Weinend glitt sie an der Wand hinab. Ich stand vor ihr und blickte auf das kleine Häufchen Elend hinab und es tat weh. So gern würde ich sie von diesem scheußlichen Ort webgringen, doch ich konnte es nicht. Hätte ich damals gewust, dass sie nur eine Figur in diesem Spiel ist, hätte ich ihr Leben sofort beendet. So aber hatte sie sich in mein Herz eingeschlichen. Bis ich ihr irgendwann vertraute. Ich war blind vor Liebe gewesen.
Für diesen Verrat jedoch, hätte sie keinen leichten Tod verdient - nein sie müsste leiden. Doch ich konnte es nicht.
Sie war die einzige Person, der ich ohne jeglichen Hintergedanken vertraut hatte. Mit ihren scheuen, rehbraunen Augen, die mich sofort in ihren Bann gezogen hatten.
Sie hatte mich aber auch gelehrt, dass es für jedes Leben einen Sinn gab, durch sie hatte ich so viele unbeschwerte Stunden erlebt - die ich nicht mehr hergeben würde. In meiner düsteren Welt waren solche Momente rar geworden.
Jetzt aber war der Zeiptunkt gekommen, getrennt Wege zu gehen, egal wer sie war.
Wortlos reicht ich ihr die Hand - kurz zuckte sie zusammen und wollte schreckhaft vor dem vermeintlichen Schlag ausweichen - doch es kam keiner. Langsam öffnete sie die Augen und ich konnt eine trügerische Hoffnung darin erkennen. Ich verschloss meine Emotionen vor ihr. Es tat weh, sie mit dieser Hoffnung zu sehen. Hatte sie denn in all der Zeit - die wir miteinander verbracht hatten - nichts gelernt?
Mit einer geschmeidigen Bewegung ließ sie sich aufhelfen und katapultierte mich aus meinen Gedanken.
Ich konnte den Blick auf mir spüren, doch ich erwiderte ihn icht. Mit präzisen Bewegungen holte ich aus und dennoch sah ich die Angst in ihren Augen, als ich sie niederschlug. Ihre Beine knickten ein und ich sah zu, wie der Kopf auf den Asphalt aufschlug. Blut sickerte aus einer Wunde und verfärbte meine Sicht rötlich. Ich verschloss meine Sinne und konzentrierte mich nicht auf den Geruch ihres Blutes. Denn meine Tat war hier noch nicht beendet. Ich kniete mich zu ihr auf den dreckigen Asphalt hin und wollte ihr die verräterischen Erinnungen an mich nehmen, doch es gelang mir nicht auf Anhieb. Mit all meiner restlichen Kraft, durchbrach ich gewaltsam ihren Bann und löschte die Erinnerung. Wieder zeriss es mein Herz nur bei dem Gedanken daran, dass sie mich nicht mehr erkennen würde. Doch es musste sein. Es war der einzige Weg, damit man mich nicht finden würde.
Ich stand wieder auf und taumelte kurz. Haltsuchend lehnte ich mich schwer keuchend an die Wand und schlang meine Arme um meinen Körper. Doch das Zittern wurde nicht besser und eine einzelne Träne bahnte sich den Weg über meine Wange.
Schwerfällig richtete ich mich auf und schaute noch einmal zu ihr zurück, dann stolperte ich in die dunkle Gasse hinein. Meine Entscheidung war richtig gewesen, doch ich fühlte mich wie ein geprügelter Hund. Mit jedem Schritt brachte ich immer mehr Distanz zu ihr. Immer weider spukte mir ein Gedanke durch den Kopf: ob es richtig war, sie dem Löwen zum Fraß vorzuwerfen.
Doch jetzt war es zu spät und ich musste meinen Weg von nun an allein gehen.
"Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen." Albert Einstein.
Ich stieg aus dem Zug aus und blickte mich um. Ich war von Menschen umgeben. De einen umarmten sich, die anderen hetzten noch zum Zug und die anderen warteten auf jemanden. Doch auf mich würde niemand warten. Aus diesem Grund packte ich mein Gepäck und lief in Richtung Bahnhofshalle um mich erstmal orientieren zu können.
