nora Paulsen. Nennen sie mich einfach Nora. … Aber das wissen sie natürlich. Wie dumm von mir. Verzeihen sie bitte. … Ich soll sie recht herzlich von Charly Mc Fadden grüßen. Er kann heute Abend leider nicht persönlich kommen. Wenn sie Fragen haben, wenden sie sich deshalb bitte vertrauensvoll an mich. Ich werde mich bemühen, ihnen nach bestem Wissen und Gewissen zu antworten. Marianna, Martys Frau, hat ihnen ihr Schlafzimmer im Obergeschoss gerichtet. Dort finden sie auch einen kleinen Imbiss für die Nacht und verschiedene Getränke. Fühlen sie sich ganz zu Hause. Wenn sie mir bitte folgen wollen.“
„Moment!“ Mc Allister war fest entschlossen, sich keinen Millimeter von der Stelle zu rühren, bis nicht vollständig geklärt war, welches Spiel man hier mit ihm spielte. „Ich bin nicht Professor Cunningham. Mein Name ist Mc Allister. Dr. Brian Mc Allister aus Edinburgh. Ich bin hier nicht zu Hause sondern will lediglich einen Kongress besuchen. Was soll dieses ganze Theater und Gelaber von wegen Beautyfarm?“
„Ach?“ Nora zog die Augenbrauen hoch. „Das mit der Beautyfarm ist auch schon bis zu ihnen durchgedrungen? Gerüchte scheinen sich in diesem Hause schneller auszubreiten als in ihrer Firma, Mr. Cunningham.“
„Ich bin nicht …“
„Ja, ja. Schon gut. Ich glaube, ich bin Ihnen wirklich eine Erklärung schuldig.“
„Das will ich meinen.“
„Aber nicht hier. Die Wände haben Ohren. Wie wäre es in der Bibliothek? Wir haben da einen ziemlich guten alten Whisky. Genau das Richtige, nach all der Aufregung.“
„Bourbon?“
„Scotch.“
„Blendet?“
„Single.“
„Gut. Aber bloß nicht on the rocks!“
„Um Gottes Willen, kein Eis!“ meinte sie lachend. „Es ist ein wirklich guter Single Malt!“ Eine charmante gebildete Lady mit Stil! Er war erleichtert. Zum ersten Mal seit der Begegnung mit Marty hatte der Schotte das Gefühl, die Reise könnte ein gutes Ende nehmen.
Der erste Schluck fühlte sich in Mc Allisters Kehle an wie der berühmte Regentropfen nach langer Trockenzeit in der Savanne. Der zweite weckte seine Lebensgeister und den schottischen Kampfeswillen. Gut, sollte sie kommen. Er war auf einiges gefasst. Er würde sich nicht übertölpeln lassen. Mit einem Krieger aus dem uralten Clan der Mc Allisters konnten sie so nicht umgehen. Herausfordernd blickte er der Dame in die Augen. Und tatsächlich, sie hielt ihm nicht stand, wandte den Kopf zur Seite. Offenbar suchte sie nach den richtigen Worten. Er wurde ungeduldig.
„Nun? Raus mit der Sprache.“
„Also, die Sache ist die. Nach ihrem Sturz auf der Treppe, als klar wurde, dass sie mit ihrem Schädel-Hirn-Trauma nicht so wie bisher weiterleben konnten und sich zunächst einer Therapie unterziehen mussten, haben wir den Kindern erzählt, sie wären auf einer Beautyfarm, um sich das zertrümmerte Gesicht wieder richten zu lassen. Das schien uns harmloser als ihnen zu erklären, dass ihr geliebter Señor Professor an einer Bewusstseinsstörung leidet. Ich gebe zu, gehofft zu haben, dass es den Ärzten gelingen würde, sie vollständig herzustellen. Allerdings sagten sie mir bereits am Telefon, dass es schwer würde. … Kommt ihnen denn nicht wenigstens ihr guter alter Whisky irgendwie bekannt vor?“
Die Sekretärin sah ihn mit bekümmerter Miene an. Mc Allister kam sich vor, als säße er im falschen Film. Entgeistert blickte er die Frau an. Wollte die ihn für blöd verkaufen?
