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Silke May

 

Alpenglühn und heiße Küsse

 

 

Frauenroman

 

 

 

LESEPROBE

 

 

 

 

© 2013 AAVAA Verlag

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Die Nacht der Bergfeuer

 

Tom lenkte seinen gelben Sportwagen die Serpentinen des Berges hoch – in Richtung Gipfel. Sie waren schon eine Weile unterwegs, als Tom neben einer saftigen Bergwiese anhielt. Ein schmaler sandiger Weg führte quer durch die Wiese, steil über den Berg nach oben. Tom deutete in die entsprechende Richtung.

»Schau, da müssen wir rauf«, sagte er zu Dejana, die auf dem Beifahrersitz saß.

»Okay  wohin führt der Weg?«, fragte sie neugierig.

»Zu einer gemütlichen Berghütte. Da gibt es eine leckere Brotzeit und man hat eine herrliche Aussicht über die Alpen.«

 

… Tom hatte sie für das Wochenende in die Berge eingeladen. Dejana war überrascht gewesen, denn so kannte sie ihn überhaupt nicht. Sie waren jetzt seit drei Monaten zusammen, aber dass Tom wanderte und in urigen Berghütten einkehrte, hätte sie nicht von ihm gedacht.

Bisher hatte sie ihren Freund von einer ganz anderen Seite kennengelernt.

Tom war ein sehr guter und weit bekannter Innenarchitekt.

Ihre Freizeit hatten sie meist auf verschiedenen Golfplätzen verbracht, die Abende in Diskotheken und guten Restaurants.

Er machte alles, was sich so manch eine Frau erträumte, in Luxus schwelgen und sich mit reichen Leuten umgeben. Sicherlich war es für Dejana nicht uninteressant diese Welt kennenzulernen, doch sie machte sich nicht sehr viel daraus.

Umso überraschter war sie über diese Einladung und sie freute sich ganz besonders darauf.

Sie erreichten einen großen Parkplatz und stiegen aus.

Tom holte einen Rucksack aus dem Kofferraum und zog sich seine Wanderschuhe an.

»Sag jetzt nicht, dass du den Rucksack und die Wanderschuhe immer dabei hast!«, lachte Dejana.

»Oh doch, das gehört schließlich zur Standardausrüstung eines Sportwagenbesitzers«, sagte er schmunzelnd und zwinkerte sie an.

Sie wanderten den schmalen- steil aufwärts führenden Weg nach oben. Dabei kamen sie an blühenden Almwiesen vorbei und Dejana atmete die frische Bergluft tief ein.

Sie vergaß für einen Moment sogar ihre Vergangenheit, die sie sonst noch oft quälte.

Stattdessen lebte sie ganz im Hier und Jetzt und war von der Schönheit der Berge vollkommen überwältigt.

Die Gipfel schienen zum Greifen nahe. Einige von ihnen waren noch mit weißen Hauben aus Schnee bedeckt. Der Himmel war wolkenlos und die Sonne brannte.

Dejana wischte sich mit dem Handrücken kleine Schweißperlen von der Stirn.

Nach einer Weile versperrte ihnen ein kleiner, aber ziemlich energisch dahinfließender Bach den Weg.

Sie liefen ein kurzes Stück neben dem Bach entlang, bis ihnen ein schmaler Baumstamm ermöglichte, ohne nasse Füße auf die andere Seite zu kommen.

Tom reichte Dejana die Hand und stützte sie, während sie über die behelfsmäßige Brücke balancierte.

Auf der anderen Seite erstreckte sich kurzes, saftiges Gras, das mit blauem Enzian übersät war, wie ein Teppich über den Hang.

Überall verstreut lagen größere Steinquader, als hätte sie jemand absichtlich dort deponiert.

Von der Ferne ertönte leises Glockengebimmel, von den Almen auf denen sich weidende Kühe aufhielten.

»So, du kleine Bergfee, ich würde vorschlagen, wir machen jetzt eine Pause.«

Tom setzte sich ins Gras und holte Wurstsemmeln und eine Plastikflasche mit Saft aus dem Rucksack.

Dejana nahm neben ihm auf einen großen Stein Platz und biss herzhaft in die Semmel, die ihr Freund ihr gegeben hatte.

Sie schaute in die Ferne, dort wanderte ihr Blick den Hang hinauf. Ganz oben erspähte sie eine kleine Hütte.

»Ist das unser Ziel?«, Tom folgte ihrem Blick.

»Ja, damit liegst du richtig.«

»Wie weit ist, die Hütte noch weg?«, fragte sie.

»In circa ein bis zwei Stunden könnten wir es schaffen.«

Sie legte ihre Hand auf Toms Arm.

»Heute ist ein wunderschöner Tag. Ich danke dir dafür!«

»Der Tag ist noch lange nicht vorbei. Ich verspreche dir, dass du noch viele schöne Stunden haben wirst«, sagte Tom und strich ihr zärtlich über die Wange.

»Wenn du möchtest, übernachten wir auf der Hütte - vorausgesetzt sie haben noch zwei Betten frei.«

»Das wäre spitze! Die Abende auf solchen Hütten sollen ganz toll sein.«

Dejana umschlang spontan seinen Hals und gab ihm einen dicken Schmatz auf die Wange.

 

Nach dem Tod ihrer Mutter war ihr Tom eine große Hilfe und sie konnte dank ihm, wieder schöne Momente erleben. Er hatte ihr das unterhaltsame Leben wieder nähergebracht.

Dafür war sie ihm überaus dankbar gewesen und langsam hatte sich aus ihrer Freundschaft eine kleine Liebe entwickelt.

Von da an war Dejana wieder auf einem guten Weg. Und der heutige Tag sprengte den Rest des einst schweren Steines, der ihr auf dem Herzen gelegen hatte.

 

»Wir sollten jetzt weitergehen. Es könnte nämlich auch passieren, dass wir heute noch zurücklaufen müssen, weil nichts mehr frei ist.«

Beide erhoben sich und Tom legte seinen Rucksack wieder an.

Sie wanderten weiter aufwärts.

Dejana kam die Strecke endlos vor. Ihr ging langsam, aber sicher die Puste aus.

»Wie lange dauert es denn noch? Mir geht langsam die Luft aus«, keuchte sie erschöpft.

»Nur noch bis zur nächsten Kurve, dann sind wir da. Auf jeden Fall gibt es dort eine sehr gute Brotzeit und das wird dich dann für die Strapazen entlohnen.«

Sie gingen bis zur Biegung, und urplötzlich tat sich vor ihren Augen ein wunderbarer Anblick auf.

 

In einer Mulde zwischen zwei Bergen befand sich die rustikale Holzhütte. Auf dem Schindeldach lagen Steine und vor dem Gebäude standen Tische und Bänke auf einer Veranda.

Ein Stück entfernt betonte ein Brunnen die ländliche Idylle. Neben ihm wehte eine weiß-blaue Fahne am Mast.