Als ich in der besagten Halle ankam, fühlte ich mich einsam und ganz unbedeutend. Sie war so groß und auch hier wimmelte es nur so von Menschen. Um mir einen Überblick zu verschaffen, lief ich quer durch die Halle, an den Fahrkartenautomaten - die in der Mitte in einem Kreis standen - vorbei und die Treppe hinauf. Oben angekommen drehte ich mich einmal um meine eigene Achse. Von mir gegenüber war ein riesiges Glasfenster, das Dach erstreckte sich meilenweit über mir und alles wirkte so unbedeutend. All meine Probleme und Ängste verloren in dieser Halle an Bedeutung. Denn als ich den Menschen für eine kurze Zeit zusah, wie sie durch ihr Leben hetzten und gar nichts mehr um sich herum wahrnahmen, verspürte ich bedauern. Denn ich war früher auch so gewesen, hatte den Moment der Sicherheit für selbstverständlich angesehen. Stattdessen war er nie selbstverständlich gewesen, denn jetzt gab es keine Sicherheit mehr. Jetzt konnte ich niemanden Vertrauen.
Ich blickte kurz auf den Boden um mich wieder zu fangen und nicht hier - vor all den Menschen - meine Beherrschung zu verlieren. Ich atmete tief ein und langsam aus, versuchte die Beklemmung in meiner Brust zu lösen.
Irgendwann würde auch ich wieder so unbeschwert leben können. Doch zuerst musste ich meine Feinde vernichten. Der Weg den ich eingeschlagen hatte, war schon von sehr viel Blut und Gewalt gezeichnet, doch ich wusste nicht wie lange ich noch so Leben konnte. Jedes Leben, das ich zu meiner Verteidigung auslöschen musste, stellte sich mir in den Stunden danach immer die Frage, ob da draußen jetzt ein Kind gerade seinen Vater verloren hatte. Ob ich gerade das Leben einer Familie für immer zerstört hatte. Ich wusste, dass die betroffenen Menschen mich abgrundtief hassten, denn ich war die Schuldige für ihren Schmerz.
Das ließ auch mich nicht kalt - weckte in mir für kurze Zeit die Schuldgefühle, doch ich hatte nicht die Macht es zu ändern. Ich musste töten um selber zu überleben, denn wenn sie mich fangen würden, dann würden sie mich nicht einfach töten. Ich würde richtig leiden, nicht so wie die Soldaten - die ich ausslöschte, denn die starben alle schnell. Sie konnte nichts dafür, dass sie das Los gezogen hatten, mich klein zu kriegen.
Mit dem Wissen, dass wenn sie mich fangen würden, graußam gefoltert zu werden oder noch schlimmeres Aushalten zu müssen, wollte ich lieber durch meine eigene hand sterben, als in ihre Fänge zu geraten.
Sie hatten mich in meine Rolle hineingetrieben - ich hatte mir das nicht ausgesucht. Ich war das Opfer und die Gejagte, nicht sie. Ich war jetzt - in diesem Moment - der Gefahr um mich herum bewusst. Ich wusste, dass die Soldaten bald auch in dieser Stadt eintreffen würden, doch ich wusste nicht warum sie mich nicht einach in Ruhe ließen. Ich wollte endlich den Verlust betrauern. Ich hatte niemanden mehr und die Bilder von damals verfolgten mich in den Nächten. Dennoch wurde ich skrupellos und seit zwei Jahren durchgehend gejagt. In jeder Stadt fanden sie mich nach einer gewissen Zeit. Meistens war ich ihnen einen Schritt voraus und wenn nicht, dann mussten diese Person die sie geschickt hatten sterben. Sie schickten ihre Krieger mit gutem Gewissen in den Tod.
Dennoch hatte ich ständige Angst, dass sie mich in eine Falle locken würden, aus der es mir dann unmöglich war, mich zu befreien.
Genau diese Angst bewegte mich zum Handeln und so lief ich eilig die Treppe mit meinem Handgepäck, das aus einem alten, schäbigen Koffer un deinem Rucksack bestand hinauf. Ich sah mich wieder um, versuchte mich zu orientieren und den Ausgang zu finden. Ich wurde von der Seite angerempelt, taumelte zurück, fand aber mein Gleichgewicht. Die Halle war bemerkenswert, wenn man solch einen Anblick nicht gewöhnt war. Die hohe Decke mit den riesigen Fenstern, die vielen Menschen - der Marmorboden einfach alles hier war schön und einladend. Als ich den Ausgang gefunden hatte, stand eine Schlange von gelben Taxis schon bereit. Doch mir reichte das Geld nicht, um ein Taxi nehmen zu können.