Worum zum Teufel ging es hier? Er stürzte den Rest Whisky runter, knallte das Glas auf den Tisch und sprang auf.
„Natürlich kenne ich den Whisky.“
„Wie schön.“
„Aber nicht, weil ich Cunningham bin, sondern weil ich den zu Hause in Edinburgh auch manchmal trinke!“
„Ja, aber zuerst haben sie ihn hier getrunken.“
„Bitte?“
„Beruhigen sie sich. Wir haben erfahren, dass sie aus der Nervenklinik geflohen, dass sie zurück ins Land ihrer Kindheit gereist sind. Wir wissen, dass sie sich dort als Zahnarzt ausgegeben …“
„Ausgegeben? Sind sie verrückt? Ich bin von Mr. Charles Mc Fadden als Kapazität …“
„Wir baten den guten Charly, zu diesem kleinen Trick zu greifen, um sie nicht gewaltsam von der Polizei holen lassen zu müssen. ‚Der große Professor Cunningham wird geistig umnachtet in Handschellen und Zwangsjacke zurück in die USA überführt‘. Wissen sie, was das für Schlagzeilen gegeben hätte? Können sie sich vorstellen, wie negativ sich das auf ihre Geschäfte ausgewirkt hätte?“
„Welche Geschäfte?“
„Professor Cunningham! Ich bitte sie! Machen sie einen Punkt. Sie können doch nicht verdrängt haben, dass sie einer der wichtigsten Männer in Sillicon Valley sind. Ein Multimilliardär, der es wie kein zweiter versteht, mit seinen Innovationen die Japaner, Koreaner und Chinesen auf Distanz zu halten. Herr Professor! Behaupten sie nicht, dass ihnen das alles nichts sagt! … Moment.“
Ihr war anscheinend eine Idee gekommen. Sie erhob sich, trat zu einem der hohen Regale, zog eine ziemliche Schwarte heraus. Mit der kehrte sie zum Tisch zurück und drückte sie dem verdatterten Arzt in die Hand.
„Hier. Lesen sie selbst.“
‚Die Unternehmungen des Steven Cunningham‘ stand da in fetten Lettern. ‚Vom schottischen Waisenkind zum Milliardär in Sillicon Valley‘. Darunter das Foto eines Mannes. Brian Mc Allister war es, als blicke er in einen Spiegel. Beinahe, jedenfalls. Das Buch war nicht mehr ganz neu und der Mann um einiges älter.
Jetzt war er wirklich sprachlos. Ungefragt goss Nora nach. Er kippte das Glas in einem Zug. Sie goss nach. Er kippte. Das Ganze wiederholte sich einige Male.
„Aber, … aber das kann nicht sein!“ lallte er schließlich. „Das kann nicht sein. Ich bin nicht wahnsinnig, … Oder?“ Keine Reaktion. Er griff sich an die Brusttasche. „Hier. Ich kann es beweisen. Mein britischer Pass. Sehen sie?“ Nora nahm das dunkelblaue Büchlein und blätterte interessiert darin.
„Ja.“ nickte sie. „Verdammt gute Fälschung. Hat uns viel Geld gekostet. Es musste ja alle Kontrollen möglichst unverdächtig überstehen. Edinbourgh, London, Dallas, Los Angeles. Mit ihrem eigenen Pass konnten wir sie beim besten Willen nicht reisen lassen. Sie bestanden … nein … sie bestehen ja bis zum Moment darauf, dieser Brian Mc Allister zu sein.“
„Ich bin aber wirklich dieser Brian Mc Allister!“ Es sollte entschieden klingen, kam aber eher wie ein verzweifeltes Schluchzen heraus. Nora lächelte nachsichtig.
„Passen sie auf. Ich bringe sie erstmal auf ihr Zimmer. Sie schlafen sich aus und morgen sehen wir weiter. Okay?“ Mc Allister schneuzte sich.