Umrahmt war die Szenerie von einem imposanten Bergmassiv, das abwechselnd aus dicht bewaldeten Bergen und kahlen Felsen bestand.

Schon von Weitem hörten sie das Läuten von Kuhglocken, die Tiere weideten auf einer saftigen Wiese, oberhalb der Hütte.

Hinunter in das Tal hatte man einen wunderbaren Einblick. Es war ein enges Tal, durch das sich ein Fluss hindurchschlängelte.

Oberhalb der engsten Stelle des Tals auf einem zerfurchten Felsen thronte eine Burg direkt am Abgrund.

Sie schien außerordentlich gut erhalten zu sein.

Dejana war begeistert, alles sah aus wie aus einem Bilderbuch.

Vor der Hütte – auf dessen Terrasse, waren fast alle Plätze belegt und reges Unterhalten und Lachen konnten sie schon von Weitem hören. Sie näherten sich der Hütte, deren Tür offen stand, und traten über die Türschwelle.

Sogleich wurden sie von Lois, dem Wirt, herzlich begrüßt. Die beiden erschöpften Wanderer setzten sich sofort an einen der Tische.

Tom erkundigte sich, ob es eine Möglichkeit für sie gäbe, auf der Hütte zu übernachten.

Lois teilte ihm erfreut mit, dass in der Schlafkammer direkt unterm Dach noch Platz wäre und Tom nahm diese Gelegenheit dankend an.

Tom bestellte einen großen Brotzeitteller und zwei Bier, die Lois ihnen nach kurzer Zeit brachte.

Dejana aß mit Heißhunger von dem leckeren Speck und Käse.

Dann brach sie ein Stück von dem kleinen runden Bauernbrot ab und schob es in den Mund, während sie ihre Blicke schweifen ließ.

Ein herrlicher Sonnenuntergang breitete sich am Himmel aus. Die Gipfel leuchteten in einer hellen rotgelben Farbe. So ein herrliches Gipfelfeuer hatte Dejana noch nie erlebt.

Am Nachbartisch wurden Heimatlieder gesungen. Dejanas Begeisterung kannte kein Halten mehr und sie sang fröhlich mit.

Als das Paar mit dem Essen fertig war, wurden sie aufgefordert, sich in die singende Runde zu setzen. Dieser Einladung kamen Tom und Dejana gerne nach.

Es wurde ein lustiger Abend mit viel Gesang und lustigen Geschichten, dazu tranken sie Rotwein und aßen Salzbrezeln.

Dejanas Wangen glühten vor Begeisterung und vom Wein. Sie sang laut mit und kugelte sich fast vor Lachen über die Witze, die die anderen Gäste erzählten.

Toms Begeisterung hielt sich etwas in Grenzen. Er amüsierte sich zwar aufgrund der lustigen Geschichten, aber mitzusingen, war nicht seine Stärke.

»Schauen wir noch ein bisschen zu den Sternen?«, fragte Dejana Tom nach einer Weile. Sie sah zum Himmel hoch, auf dem sich ein riesiger Sternenteppich ausbreitete.

»Sehr gerne, es ist eine wunderschöne sternenklare Nacht«, gab er überzeugt von sich.

Sie entfernten sich ein Stück von der Hütte und setzten sich auf einen aufgeschichteten Holzstoß. Ihre Blicke schweiften über die dunklen Silhouetten der Gipfel und schließlich zu Tom, der neben ihr saß. Dejana lehnte ihren Kopf an seine Schulter.

Von der Hütte klang leise Ziehharmonikamusik bis zu ihnen herüber.

»Ich finde es atemberaubend schön hier! Es ist herrlich romantisch«, flüsterte Dejana bewegt.

Tom sah zu ihr und nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie zärtlich.

»Ja, das stimmt«, flüsterte er und legte seinen Arm um sie. Dejana lehnte ihren Kopf wieder an seine Schulter und sah in den Nachthimmel.

Tom gab ihr einen Kuss auf die Stirn und streichelte mit der Hand ihren Oberarm. So saßen sie eine Zeit lang wortlos nebeneinander und küssten sich immer wieder.

Langsam wurde es frisch und ein ungemütlicher Wind kam auf. Gemächlich machten sie sich auf den Rückweg zur Hütte.

Tom führte seine Freundin direkt zum Hintereingang, um nicht über die Terrasse gehen zu müssen.

Sie stiegen die schmale Holztreppe zum Schlafraum empor und betraten einen Dachboden mit niedriger Decke und kleinen Fenstern. Im Schein des Mondlichts suchten sie sich zwei von den Matratzen, die im Raum verstreut lagen.

Tom schob sie direkt unter dem Fenster zusammen und die beiden ließen sich nieder.

Noch war niemand außer ihnen da, von draußen klangen Musik und Gesänge zu ihnen. Tom drehte sich zu Dejana und drückte sie fest an sich. Seine weichen Lippen forderten einen Kuss.

»Dejana ich liebe dich«, flüsterte Tom.

»Ich liebe dich auch«, hauchte Dejana und drückte sich fester an ihn.

Dejana fühlte sich fantastisch, sie war wie verzaubert und erwiderte seine Küsse zärtlich.

 

Tom schlüpfte zu ihr unter die Wolldecke und sie spürte, wie er sie langsam entblößte. Dabei überschüttete er sie mit Küssen und seine Hände streichelten über ihren Körper.

Er war so unsagbar zärtlich, dass sie ein sanftes Kribbeln durchfuhr.

Dejana gab sich seinen Liebkosungen völlig hin. Jedes Mal wenn er ihren nackten Körper mit einem Kuss berührte, hatte sie das Gefühl, ein Schmetterling würde sich auf dieser Stelle niederlassen.

Heftige Erregung stieg in ihr auf. Sie spürte die Hitze, die Toms Körper ausstrahlte, und seine Leidenschaft.

Dejana schloss die Augen.

Vor ihren Augenlidern tanzten bunte, schnell wirbelnde Lichtkreise, und schließlich versank sie ganz in ihrer Begierde.

 

Glücklich in Toms Armen liegend, wachte sie am nächsten Morgen auf. Ein Blick zum Fenster sagte ihr, dass wieder ein traumhafter Tag mit strahlend blauem Himmel vor ihnen lag.

Sie dachte an den gestrigen Tag und die wunderbare Nacht und eine längst vergessene Wärme durchfuhr ihren Körper. Durch die geöffneten Fenster strömte frische Bergluft in den Dachboden, welche Dejana tief in sich einsog. Dejana befreite sich vorsichtig aus Toms Umarmung. Sie schlich sich aus der Dachkammer, die mit schlafenden Personen bis zur letzten Matratze belegt war.

Aus der Küche drangen die ersten Geräusche des Tages, sie hörte das Geschirr leise klappern.