Was würde ich darum geben, einmal in so ein Taxi einsteigen zu können... und wie ich es mir immer früher als kleines Kind vorgestellt hatte, durch diese Stadt zu fahren und einfach nur zu staunen oder wenigstens wie früher mich einfach im Taxi zurücklehnen und diesmal jedoch den Moment genießen zu können.
Doch stattdessen lernte ich diese Stadt - die niemals schläft - unter ganz anderen Umständen kennen. Alles war anders gekommen, wie ich es mir ausgemalt hatte. Doch ich war noch am Leben und das war der springende Punkt, ich konnte meine Zukunft noch verändern, konnte alles wieder zum guten Wenden, musste nur den Namen meiner Familie rein waschen, bevor ich wieder in mein altes Leben zurück kehren konnte.
Doch der Weg, den ich eingeschlagen hatte, würde grausam und blutig werden. Wahrscheinlich würde ich es gar nicht überleben, aber so konnte ich wenigstens sterben indem Wissen, dass ich alles in meiner Machtstehende versucht hatte.
Ich lief an den Taxis vorbei und blickte mich suchend nach dem Schild auf dem Subway stehen würde um, rechts von mir ungefähr zehn Minuten entfernt konnte ich eine Treppe ausmachen, die in den Untergrund führen würde. Da ich nichts zu verlieren hatte, lief ich einfach auf gut Glück, auf diese Treppe zu.
Als ich dann das Schild, mit dem Wort Subway sah, atmete ich erleichtert aus. Ich packte meinen Koffer mit der Hand und trug ihn die schmale Treppe nach unten. Unten angekommen, war ich wieder umgeben von Menschen. Auch hier gab es ein paar Geschäfte, doch ich ließ mich nicht beirren und lief zur nächsten Rolltreppe, die mich noch eine weitere Etage nach unten bringen würde. Die U-Bahn fuhr gerade ein und die Türen öffneten sich. Ein paar Menschen stiegen aus und ich quetschte mich auch noch zu den anderen Menschen hinein. Auch wenn es mir unangenehm war, ich hatte keine Wahl. Es ekelte mich, so dicht bei fremden Menschen zu sein. Es war purer Stress für mich und ich hielt es fast nicht aus. Ich hatte keine Platzangst, ich hatte nur Panik davor, dass vielleicht mein Feind hinter mir war und ich es zu spät bemerken würde. Ich spürte überall an meinem Körper fremde Berührungen, automatisch packte ich meinen Koffer ein wenig fester und achtete sehr auf meine Umgebung.
Die Gefahr - hier beklaut zu werden - war groß und dann hätte ich ein Problem, denn meine neue Identität - und all die Dokumente - waren in meinem Rucksack gut verstaut und auch mein restliches Geld - das nicht viel war, ich aber zum Überleben brauchen würde, für die ersten paar Wochen, waren auch darin. Ich tat solche Sachen nie in den Koffer, doch jetzt bereute ich es zutiefst.
Bei der nächsten größeren Haltestelle lehrte sich mein Abteil wieder und auch ich konnte mich auf die etwas ekelhaften, orangen Plastikstühle setzen. Manche sitzen waren schon ausgetauscht worden und mit einem dunkelorangerot versehen worden.
Nach zwanzig Minuten Fahrt war ich an der Reihe endlich aussteigen zu können und wieder Tageslicht zu sehen. Hastig lief ich nach oben und draußen angekommen, blieb einfach stehen und genoss die frische Luft um mich. Ein paar Sonnenstrahlen wärmten meine Haut und ich genoss den Moment einfach.
Bis ich angerempelt wurde und wieder in der Wirklichkeit war. Ich schaute mich um und war von dem Unterschied zum Zentrums New Yorks erstaunt. Die Wände um mich herum waren von Malereien beschmiert, die Straßen waren klein und schmal, Taxis suchte man hier vergeblich und auch die wenigen Menschen, die an mir vorbeiliefen, sahen sehr müde und fertig aus und trugen nur einfache Kleidung. Sie bemerkten mich gar nicht und liefen an mir mit einem Tunnelblick vorbei. Bronx war das Armenviertel von New York. Ich machte mich auf den Weg zu meiner neuen Wohnung und hoffte, dass sie in einem halbwegs ansprechenden Zustand war.
Texte: Lucy Tailor
Bildmaterialien: Coniaric http://piqs.de/fotos/15336.html
Tag der Veröffentlichung: 19.08.2013
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Widmung:
Ich widme es allen Fantasyliebhaber.