„Krieg ich noch einen?“
„Aber klar. Das ist dann aber der letzte, ja?“
„Ja.“
Es klopfte. Brian Mc Allister drehte sich stöhnend auf die andere Seite. Es klopfte wieder. Müde hob er ein Augenlied. Die grelle Morgensonne blendete schmerzend. Er kniff das Auge zu und drehte sich zurück. Sein Schädel brummte. Meine Güte, dachte er. Hab ich schlecht geschlafen. Solche Albträume wünschst du deinem ärgsten Feind nicht. Es klopfte zum dritten Mal.
„Jaaa.“
Die Tür quietschte und eine ihm irgendwie bekannte Männerstimme sprach:
„Buenos díaz, Professor Cunnigham, Señor. Ich soll Ihnen von Frau bestellen, ihr Frühstück seien im Salon …“
Kein Albtraum. Schlagartig war der Doktor hellwach. Er richtete sich auf. Aua! Jeder Knochen tat ihm einzeln weh. Ziemlich harte Matratzen hatten die in Santa Barbara. Wenn wenigstens diese verdammten Kopfschmerzen nicht gewesen wären. Vorsichtig versuchte er, seine Augen an das grelle Licht zu gewöhnen. In Kalifornien schien die Sonne schon am frühen Morgen viel heller als in Schottland. Scheiß Alkohol.
Das Zimmer, in dem er sich befand, hatte gigantische Ausmaße. Genau wie sein Bett. Das stand irgendwie in der Mitte des Raumes. Rechts von ihm. Einfach riesig.
Er selbst saß vor einer geöffneten Balkontür. …? Moment. … Wieso überhaupt sah er Bett und Zimmer quasi aus der Froschperspektive von der Seite? Wieso hockte er in einen Teppich gehüllt am Boden? … Ach ja, richtig. Nora hatte zwar gemeint, er möge die Fenster zu lassen, weil die Klimaanlage laufe, aber er hatte, kaum dass sie fort war, beschlossen, einen Fluchtversuch zu wagen. Sonderlich weit schien er dabei nicht gekommen zu sein. Scheiß Alkohol.
„Was gaffen sie so?“ blaffte er Marty an. „Ich schlafe halt gern am offenen Fenster.“
„Brauchen Hilfe?“
„Nein. Verschwinde. Ich komm schon klar.“ Aua. Er hatte den Kopf zu heftig bewegt.
„You’re welcome!“, dienerte der Chauffeur und verschwand.
Das Frühstück war mäßig begeisternd. Hartgekochtes Ei, der unvermeidliche Cheddar, Konfitüre, ein paar getoastete Bagels, etwas Butter und eine riesige Kanne Kaffee. Sonderlich viele Gewohnheiten aus old Britannia schien Mr. Cunningham nicht mit in die neue Welt genommen zu haben. Egal. Der Kaffee, den Marianna gebrüht hatte, war jedenfalls aller Ehren wert und erfüllte seinen Zweck. Mc Allister bekam allmählich wieder ein paar vernünftige Gedanken auf die Reihe. Fragen kamen und türmten sich vor ihm auf. Fragen, auf die ihm dummerweise keine befriedigenden Antworten einfielen. Zuerst die wichtigste: Warum? Warum lockte jemand einen harmlosen Dentalspezialisten nach Amerika, wohlgemerkt nicht in die Wüste, sondern in einen Palast wie aus tausend und einer Nacht, um ihm anschließend einzureden, er sei ein Milliardär mit Dachschaden?