Auf dem Treppenabsatz zog sie sich hastig an, dann stieg sie die Treppen hinunter. Lois begegnete ihr in dem schmalen Gang, der zur Stube führte.

»Guten Morgen ... hast du gut geschlafen?«

»Oh ja, das habe ich – wie ein Bär.«

»Ins Bad geht’s die zweite Tür rechts«, erklärte er grinsend.

Dejana war verblüfft, dass es sogar ein Badezimmer gab.

Vorsichtig öffnete sie die Tür und betrat einen langen, schmalen Raum.

Auf der linken Seite befanden sich nebeneinander aufgereiht fünf Waschbecken mit Spiegel, rechts gruppierten sich drei Toiletten-Kabinen. Sie erfrischte sich eilig, solange sie noch ungestört war, dann betrat sie die Stube und setzte sich auf eine rustikale Eckbank am Fenster.

Sie blickte verträumt zu den gegenüberliegenden Bergen und zupfte zufrieden an dem kleinen Deckchen auf dem Tisch.

Lois kam aus der Küche mit einem reichlich belegten Teller zu ihr.

»Kaffee oder lieber eine heiße Milch?«, fragte er, während er ihr das Frühstück hinstellte.

»Einen Kaffee bitte.«

»Der ist aber stark«, warnte er sie.

»Das macht nichts, den halte ich schon aus«, antwortete Dejana lächelnd, während sie von einer Scheibe Butterbrot – belegt mit schmackhaften Schwarzgeräucherten abbiss.

Sie genoss das Frühstück und beobachtete dabei, wie die ersten Gäste eintrafen und sich freundlich grüßend an den Tischen verteilten.

Nach dem Frühstück ging sie vor die Hütte. Herrlich frische Luft empfing sie, angereichert mit dem Duft von frischen Gräsern und Blüten.

Noch lag die Sonne hinter den Bergen, aber sie kündete sich bereits mit einem hellen Schein über den Gipfeln an. Dejana horchte in die Stille. In der Ferne hörte sie den Schrei eines Habichts. Das Wasser im Brunnen plätscherte munter vor sich hin. Sie setzte sich auf den Holzstoß und sah in die Umgebung.

Die schöne Berglandschaft beeindruckte sie zutiefst.

»Hier will ich nie mehr weg!«, sagte sie fest entschlossen zu sich selbst.

»Du brauchst aber nicht glauben, dass ich heute Nachmittag alleine zurückfahre«, hörte sie Tom hinter sich sagen.

»Du bist schon auf? Hast du etwa auch schon gefrühstückt?«, fragte sie überrascht.

»Ja, aber im Schnelldurchgang, weil mir Lois gesagt hat, dass du schon draußen herum stiefelst.«

Lächelnd kam er auf sie zu und nahm sie liebevoll in den Arm, während seine heißen Lippen die ihren berührten.

Dejana hätte in diesem Moment am liebsten die Zeit angehalten.

»Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich könnte es mir ohne dich überhaupt nicht mehr vorstellen, flüsterte Tom.

Dejana erwiderte sein Lächeln und sah ihm in die Augen.

»Mir geht es ebenso.«

Sie umarmten und küssten sich erneut. Dann spazierten sie Arm in Arm über die frischen Bergwiesen der Alm.

Die Kühe sahen neugierig zu ihnen herüber und manche kamen sogar auf sie zu.

Sie setzten sich auf eine Bank, die direkt an der Mauer einer kleinen Kapelle stand, und genossen die wärmende Vormittagssonne.

Kleine Insekten summten im Vorbeiflug. Der Wind streichelte Dejana sanft im Gesicht und spielte mit ihrem Haar. Die beiden blieben eine Zeit lang regungslos sitzen und genossen einfach nur mit geschlossenen Augen, die Sonnenstrahlen und diese absolute Ruhe.

»Ich denke, langsam sollten wir wieder zur Hütte gehen, damit wir noch in Ruhe Mittagessen können, bevor wir uns auf den Heimweg machen«, sagte Tom und half Dejana beim Aufstehen.

»Ja, das ist eine gute Idee. Vielleicht haben sie ja noch einen Apfelstrudel mit Vanillesoße«, schwärmte sie.

Sie spazierten zurück zur Hütte und setzten sich auf die Terrasse.

Dejana bekam ihren Apfelstrudel und Tom aß mit großem Appetit eine gehörige Portion Käsespätzle.

Nach dem Essen verabschiedeten sie sich von Lois, während Dejana wehmütig in die Berge sah.

Sie hatten schon die Hälfte des Weges bergab hinter sich gebracht, als sie eine kurze Rast einlegten. Dejana blickte zum Bergmassiv zurück und über die grünen Hänge.

»Hier könnte ich ewig bleiben!«, schwärmte sie und hakte sich bei Tom ein.

Sie legte ihren Kopf an seine Schulter und prägte sich die wunderschöne Ansicht ein.

»Wer weiß, vielleicht mache ich mich irgendwann einmal selbstständig. Falls wir dann immer noch zusammen sind – was ich hoffe –, könnten wir uns hier in der Gegend niederlassen«, fantasierte Tom über die Zukunft.

»Hm, das wäre schön«, schwärmte Dejana und gab ihm einen flüchtigen Kuss. Nach dieser kurzen Unterbrechung gingen sie weiter und erreichten bald den Parkplatz, auf dem ihr Auto stand. Während Tom seine Wanderschuhe auszog und in die Straßenschuhe schlüpfte, sah seine Freundin sich ein wenig um.

»Diese Seilbahn dort hinten, wo fährt sie hin?«

»Zum Wasserfall unterhalb unserer Hütte.«

»Jetzt brauchst du nur noch zu sagen, dass sie direkt zu unserer Hütte führt!«, schlussfolgerte Dejana entrüstet.

»Genau, die Station ist weniger als fünfzig Meter unterhalb der Hütte.« Dejana boxte ihn leicht in die Seite.

»Warum lässt du mich dann den Weg zu Fuß runterlaufen?«

»Damit du die Schönheit der Natur nochmals voll auskosten konntest«, grinste Tom.

»Du bist mir aber einer! Allerdings muss ich zugeben, dass du recht hast. Es wäre schade gewesen, wenn ich diese herrlichen Almen nicht gesehen hätte. Ist der Weg von der Station zur Hütte gekennzeichnet?«, fragte sie.

»Ja, sehr gut sogar.«

»Ich möchte dir danken, es war ein herrliches Wochenende!«

Tom lächelte sie nur an.

Dann stiegen sie in den Wagen und fuhren nach München.

Am frühen Abend setzte Tom seine Freundin bei ihrer Wohnung ab, nicht ohne dass sie sich für den folgenden Tag verabredet hatten.

 

Am nächsten Abend hatte Dejana eigentlich keine Lust, mit Tom essen zu gehen. Der Tag hatte sich bisher nur von einer sehr negativen Seite gezeigt, denn ihr Chef hatte ihr mitgeteilt, dass sie zum Quartalsende gekündigt werden würde.