Sollte es ein blöder Scherz sein, ließ ihn sich der Witzbold, dem er eingefallen war, jedenfalls etliches kosten. Dann die Frage nach der Konferenz. Fand sie nun statt oder nicht? Er hatte mit eigenen Augen im Internet die Tagesordnung gelesen. Welcher normale Mensch machte sich so viel Arbeit eines bekloppten Witzes wegen? Oder gab es an ihm etwas zu verdienen? Sollte es eine Entführung sein? Blödsinn. Das hätten die Kidnapper daheim in Schottland billiger haben können. Aber wenn es nicht um Geld ging, worum dann? Oder stimmte am Ende die Geschichte von Nora Paulsen und er war wirklich der durchgeknallte Milliardär? Gut, es gab schlimmere Visionen. Hatte er nicht erst im Flugzeug davon geträumt, sich hier niederzulassen? Jetzt musste er dafür nicht einmal etwas tun. Er war angekommen, lebte wie die Made im Speck. Das Problem mit dem Frühstück würde sich schon lösen lassen, sobald er die Rolle annahm.
Ach was, Nonsens. Erstens war er nicht durchgeknallt und wenn dem nicht so war, dann bezweckte jemand etwas mit dieser Geschichte. Ewig würden sie ihn sicher nicht verwöhnen. Einfach so.
Nach der dritten Tasse Kaffee hatte er die Idee. Er würde zu Hause in seiner Praxis anrufen und die Sprechstundenhilfe fragen … Shit. Das würde frühestens nächste Woche Sinn machen. Er hatte der Schwester für die Zeit seiner Tagung frei gegeben. Die ganze Woche. Und heute war erst Dienstag. … Hm. Das Einwohnermeldeamt?
Kaum wahrscheinlich, dass die so vertrauliche Nachrichten, wie lange er bereits vor Ort wohnte und praktizierte … Der Pass. Er müsste doch nur mit seinem Pass zur Botschaft nach Washington oder besser zum britischen Konsulat in LA … Brian Mc Allister griff nach seiner Jackentasche. Nichts. Er hatte den Pass gestern Abend Nora … Sein Mobiltelefon steckte auch nicht mehr da, wo es stecken sollte. Weg. Dieses raffinierte Miststück. Scheiß Alkohol.
Marianna und ihre älteste Tochter traten ein. Das Mädchen wirkte bei Tageslicht erwachsener als er es vom ersten Eindruck her in Erinnerung hatte. Ein zierliches Persönchen. Nicht unsympathisch. Sie fragte freundlich, ob sie abräumen dürfe. Ihm fiel ein, dass sie es gewesen war, die am Vorabend das steife Zeremoniell mit ihrer Indiskretion durchbrochen hatte. Vielleicht war sie nicht ganz so verdorben wie der Rest der Bagage. Dr. Mc Allister bemühte sich, seine schlechte Laune zu verbergen.
„Du hier, um diese Zeit? Musst du nicht zur Schule?“
„Aber ich bin doch längst fertig mit der Schule. Sie haben mich selbst eingestellt, damals.“
„Als was?“
„Als Serviererin und Küchenhilfe. Wissen sie das nicht mehr?“ Das Mädchen schien ehrlich verwirrt. Er ließ nicht locker.
„Wie heißt du?“
„Aber …“
„Bitte sag’s mir einfach.“
„Carina.“ Die Mutter unterbrach das Gespräch mit ein paar spanischen Brocken, die Mc Allister nicht verstand. Carina senkte den Blick.
„Ich muss dann wieder in die Küche. Ich soll ihnen aber sagen, dass draußen auf der Terrasse Herr Hofmann und Frau Paulsen warten.“ Sie machte einen Knicks und verschwand mit dem Geschirr. Ihre Mutter folgte ihr mit den übriggebliebenen Lebensmitteln. Nicht ohne ihrem Padrone zuvor einen bösen Blick zugeworfen zu haben. Ganz offensichtlich war sie von seinem Gespräch mit ihrer Tochter nicht begeistert.
Dr. Mc Allister erhob sich von der Tafel und begab sich in die bezeichnete Richtung. Auf der Terrasse stand ein Tisch aus geflochtenem Korb. Um ihn herum drei wuchtige Sessel aus dem gleichen Material. Auf dem Tisch ein Krug Wasser und drei Gläser. In den Sesseln Nora und ein fremder Mann. Nicht weit davon, am Rosenbeet, Marty. Er jätete Unkraut. Ein vielseitiger Bursche, befand der Doktor. Die beiden am Tisch erhoben sich. Nora ergriff das Wort.