Die Firma hatte schon seit Monaten keine großen Aufträge mehr erhalten, und die wenigen kleinen Arbeiten, die anfielen, würde er in Zukunft auch alleine schaffen. Ihren Gehalt würde er noch bis zum offiziellen Kündigungstermin weiterbezahlen, obwohl sie schon vorher ausscheiden könnte.

In zwei Monaten würde sie dann also eine arbeitslose Innenarchitektin sein. Während ihre Gedanken verrücktspielten und sie nicht wusste, ob sie lieber heulen oder fluchen sollte, stand sie vor dem Spiegel und legte Lippenstift auf.

Missmutig verließ sie ihre Wohnung und blieb auf der Straße vor dem Hauseingang stehen.

Tom musste jeden Moment kommen. Schon wieder verlor sie sich in ihren Gedanken vom Tagesgeschehen.

 

»Hallo Dejana, toll siehst du wieder aus!«, begrüßte er sie. Sie hatte seinen heranfahrenden Wagen überhaupt nicht bemerkt. Dejana ließ sich auf den Beifahrersitz plumpsen und gab ihm einen flüchtigen Kuss.

»Danke für das Kompliment«, sagte sie kurz.

»Ich habe uns ein nettes kleines Pizzalokal ausgesucht. Dort gibt es gemütliche kleine Tische und wir beide sind so gut wie allein.«

»Das ist ideal, ich habe dir nämlich etwas zu erzählen.«

Bald darauf betraten sie das kleine gepflegte Lokal und setzten sich an einen mit roter Tischdecke und weißen Servietten geschmückten Tisch in einer Nische.

Der Boden war aus stark glänzendem Parkett, und das Licht der Deckenlampen spiegelte sich darin. Es war sehr leise im Lokal, nur ab und zu hörte man dezentes Klappern von Besteck. Sie bestellten eine große Pizza für zwei Personen und eine große Schüssel Salat dazu. Während des Essens erzählte Dejana von ihrer bevorstehenden Arbeitslosigkeit.

Tom reagierte zunächst entsetzt, versuchte sie aber sofort wieder aufzumuntern.

»Sicher wirst du bald einen neuen Job finden, so gut, wie du bist. Und wenn du vorübergehend finanzielle Unterstützung brauchst, dann gib mir Bescheid – ich helfe dir gerne aus.«

Dejana strich ihm sanft über den Handrücken.

»Das ist wirklich lieb von dir, aber ich habe ein bisschen was gespart und außerdem bekomme ich dann auch Arbeitslosengeld. Ich hoffe, dass ich nicht lange nach einer neuen Arbeit suchen muss! Am liebsten würde ich in die Berge gehen und dort etwas ganz Neues machen, aber das wird wohl ein Traum bleiben.«

»Ein Schritt nach dem anderen, dann wird das schon wieder, hab keine Angst. Was hältst du davon, wenn wir nach dem Essen auf ein Glas Wein zu mir fahren? Ich habe einen tollen Film daheim und du könntest bei mir übernachten. Ich verspreche dir, dass ich mein Bestes geben werde, um dich abzulenken.«

Tom sah sie dabei so verführerisch an, dass Dejana einfach ja sagen musste. Als er die Rechnung bezahlt hatte, fuhren sie zu ihm.

Sie betraten das Haus und stiegen die Treppen zur zweiten Etage hoch. Es war ein schöner, moderner Bau. Tom sperrte die Tür auf.

»Nanu, ich habe wohl vorhin vergessen abzuschließen«, sagte er beiläufig.

Sie betraten die Diele und Tom schob Dejana direkt ins Wohnzimmer.

Nur die sanfte Beleuchtung eines Aquariums erhellte den Raum.

 

Dann knipste er eine stilvolle Stehlampe neben dem Sofa an.

»Nimm schon einmal Platz, ich hole uns den Wein aus der Küche.«

»Ich müsste mal ins Badezimmer.«

»Einfach den Gang entlang und rechts ums Eck.«

Dejana stand auf und ging den langen Flur entlang. Auf jeder Seite befanden sich zwei Zimmertüren. Der Boden war mit einem beigen Teppich ausgelegt und die Wände zierten schöne Bilder und Wandlampen.

Eigentlich war die schöne Wohnung für einen alleinstehenden Mann viel zu groß.

Sie öffnete die Badezimmertür und fand sich in einem mit Kerzen beleuchteten Badezimmer wieder.

Dejana war überrascht.

… Das ist aber ganz schön leichtsinnig …, dachte sie sich.

 

Es duftete nach feinem Badeöl und das Wasser gluckerte in der Wanne. Als Dejana sich zur Seite drehte, entdeckte sie eine blonde Schönheit zwischen den Schaumbergen in der Wanne liegend.

Die Frau blickte sie erschrocken an.

»Was wollen Sie denn hier?«, fragte sie forsch.

»Eigentlich « Dejana war so entsetzt, dass ihr die Worte im Hals stecken blieben.

»Wer sind Sie überhaupt?«, setzte die Wannennixe nach.

»Ich bin eine Freundin von Tom.«

»Soso, eine Freundin. Das mag ja sein, aber ich bin seine Verlobte! Schreib dir das hinter die Ohren … Kleine und jetzt verschwinde!«

Dejana machte auf dem Absatz kehrt. Wie von der Tarantel gestochen hetzte sie an Tom vorbei, der gerade aus der Küche kam.

Sie lief zielstrebig ins Wohnzimmer, packte ihre Tasche und war schon im Begriff zu gehen, als er ihr verwundert »was ist los …, wo willst du denn hin?« hinterher rief.

Dejana lief den Gang entlang zur Wohnungstür.

»Ich gehe!«, schrie sie ihn an.

»Warum? Was ist passiert?«

»Frag dein blondes Gift in der Badewanne!«

»Was? Wen soll ich fragen?«, er hielt sie am Arm fest.

»Lass mich, ich will jetzt gehen – und zwar für immer!«

Dejana riss sich aus seiner Umklammerung los und verließ die Wohnung, während ihr dicke Tränen über das Gesicht kullerten. Halb blind stürmte sie das Treppenhaus hinunter.

Tom lief unterdessen mit großen Schritten ins Badezimmer.

Er wollte sich selbst überzeugen, wovon Dejana gesprochen hatte.

Dejana blieb vor dem Haus stehen und wartete auf das Taxi, dass sie sich auf den Weg nach unten, mit dem Handy gerufen hatte.

Nach kurzer Zeit wurde hinter ihr die Haustür aufgerissen.

»Dejana bitte …, bleib! Sie ist nicht meine Verlobte!«, rief er ihr zu.

»Wer dann? Deine Großmutter?«, gab sie spitz zurück.