„Guten Morgen Professor. Haben sie gut geschlafen?“
„Nicht dass ich wüsste. … Dann sind sie wohl Herr Hofmann?“
Der Kerl grinste frech.
„Na prima, wenigstens mich erkennt er wieder! Willkommen daheim, Professor Cunningham.“
„Freuen sie sich nicht zu früh, sie kleiner Ganove“, knurrte Mc Allister. „Ich kenne sie nicht und ich habe keine Lust, sie kennenzulernen. Die Serviererin hat sie angekündigt. Und jetzt mal Klartext: Geben sie mir meinen Pass zurück und lassen sie mich laufen. Man erwartet mich beim Kongress. Von mir haben sie kein nennenswertes Lösegeld zu erwarten. Jedenfalls keines, mit dem sie ein Anwesen wie dieses hier finanzieren könnten. Ich habe auch keine reichen Verwandten, die einspringen. Genauer gesagt habe gar keine lebenden Verwandten mehr. Ich bin ein nicht mehr ganz knackfrischer Junggeselle. Mich vermisst keiner und meine paar Patienten finden einen anderen Arzt. Also in ihrem eigenen Interesse, versuchen sie’s besser gar nicht erst und geben sie mir meinen Pass zurück. Den Weg runter in die Stadt finde ich notfalls allein.“
Verdammt. Ein beunruhigender Gedanke schoss durch Mc Allisters Kopf. Außer seiner Sprechstundenhilfe würde ihn wirklich niemand vermissen. Und der konnten sie sonstwas für Märchen erzählen. Was, wenn es dieser Bande genau darum ging? Ihn verschwinden zu lassen? Wozu? Wegen seines britischen Passes, den sie einbehalten hatten? Natürlich. Mit einem echten Pass ließ sich ein Terrorist leichter ins Empire einschleusen als mit einem gefälschten. Ein Attentat auf den Buckingham Palast würde den Aufwand rechtfertigen.
Jetzt wurde ihm einiges klar. Er musste unbedingt fliehen, um die Botschaft zu verständigen. Das war seine erste Bürgerpflicht. Dafür musste er seine Strategie ändern.
Er musste diplomatischer vorgehen als bisher. Gott sei Dank konnten die dreisten Entführer seine Gedanken nicht lesen. Hofmann fummelte nach der Ansprache nervös an seiner Krawatte herum. Nora goss Wasser in Mc Allisters Glas und sah ihm dann entschlossen in die Augen.
„Setzen sie sich doch bitte erstmal an unseren Tisch. Trinken sie einen Schluck und hören sie Karl, also ihrem Geschäftsführer, Herrn Hofmann, zu. Er bringt interessante Neuigkeiten. Neuigkeiten, die sie umstimmen könnten.“
Schweigend ließ er sich in den dritten der Sessel schieben. Karl Hofmann setzte sich ihm gegenüber und legte eine schmale Mappe auf den Tisch.
„Das sind die letzten Quartalszahlen. Der neue High-Speed-Chip ist am Markt wie eine Bombe eingeschlagen. Würden wir jetzt an die Börse …“ Nora legte Hofmann die Hand auf den Arm.
„Ich glaube nicht, Karl, dass sich Professor Cunningham im Moment für eine Börseneinführung interessiert. Zeigen sie ihm bitte einfach die letzten Ergebnisse und erläutern sie ihm die Gewinnaussichten, die sich aus der Markteinführung des Chips für Cunningham Enterprises ergeben.“
Hofmann klappte die Mappe auf und schob sie Mc Allister hinüber. Der hatte beschlossen, das Theater bis auf weiteres mitzumachen, trank ein paar Schlucke und nahm die Mappe zur Hand. Zwar war er kein Großunternehmer, aber ein wenig verstand auch er von Abrechnungen und Steuererklärungen. Mal sehen, was sie ihm da für einen Bären aufbinden wollten.