»Sie war einmal meine Freundin, aber zwischen uns ist es seit mindestens drei Monaten aus – weil du mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen bist.«

»Aber trotzdem hat sie noch einen Schlüssel und liegt bei dir in der Wanne. Das ist ja super, mein Bedarf an dir ist gedeckt!«

Ein Taxi kam und Dejana stieg ohne zu zögern ein. Während der Fahrt unterdrückte sie immer wieder die aufsteigenden Tränen. Zuhause angekommen warf sie sich mitsamt ihrer Kleidung aufs Bett und weinte bitterlich.

»Warum hab ich kein Glück mit den Männern, vor zwei Jahren hat mich Hannes verlassen und jetzt das … mit Toms Verlobten.«

Dejana rannen die Tränen über das Gesicht und ihr Körper bebte. Irgendwann übermannte sie die Müdigkeit und sie schlief ein.

 

Am nächsten Morgen kitzelten sie die Sonnenstrahlen, die ihr das Gesicht wärmten, wach. Doch schon im nächsten Moment erinnerte sie sich an den vergangenen Abend. Schwermütig stand sie auf und ging ins Bad.

Sie machte sich Kaffee und nagte lustlos an einem trockenen Knäckebrot herum.

Auf ihrem Handy waren mehrere SMS von Tom eingegangen. Dejana löschte sie ungelesen. Was sollte sie jetzt machen?

Zur Arbeit gehen, obwohl sie ohnehin arbeitslos werden würde … oder gleich zum Arbeitsamt?

Da fiel ihr Blick auf ihren Bildkalender an der Wand.

Ein herrliches Bergpanorama stach ihr ins Auge und brachte sie auf eine spontane Idee.

»Ja, das ist es! Ich fahre erst einmal auf die Hütte zu Lois, alles andere wird sich dann schon zeigen!«, sagte sie laut und nahm ihr Handy.

Sie informierte ihren Chef darüber, dass sie nicht mehr kommen würde, und verabschiedete sich dankend von ihm. Anschließend packte sie ihren Trolley und verließ damit ihre Wohnung.

Als sie das Gepäck im Kofferraum verstaut hatte, fuhr sie in Richtung Berge. Es wurde eine gemütliche Fahrt mit weniger Verkehr auf der Autobahn, als sie erwartet hatte.

 

Nach zwei Stunden kam sie auf dem Parkplatz unterhalb der Seilbahnstation an. Ihren Koffer ließ sie vorsorglich noch im Wagen, als sie zur Station spazierte. Dort setzte sie sich auf eine Bank und wartete, bis die Gondel kam.

Während sie dort verweilte, versank sie in ihre Gedanken.

 

Alles, was sie in den letzten zwei Tagen erlebt hatte, ging ihr durch den Kopf.

Die Gondel näherte sich leise schnurrend und Dejana stieg ein. Noch drei weitere Personen fuhren mit ihr schweigend den Berg hinauf.

An der zweiten Station stiegen alle aus.

Das kleine Stationshäuschen war von dichtem Tannenwald umgeben. Dejana orientierte sich erst einmal und versuchte sich zu erinnern, in welche Richtung sie gehen musste.

Ein kleiner Wegweiser zeigte zur Hütte aufwärts. Es war ein schattiger Schotterweg, und überall roch es nach Tannen und modrigem Holz.

Diese Seite des Berges wurde offenbar nicht von den Sonnenstrahlen verwöhnt, denn der Waldboden war mit dunklem Moos bedeckt.

Nach ein paar Minuten machte der Weg einen scharfen Bogen und setzte dem Wald ein abruptes Ende.

Der Schotterweg mündete in einen Erdweg und weite Wiesen gaben plötzlich einen herrlichen Blick auf das Bergpanorama frei. Mitten auf dem Hang stand die Hütte.

Mit bloßem Auge konnte Dejana sehen, dass ziemlich viele Gäste auf der Terrasse saßen. Wie sie näher kam, trat Lois gerade aus der Tür. Er winkte ihr zu.

 

Schon von Weitem rief er ihr entgegen:

»Servus Dejana! Du warst aber nicht lange weg von uns!«

Dejana ging einen Schritt schneller auf Lois zu. Als sie bei ihm war, umarmten sie sich freundschaftlich.

»Du hast recht, hast du einen Schlafplatz für mich?«

Lois grinste sie an.

»Klar, für dich doch immer. Wie lange willst du bleiben?«

»Ich weiß nicht, vielleicht für immer«, entgegnete sie vorsichtig.

Lois sah sie lange mit einem schiefen Blick an und schmunzelte leicht.

»Erst einmal für ein paar Tage, okay? Wenigstens so lange, bis ich ein wenig nachgedacht habe«, ergänzte sie schnell.

Lois strich kurz über Dejanas Arm.

»Wenn der Mittagsandrang vorbei ist, unterhalten wir uns. Dann kannst du mir erzählen, was passiert ist. Jetzt bring ich dir aber erst einmal was zu essen«, sagte Lois und klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter.

Dejana nickte und unterdrückte die aufsteigenden Tränen. Nachdem sie etwas gegessen hatte, legte sie sich in einen der Liegestühle neben der Terrasse und nickte ein.

»Schau, was ich für dich hab, eine frische Buttermilch«, sagte plötzlich die tiefe Stimme von Lois neben ihr und hielt ihr ein Glas hin.

Dejana schreckte hoch und sah auf das Glas mit der Buttermilch.

»Hmm – fein, danke.«

Lois zog sich einen Liegestuhl neben Dejana und setzte sich hinein.

»So, und jetzt sag-, was ist los?«

Während ihm Dejana ihr Herz ausschüttete, weinte sie immer wieder.

Lois strich ihr tröstend über den Handrücken.

»Das mit der Arbeit ist kein Problem. Wenn du willst, kannst du meiner Schwester auf dem Schlösschen und mir auf der Hütt’n helfen. Du wirst dabei zwar nicht reich werden, aber zum Leben reicht es allemal.«

»Würde das gehen? Das wäre ja super, denn ich wollte sowieso für längere Zeit weg von daheim«, strahlte sie und fühlte sich schon wieder ein wenig erleichtert.

»Natürlich geht das. Meine Schwester wollte sowieso eine Hilfe einstellen, denn der Herrensitz ist viel zu groß für eine Person. Ihre bisherige Hilfe, die Margot, ist vor einer Weile Mutter geworden und hat aufgehört. Der Besitzer lebt in Amerika und führt dort ein großes Luxushotel. Er ist ein gebürtiger Bayer, deshalb verbrachte er jedes Jahr ein paar Wochen hier auf seinem Gut.

Jetzt war er allerdings schon seit zwei Jahren nicht mehr hier. Seit seine Frau mit dem Wagen tödlich verunglückt ist, hören wir nichts mehr von ihm.

Jetzt muss er das Hotel allein führen, da kann er nicht so leicht weg.

Er hat Gerda, meiner Schwester, aber vor drei Wochen geschrieben, dass er dieses Jahr eventuell zur Sonnwendfeier kommen möchte, und wenn es nur für ein paar Tage ist.

Nachdem aber schon übermorgen Sonnwend ist und er sich bis jetzt nicht gemeldet hat, glauben wir, dass es wieder hinfällig wird.

Dabei würde es ihm sicher guttun, wieder hier zu sein.

Er ist einfach zu jung, um sich hinter der Arbeit zu verkriechen.«

»Wie alt ist, er denn? Hat er Kinder?«, fragte Dejana neugierig.

»Herr Smith ist ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, Kinder hat er keine.«

»Ein bayerischer Nachname ist das aber auch nicht«, erwähnte Dejana nebenbei und sah Lois fragend an.

»Das ist der Name seiner Frau, er hat ihn wegen des Hotels angenommen.«

»Okay, das verstehe ich.«

»Wenn du willst, rufe ich sofort bei Gerda an.«

»Gerne, das wäre toll!«, rief Dejana freudig aus. Lois stand auf.

»Ich bin gleich wieder da.«

Dejana beobachtete die Wanderer, die an der Hütte vorbeispazierten.

Sie schloss die Augen und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut.

»So, alles erledigt«, sagte Lois, während er wieder auf Dejana zukam.

»Du sollst gleich zu ihr kommen, sie braucht dich dringend! Ein Zimmer hat sie natürlich auch für dich. Herr Smith hat sich jetzt doch kurzfristig für morgen Nachmittag angesagt.«

»Okay, wie komme ich hin?«

Dejana stand auf und Lois fing an zu erklären.

»Jetzt pass auf – das ist ganz leicht. Am Parkplatz geht links neben der Station ein kleiner Schotterweg ab. Den fährst du «

Als Lois ihr den Weg erklärt hatte, umarmte sie ihn und gab ihm ein dickes Bussi auf die Wange.

»Danke, du bist ein Schatz! Ich schaue in den nächsten Tagen wieder bei dir vorbei.«

»Ist gut Dejana, spätestens übermorgen zur Sonnwendfeier.«

Mit schnellen Schritten lief sie zur Seilbahnstation. Sie hatte Glück, denn kaum war sie eingestiegen, fuhr die Bahn auch schon los.

Während der Fahrt betrachtete sie die Umgebung, es war eine herrliche Idylle.

Im Tal angekommen ging sie zügig auf ihr Auto zu, ließ sich in den Sitz fallen und startete den Motor. Sie konnte es kaum noch erwarten, ihre neue Heimat zu sehen.

Dejana hielt sich genau an die Hinweise, die ihr Lois gegeben hatte.

Schon nach ein paar Minuten Fahrt erreichte sie einen schönen Weg, der von saftigen Almwiesen umrahmt wurde. An einem Hang mit einer weiten Bergkuppe und herrlich bunt blühenden Wiesen stand ein gelb getünchtes Gebäude.

Es war mit mehreren Erkern und kleinen Türmchen mit roten Dachziegeln verziert und wirkte wie ein kleines Schloss.

Ein Naturzaun aus Rosensträuchern zog sich daran entlang. Bei diesem Anblick kam Dejana spontan über die Lippen:

»Das Schloss von Dornröschen «

Sie parkte auf dem kleinen Parkplatz hinter dem Haus und stieg aus. Eine rundliche Frau mit blonden, zu einem Knoten geschlungenen Haaren kam ihr entgegen.

»Hallo, ich bin Gerda!«, sagte sie laut, während sie Dejana die Hand hinstreckte.

»Ich bin Dejana, … hallo.«

»Schön, dass du schon da bist, ich habe nämlich Stress pur, seit sich der Hausherr nun doch angekündigt hat. Ich zeige dir gleich dein Zimmer, dann kannst du deine Sachen hochbringen und mir anschließend helfen.

Du musst entschuldigen, dass ich dich gleich mit Arbeit überrumpele, aber Morgen muss alles einwandfrei sein. Brauchst du einen Kittel von mir, damit deine Kleidung nicht schmutzig wird?«

Dejana lächelte sie an.

»Nicht nötig, ich ziehe mir etwas Unempfindliches an, das sich gut waschen lässt.«

Sie gingen einen schmalen Korridor entlang bis zu einer hölzernen Wendeltreppe. Während sie die Stufen in den zweiten Stock hochstiegen, erzählte Gerda, dass Herr Smith erst am Morgen angerufen hatte.

»Weißt, das macht er immer so: Zuerst rührt er sich nicht, und dann heißt es plötzlich, dass er schon am nächsten Nachmittag dasteht. Wenn er nicht so ein netter Mensch wäre, würde ich sagen, dass das ein unmögliches Benehmen ist!«

Dabei lachte sie laut und öffnete eine Tür am Ende des Korridors.

»Hier wirst du wohnen. Die Tür gegenüber geht zum Badezimmer. Das Bad teilen wir uns, aber wir kommen uns bestimmt nicht in die Quere, denn ich stehe morgens schon um fünf Uhr auf.

Du kannst dir nachher alles in Ruhe anschauen, wenn wir das Wichtigste erledigt haben. Jetzt hol zuerst deinen Koffer und zieh dich um, und dann kommst du zu mir in die Küche.«

Sie gingen beide die Treppe hinunter. Am Treppenabsatz blieb Gerda kurz stehen und deutete auf die Tür schräg gegenüber.

»Hier ist die Küche.«

»Alles klar«, sagte Dejana und verließ eilig das Haus. Sie brachte ihren Trolley auf ihr Zimmer und zog sich rasch um.

Der Raum hatte zwei größere Fenster, eines davon befand sich in einem kleinen Erker, den ein kleiner runder Tisch und ein Stuhl zierten.

Die Fensterfront war eine Halbmansarde, die gemütlich und geschmackvoll aussah. An der unteren Fensterhälfte hingen schöne Spitzenstores, die Vorhänge waren aus beigefarbenem Leinen mit zartem Blütendruck. Die Tischdecke und der Bezug des Stuhls waren aus dem gleichen Stoff.

 

Als Dejana fertig war, verließ sie ihr Zimmer und ging nach unten. Sie betrat die Küche, wo Gerda bereits am Herd stand.

Es roch nach Essig, Wein und Gewürzen. Lois’ Schwester nahm einen Topf von der Platte und sah zu Dejana.

»Der Sud muss jetzt noch kalt werden, dann kann ich das Hirschfilet darin einlegen. Übermorgen müssen wir nämlich Herrn Smith sein Lieblingsessen servieren, Hirschfilet in Rotweinsoße mit Spätzle und Preiselbeeren. Du kannst schon mal die Äpfel schälen und in dünne Spalten schneiden. Ich mache dann den Teig für den Kuchen. Und danach fangen wir mit den Zimmern an …, dort muss nur Staubgewischt und die Betten frisch bezogen werden.«

 

Während der Arbeit in den Zimmern erzählte Gerda von Herrn Smith. Sie lobte ihn in den höchsten Tönen. Dann sprach sie über seine Frau, die er vor zwei Jahren durch einen tragischen Unfall verloren hatte.