Er beugte sich über den Wisch und musste unwillkürlich grinsen. Erwartungsgemäß. Absolut erwartungsgemäß. Ein Blick hatte genügt, ihm zu sagen, dass das alles ziemlich an den Haaren herbei gezogen sein musste. Derart utopische Ziffernfolgen vor dem Komma in der Rubrik „Gewinne“ waren geeignet, einen Dummkopf zu beeindrucken. Nicht ihn. Das Zahlenwerk war vollkommen unglaubwürdig. Genau genommen war es geradezu eine Zumutung, ihn so billig einwickeln zu wollen. Wofür hielten ihn die Leute?
Hofmann hatte sein Grinsen bemerkt und wollte zu einer Erklärung ansetzen, doch der Doktor winkte ab.
„Schon klar. Super Ergebnisse. Tolle Gewinne. Und nun? Soll ich irgendetwas unterschreiben?“
Diesmal war es an Nora Paulsen und Karl Hofmann, sich zu wundern. Mc Allister reichte ihnen die Mappe zurück.
„Also nicht. Gut. Ich vertraue ihnen voll und ganz, lieber Hofmann. Gründliche deutsche Wertarbeit. … Sie sind doch Deutscher, ihrem Akzent nach zu urteilen?“ Der Angesprochene lief rot an. „Nora, setzen sie ein entsprechendes Protokoll auf. Ich gehe derweil ein wenig im Park spazieren, dem Gärtner auf die Finger schauen.“ Damit stand er auf und ließ die beiden sitzen.
Langsam schlenderte er den Parkweg hinunter, klopfte dem verdutzten Marty jovial auf die Schulter und bog in Richtung des großen Tores ab. Der Wachmann, es war ein anderer als am Vorabend, trat aus seinem Häuschen und salutierte.
„Hätten sie bitte die Güte, das Tor zu öffnen und mich hinaus lassen? Ich möchte ein wenig spazieren gehen.“
„Tut mir leid, Sir, ich darf nicht.“
„Bitte? Ich bin ihr Arbeitgeber und sie haben zu tun, was ich anordne.“
„Nicht ganz, Sir“, druckste der Wächter, dem die Sache sichtbar peinlich war.
„Der Wachdienst, für den ich arbeite, hat von ihrer Firma ausdrückliche Weisung, sie nicht ohne Begleitung aus dem Anwesen zu lassen. Jedenfalls, bis sie wieder völlig hergestellt und … hm … zurechnungsfähig sind. Tut mir leid Sir.“ Mc Allister hyperventilierte.
„Aber ich bin völlig zurechnungsfähig!“
„Tut mir wirklich sehr leid, Sir, aber meine Weisung lautet eindeutig: ‚Bis auf schriftlichen Widerruf.‘“
„Dann bin ich Gefangener in meinem eigenen Anwesen?“, schnaubte der vermeintliche Professor. Eine sanfte Hand legte sich auf seine Schulter. Nora.
„Bleiben sie ruhig, Professor. Ich weiß, dass es für sie nicht leicht ist, dies alles zu verstehen. Aber es ist zu ihrem eigenen Schutz.“
„Und“, ergänzte Hofmann, der hinzugetreten war, „um Schaden von den Cunningham Enterprises abzuwenden. Deshalb ist der Wachdienst angewiesen, bei einem unautorisierten Fluchtversuch notfalls von der Waffe Gebrauch zu machen. Kommen sie jetzt bitte wieder zum Haus, oder soll ich sie gewaltsam abführen und ihr Zimmer künftig verriegeln lassen?“
„Sie Nazi-Schwein. Sie Verbrecher. Das sind KZ-Methoden. Schicken sie mich doch gleich in die Gaskammer!“ Er riss sich von Nora los, um zum Tor durchzubrechen. Der Wachmann stellte sich vor ihn und zog seinen Revolver. Marty hatte in der Nähe drohend mit einer Harke Stellung bezogen. Es gab kein Entkommen.