»Manchmal hatte er Heimweh, aber auch vor dem Unglück musste er schon immer allein kommen, denn seine Frau fürchtete sich vor dem Fliegen. Nur ein einziges Mal war sie dabei gewesen, in dem Jahr, als sie ihm dieses Haus gekauft hatte.«

Das laute Knurren von Dejanas Magen unterbrach Gerdas Redeschwall.

»Ach du Liebes bisschen, jetzt hätte ich dich vor lauter Arbeit fast verhungern lassen! Komm, wir gehen in die Küche und ich wärme uns etwas auf.«

Dort warf Gerda einen Blick auf die Wanduhr. »Ach was, wir können auch gleich zu Abend essen und dann Feierabend machen.

Morgen haben wir immer noch genug Zeit für die restliche Arbeit, denn wir haben heute schon sehr viel geschafft. Setz dich hin, ich serviere gleich das Essen.«

Während der Leberkäse in der Pfanne brutzelte, stellte sie Brezen und Senf auf den Tisch.

»Magst ein Bier dazu?«

»Gerne!« Dejana lief das Wasser im Mund zusammen, es duftete köstlich. Gerda stellte zwei Flaschen Bier und zwei kleine Maßkrüge auf den Tisch.

»Schenk uns schon mal ein.« Dann ging sie in die Speisekammer und kam mit einer Schüssel Kartoffelsalat zurück. Sie stellte die Teller mit den Köstlichkeiten auf den Tisch und beide ließen es sich schmecken. Dejana war danach bis zum Platzen voll.

»Ich glaube, ich brauche jetzt etwas Bewegung.«

Gerda trat mit ihr vor das Haus und deutete zu einem Weg.

»Wenn du diesen Weg da entlanggehst, hast du eine herrliche Aussicht ins Tal hinunter. Verlaufen kannst du dich nicht, denn es gibt nur diesen Weg. Du musst dich nur irgendwann umdrehen und heimgehen.«

Sie drückte ihr den Hausschlüssel in die Hand.

»Nimm den Schlüssel mit, damit du rein kannst, denn ich werde wahrscheinlich bald schlafen. Ich gehe immer sehr früh zu Bett und lese dann noch ein bisschen. Wir frühstücken morgen um halb sieben, bis dann, gute Nacht.«

Dejana spazierte noch eine Weile den Weg entlang, bis auch sie müde wurde.

Daraufhin drehte sie um und ging zum Haus zurück, auf ihr Zimmer, wo sie sich gleich zum Schlafen hinlegte.

Am nächsten Morgen streckte sie sich genüsslich in ihrem Bett, nachdem ihr Wecker geklingelt hatte. Sie stieg aus den Federn und lief barfuß zum Fenster.

Die frische Morgenluft, die hereinwehte, sobald sie es geöffnet hatte, sog sie tief in ihre Lungen.

Sie blickte zu dem herrlichen Bergpanorama vor ihrem Fenster.

Hier fühlte sie sich pudelwohl und war bester Laune, als sie ihr Bett aufschüttelte und ins Badezimmer ging.

Am unteren Treppenabsatz stieg ihr schon ein feiner Kaffeeduft in die Nase.

Sie betrat die Küche und wurde von Gerda herzlich begrüßt.

»Guten Morgen ... hast du gut geschlafen?«

»Danke, sehr gut – wie ein Bär.«

»Nimm Platz, du magst doch frische Rohrnudeln?«

»Oh ja, fein. Wann hast du die denn gemacht?«

»Heute früh. Ich muss Lois immer welche in die Hütte bringen, damit seine Gäste etwas zum Frühstück haben.«

»Und das machst du jeden Tag?« Gerda lachte.

»Na klar, jeden Tag: Rohrnudeln, frische Semmeln und Brot – das mache ich alles selbst«, erwiderte sie stolz.

»Wahnsinn!«, rief Dejana begeistert und biss herzhaft in das Gebäck.

Nach dem Frühstück machten sich beide an die Arbeit. Dejana putzte das Badezimmer und staubte im Lesezimmer an allen Wänden von oben bis unten die Bücherregale ab. Gerda machte sich über das Schlafzimmer und das Wohnzimmer her.

Während Dejana die Treppe wischte, saugte Gerda die Korridore.

Nachdem sie alles auf Hochglanz gebracht hatten, trafen sie sich in der Küche und bereiteten den Nachmittagskaffee und das Abendessen vor.

»Geschafft!«, sagte Gerda schließlich freudestrahlend.

»Jetzt kannst du machen, was du willst.«

»Wenn du mich nicht mehr brauchst, dann würde ich gerne noch zur Hütte hoch.«

»Mach nur, der Weg führt rechts neben dem Garten entlang, so kommst du schnell zur Seilbahnstation. Es sind nur knapp zehn Minuten bis dorthin. Du musst nur eine Station fahren, dort geht’s dann den Weg«

»Danke für die Wegbeschreibung, oben kenne ich mich aus. Soll ich Lois etwas mitbringen?«

»Nein, aber denk dran, dass um acht Uhr abends die letzte Gondel runterfährt – die darfst du nicht versäumen! Und nimm eine Weste mit, es könnte frisch werden, sobald die Sonne hinter den Bergen verschwindet.«

Dejana folgte Gerdas Ratschläge und machte sich auf den Weg. Schon nach einer knappen halben Stunde war sie bei der Hütte. Die Terrasse war voll mit Gästen. Von drinnen hörte sie Lois rufen:

»Ich bin gleich da, nur noch einen kurzen Moment!«

Dejana konnte in seiner Stimme hören, dass er im Stress war. Sie betrat die Hütte und steuerte direkt auf die Küche zu. Es war ziemlich warm. Mehrere Pfannen standen auf dem Herd und es duftete fein nach Kaiserschmarrn und Kaffee.

Lois stand am Ofen und war gerade mit einem Schmarrn beschäftigt.

»Hallo Lois, kann ich dir helfen?«, fragte sie ihn.

»Mensch, Dejana, Servus! Dich schickt der Himmel! Eine Firma auf Betriebsausflug ist eingekehrt und zusammen mit den restlichen Gästen ist es jetzt ziemlich voll – und alle haben einen Riesenhunger.«

»Was soll ich machen?«

»Schau du am besten nach den Pfannen, damit nichts anbrennt, dann kann ich unterdessen einen Wurstsalat machen.«

Dejana unterstützte Lois tatkräftig.

Nachdem alle verköstigt waren, setzten sie sich ebenfalls hin und unterhielten sich.

Lois fragte sie, wie es ihr bei seiner Schwester gefiele und ob sie mit den Vorbereitungen schon halbwegs fertig seien. Dejana lachte bei dieser Frage.

»Natürlich sind wir fertig, glaubst du, ich würde sonst hier sein?«

»So gesehen nein.«

Lois bot ihr einen Apfelsaft an und sie unterhielten sich über das Leben auf der Hütte und den Stress, den es manchmal mit sich brachte.

Die Gäste machten sich nach und nach auf den Heimweg und später half Dejana beim Geschirrabräumen mit.

Während sie Teller und Tassen spülten und abtrockneten, fragte sie Lois über den Eigentümer aus.

»Kennst du Herrn Smith persönlich?«

»Ungefähr so wie einen guten Nachbarn. Seit der letzten Sonnwendfeier sind wir per du miteinander, das hat sich so ergeben. Alles, was ich über ihn weiß, habe ich allerdings von meiner Schwester«, schmunzelte er entschuldigend.

»Ich bin schon ein bisschen gespannt auf ihn«, verriet Dejana.

Lois sah auf seine Armbanduhr.

»Ich muss jetzt die restlichen Gäste abkassieren und sie daran erinnern, dass die letzte Gondel bald runterfährt. Für dich wird’s übrigens auch langsam Zeit, sonst musst du bei mir im Bett schlafen. Das Haus ist nämlich bis unters Dach belegt.«

»Oh, das sollte ich wohl vermeiden, es würde bestimmt kein gutes Licht auf mich werfen«, sagte Dejana und beide lachten.

Dann verabschiedete sie sich und machte sich auf den Weg zur Station.

 

Während sie so dahinspazierte, genoss sie den Geruch des Waldes. Das Tal lag schon im Schatten der Berge, die Sonne war hinter den Gipfeln versunken. Ihr gedämpfter gelber Schein lag wie eine glänzende Decke über den Bergen.

Am Himmel gab ein Habicht laute Schreie von sich.

In Dejana stieg eine tiefe Zufriedenheit auf. Endlich konnte sie alles loslassen.

Sie kümmerte sich nicht mehr um den verlorenen Arbeitsplatz und um ihren treulosen Liebhaber, stattdessen hatte sie zwei liebe Menschen um sich und war von traumhafter Natur umgeben.

Glücklich stieg sie in die wartende Gondel, die beinahe voll besetzt war. Es waren überwiegend Paare mit Wanderstock und Rucksack ausgerüstet. Sie machten einen leicht erschöpften, aber zufriedenen Eindruck.

Bei der nächsten Station stieg sie aus und ging den schattigen Schotterweg entlang. Es war kühl und sie zog die Weste an, die sie auf Anraten von Gerda mitgenommen hatte. Nach ein paar Minuten kam sie auf den schönen Wiesenweg.

Von dort konnte sie in der Ferne schon das Anwesen sehen. Sie nahm eine Abkürzung quer über die Wiese. Im Haus war alles dunkel, nur in Gerdas Zimmer brannte Licht.

Vielleicht kam Hr. Smith ja erst morgen – oder hatte er womöglich doch noch abgesagt?

Eine leichte Enttäuschung machte sich in ihr breit, denn mittlerweile war sie sehr neugierig auf ihn.

Sie betrat den Hof, auf der Rückseite des Hauses und sah dort als Erstes eine große silberfarbene Luxuslimousine stehen.

»Er ist also doch da«, stellte sie laut fest.

»Wahrscheinlich schläft er schon wegen der Zeitumstellung.«

Im ganzen Haus war es still. Leise schlich sie auf ihr Zimmer und sah dort noch lange aus dem Fenster, ehe sie sich schlafen legte.

 

Am nächsten Morgen ging Dejana etwas früher in die Küche als am Vortag.

»Schön, dass du schon da bist, dann können wir miteinander frühstücken«, begrüßte Gerda sie.

»Ich habe Herrn Smith schon den Fitnessraum vorgeheizt, er ist bereits wach.«

»Das nenn ich aber sportlich. Macht er das immer so?«

»Ja, das ist sein morgendlicher Rhythmus. Erst treibt er Sport und dann nimmt er ein Bad. Anschließend frühstückt er.«

»Nicht schlecht, davon könnte ich mir eine Scheibe abschneiden«, sagte Dejana bewundernd.

Sie half Gerda das Frühstück auf den Tisch zu stellen, und während sie dann ihr Marmeladenbrot aß, unterhielten sie sich über den weiteren Tagesablauf.

Nach einer Weile stand Gerda auf.

»Jetzt muss ich langsam das Frühstück für Herrn Smith vorbereiten. Bleib ruhig sitzen, du kannst es ihm später hochbringen. Er möchte dich sowieso kennenlernen.«

Dejana beobachtet Gerda dabei, wie sie liebevoll ein Tablett mit Apfelkuchen und verschiedenem Gebäck anrichtete.

Sie ließ ihren Blick durch die Küche schweifen.

Es war eine schöne große Wohnküche mit weißen Möbeln. Die Wandkacheln über der Arbeitsablage und dem Herd waren mit zierlichen kleinen Rosenblüten dekoriert.

Die Tischdecke und die Polster auf der Sitzbank und auf den Stühlen hatten dasselbe Muster.

Sogar auf dem kleinen Lampenschirm über dem Esstisch wiederholten sich die Röschen.

Große Fenster erlaubten einen herrlichen Blick auf die Bergwelt.

»So, jetzt kannst du ihm sein Frühstück ins Speisezimmer bringen. Findest du hin?«

»Klar, den Weg habe ich mir gemerkt.«

Dejana nahm das Tablett und verließ die Küche.

Vor der Zimmertür blieb sie einen Moment stehen, dann klopfte sie zaghaft.

Ein lautes »Ja« erklang von drinnen und sie trat leise ein. Am Fenster mit dem Rücken zu ihr stand ein großer schwarzhaariger Mann.

»Guten Morgen, Herr Smith, ich bringe Ihnen Ihr Frühstück.«

»Ah, das ist fein.« Er drehte sich langsam zu Dejana herum und in diesem Moment fiel ihr beinahe das Tablett aus den Händen.

Sie war wie vom Donner gerührt und brachte keinen Ton heraus. Sprachlos starrte sie auf den vor ihr stehenden Mann.

»Das gibt es nicht – Dejana, bist du das?«, fragte er verwundert.

»Sag jetzt nicht, dass du die neue Hilfe von Gerda bist?«

Er strahlte sie freudig an und umarmte sie freundschaftlich.

»Toll siehst du aus«, raunte er ihr dabei ins Ohr.

Dejana hatte mit allem gerechnet, aber bestimmt nicht Hannes, ihren Ex-Verlobten, wieder zu treffen.

 

 

 

 

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Impressum

Texte: Silke May
Bildmaterialien: AAVAA Verlag
Tag der Veröffentlichung: 20.03.2013

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