Hofmann packte seinen Chef und drehte ihm den Arm um. Mc Allister wurde schwindlig. Er war zu keiner Gegenwehr fähig. Verdammt, dachte er, warum gerade jetzt so ein Schwächeanfall. Müdigkeit überkam ihn.
„Seien sie vernünftig.“ Nora löste Hofmanns harten Griff, hakte sich entschlossen bei ihrem Gefangenen unter und zog den Schwankenden mit sanftem Druck zur Terrasse. „Es geschieht alles nur zu ihrem besten, glauben sie mir. Niemand will ihnen Böses.“
Resignierend ließ sich Mc Allister abführen. Er sah ein, dass ihm im Moment keine Wahl blieb. Die Entführer hatten an alles gedacht. Allerdings wollte er es unter keinen Umständen bei diesem einen Versuch bewenden lassen. Wenn sie ihn eine Weile am Leben ließen, und das mussten sie anscheinend, sonst hätten sie ihn längst unbemerkt verschwinden lassen, würde er Gelegenheit haben, sich genauer mit dem Anwesen vertraut zu machen und einen sichereren Fluchtplan zu schmieden. So wahr sein Name Mc Allister war und nicht Cunningham. ….Wenn er nur nicht so müde wäre.
„Das ist keine gute Idee“, brachte er mühsam heraus. „Man wird mich auf der Konferenz vermissen.“
„Ich sagte ihnen gestern bereits, es gibt keine Konferenz. Sie halluzinieren.“ Das glaubte der Doktor auch langsam. Er hatte Durst. Sein Blick fiel auf den Wasserkrug. Die anderen hatten nichts davon getrunken. Sollte etwa im Wasser ein Präparat …? Mit letzter Kraft riss er sich zusammen.
„Dann will ich mit Charly Mc Fadden reden oder gibt es den auch nicht?“ Schweigen. „Ist das ihr Ernst?“ Hofmann räusperte sich.
„Die Event Agentur Charles Mc Fadden ist ein reines Phantasieprodukt, um sie zur Heimkehr zu bewegen, Professor Cunningham. Ich habe die Seiten ins Netz gestellt, Nora hat ihnen die Mails geschrieben.“
„Mit anderen Worten, sie haben mich seit Wochen belogen und jetzt soll ich ihnen plötzlich glauben?“
„So ist das nicht“, protestierte Nora. „Das waren Notlügen. Es ging und geht uns nur um die Fortexistenz ihres Unternehmens.“
„Um eine erfolgreiche Fortexistenz“, ergänzte Hofmann.
„Und woher soll ich wissen, dass ‚mein Unternehmen‘ nicht auch ein ‚reines Phantasieprodukt‘ ist?“
„Sie können gern im Internet …“
„Ha, ha, ha. Das war ihr bester, Hofmann.“ Jedes Wort fiel ihm schwer. Gott sei Dank hatte er nicht so viel von dem Zeug getrunken. „Wusste gar nicht, dass Deutsche so lustig sein können.“
Karl Hofmann blickte pikiert zu Boden. Auf einen Wink von Nora brachte Marianna Orangensaft und Kaffee. Dazu ein paar Kekse.
„Ein Vorschlag.“ Der Geschäftsführer hatte sich zu einem Entschluss durchgerungen. „Wenn sie sich bereiterklären, keine dummen Bemerkungen zu machen, nicht auf ihrem ‚Dr. Mc Allister‘ Gefasel beharren und auch ansonsten alle meine Weisungen befolgen, organisiere ich für sie eine Besichtigungstour der Cunningham Werke in Silicon Valley. Sie werden von mir, Nora und zwei Security Leuten begleitet. Vor Ort wird ein Arzt zu uns stoßen. Ich wie auch der Arzt werden Betäubungsspritzen dabei haben, mit deren Hilfe wir jederzeit einen Schwächeanfall provozieren können. Zeigen sie sich kooperativ, werden sie viel über sich und ihre Rolle in diesem Unternehmen lernen. Weigern sie sich, diese Bedingungen zu akzeptieren, verspreche ich ihnen ein unrühmliches Ende in ihrer goldenen Bettengruft da oben. Das ist mein letztes Angebot.“ Hofmanns Blick richtete sich an Nora. Die senkte zur Zustimmung kaum merklich ihre Lider. Brian Mc Allister sah nachdenklich auf seinen Kaffee.
„Könnte ich bitte etwas von dem Scotch bekommen?“ Vielleicht half das, den verdrehten Kopf wieder klar zu bekommen. Marianna wartete nur auf Noras Wink, um loszulaufen. Unweit der Sitzgruppe, bewegte sich an einem der Terrassenfenster die Gardine. Wenn ihn nicht alles täuschte, Carina. Ob sie eingeweiht war? Ihr Erstaunen gestern und heute hatte echt gewirkt. Wobei das letztlich gleichgültig war. Helfen konnte ihm so ein Kind bestimmt nicht. Wenn überhaupt, dann bot die angebotene Führung eine Chance zur Flucht. Vorausgesetzt es gab die Cunningham Werke und die Fahrt war nicht einfach nur sein letzter Weg in diesem Leben. Wobei ihm noch immer nicht klar war, wer ihn los sein wollen könnte. Ihm fiel niemand ein, dem er ernsthaft im Wege stand. Denken war mit diesem vernebelten Hirn sowieso Glückssache. Vielleicht war er ja wirklich dieser Professor und hatte das Gedächtnis verloren? Wer weiß. Alles war möglich.
Der Whisky kam. Mit dem bekannten Duft in der Nase fühlte sich der Doktor nicht mehr ganz so verloren. Apropos verloren. Was hatte er schon zu verlieren. Sein Untergang schien beschlossene Sache. Die Zahl der Alternativen reduzierte sich minütlich. Er ließ sich das Getränk auf der Zunge zergehen.
„Und sie sind sich ganz sicher, dass ich Professor Steven Cunningham bin?“ Nora und Kurt nickten synchron. „Werde ich irgendetwas unterschreiben müssen?“ Wieder nickten beide. „Wieviel Zeit habe ich, meine Unterschrift zu üben?“
„Soviel sie benötigen.“ Beruhigte ihn Nora.
Das also war des Pudels Kern. Es gab etwas zu erledigen, wofür sie ihn brauchten. Etwas, das der echte Cunningham nie tun würde. Deshalb war er noch am Leben. Oder suchte der schrullige Multimilliardär am Ende nur einen Doppelgänger? Sollte es ja geben. Nur warum dann die Geheimniskrämerei? Ein solcher Vorschlag ließ sich sachlich diskutieren. Nein, er hatte keine Wahl. Er musste die Entwicklung der Dinge abwarten und dabei versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Nie wieder Wasser, das er nicht selbst gezapft hatte!
„Also gut. Zeigen sie mir die Cunningham Werke. Wann geht es los?“
„Wenn sie mögen, so bald als möglich. Sagen wir morgen Vormittag?“
„Einverstanden.“
„Ich werde alles Nötige arrangieren. Bis dahin würde ich sie bitten, von unüberlegten Handlungen Abstand zu nehmen. Sonst kann ich für nichts garantieren.“
„Selbstverständlich wird es ihnen hier im Haus auch weiterhin an nichts fehlen“, ergänzte Nora.
„Also abgemacht“, knurrte Mc Allister. „Aber ich warne sie. Ich weiß jetzt, dass mein Leben keinen Pfifferling mehr wert ist. Wenn sie versuchen, mich zu bescheißen, garantiere ich meinerseits für nichts.“
„Bleiben sie cool“, meinte Hofmann. “Ich bin sicher, sie werden nicht enttäuscht sein.“
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Texte: Wolfram Crist
Bildmaterialien: AAVAA Verlag
Tag der Veröffentlichung: 20.03.2013
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