Das Arroganzamt!
Das Arroganzamt ist eine Welt, die das arbeitende Wesen nie zuvor gesehen hat. Jacques "Sperrzeit" Cousteau hätte hier mit seiner Calypso einige Bewerberbögen ausfüllen und außergewöhnliche Spezies entdecken können. Und weil es zu schade wäre, die Geheimnisse dieses lustigen Amtes in irgendeiner Büroschublade verschimmeln zu lassen, gibt es die ultimative Aufklärung. Aber bitte erst Antrag BAII1-21.02 ausfüllen!
Ich wollte diesem Defizit an Erkenntnissen Rechnung tragen. Deshalb habe ich mich aufgemacht, diesen Mikrokosmos der arbeitslosen Kunden und deren Berufsberater zu entdecken. Ich danke Frau Schmierinsfeld, die "Insiderin" des AA (wer hier denkt, es wären die Anonymen Alkoholiker gemeint, dem sei gesagt, soweit bin ich nun doch nicht mit unseren Recherchen gekommen!) für ihre äußerst pikanten Details, die in Tagebuchform vorlagen. (Liebe Frau Schmierinsfeld, suchen Sie nicht mehr danach, hat keinen Sinn). Sie ist Berufsberaterin beim Arroganzamt. Der Ort bleibt aus Diskretionsgründen geheim.
Montag, 4. Januar 2002
Morgens, 6.00 Uhr
Frau Schmierinsfeld erwacht aus ihrem komatösen Schlaf. Am Sonntagabend hat sie sich wieder so richtig die Hirse weggenebelt. Kein Wunder, sie ist Single, Ende Vierzig und spart aufgrund ihres Lebensstils auf eine kosmetische Operation der Furchen im Augen- und Mundbereich. Sie wirkt desorientiert, als sie ins Badezimmer wankt und auf dem Weg erstmal einen Kümmerling frühstückt.
Als sie in den Spiegel blickt, erschrickt sie, rülpst, und freut sich, dass sie ob ihres Atemausstoßes die Mahlzeiten des Vortages korrekt eruriert. Spinatpizza mit Knoblauch, hm lecker. Diese wird durch den morgendlichen Berufsbeschiss beseitigt. Nun fühlt sie sich stark genug für ihren aufreibenden Job.
Immer noch morgens, 7.30 Uhr
Aha. Das Amt ist schon von diesen Pennern bevölkert. Frau Schmierinsfeld weicht geschickt dem fragestellenden Pöbel aus. Sie mimt täuschend echt einen sogenannten Arbeitssuchenden und klopft an ihrer eigenen Bürotür, schließt auf und flüchtet hinein. Dies wird die einzige schnelle Bewegung ihrerseits für den heutigen Arbeitstag sein. Wir sind ja hier schließlich nicht beim Riesenslalom der Damen in Val'd'Isere.
Nun wird erstmal gemütlich der Mantel in die dafür vorgesehene Box drapiert. Sie schüttelt ihn aus, pickt imaginäre Krümelchen von der Schulter und zupft die Ärmel des sündhaft teuren Behängnis gerade. Fertig! Nach dieser Anstrengung ist jetzt der Kaffee angesagt. Sie ruft ihre Kollegin, Azubi Brettschneider an, damit sie Wasser holt. Während dieses Vorgangs schaltet sie ihren Computer an und breitet ihre frisch duftenden Teilchen aus der Bäckerei vor sich aus. Dann schaltet sie das Radio ein, welches ihr sagt, dass es gerade 8.00 Uhr geworden ist. Sie seufzt und wartet auf Brettschneider, die sich ja wieder mal erheblich Zeit mit dem Wasser lässt. Na, das wird nicht gerade die beste Note geben, Frl. Bettnässer!
Etwas später, ca. 9.00 Uhr
Nach ihrem ausgiebigen Frühstück überlegt sie, aus welcher Kollegin sie die neuesten Gerüchte herauspressen kann. Ah! Kempinski-Nöttler! Die nennen sie auch "Tageblatt". Mal sehen, was die berichten kann. Hastig wählt sie Kempinski-Nöttlers Nummer. Und sie traut ihren Ohren kaum! Da hat sich doch tatsächlich Kollege Mundschenk aus der Leistungsstelle aufgehängt! Dramatische Neuigkeiten! Sie prüft ihren Kalender, auf dem vier Penner stehen, die dummerweise um 8.30 Uhr zum Beratungsgespräch geladen wurden. Ausgerechnet jetzt! Typisch.
Sie bastelt schnell ein Schild "EDV defekt, wir bitten um Geduld!", heftet es unter Protesten der Penner an ihre Türe, schließt sich ein und unterrichtet sämtliche Kolleginnen über Mundschenks konstruktive Lebenskritik. Welchen Dreck der wohl am Stecken hatte? Sie grinst, bis sie sich dunkel erinnert, diesen Stecken schon einmal gesäubert zu haben. Und zwar auf der letzten Karnevalsfete im Amt. Auf der Herrentoilette im zweiten Stock ging es ja ziemlich hoch her. Da konnte man ja gar nicht sehen, mit wem man es zu tun hatte, geschweige denn, wer den Mund zu voll nahm! Egal, sie ist zu gut drauf, die Neuigkeit nicht zu verbreiten, als sich darüber noch Sorgen zu machen. Ist der doch selber schuld, denkt sie. Hätte er nicht mit der Chefin was gehabt, dann wäre der Job als Sklave bei Meisterin Schmierinsfeld sicher gewesen!
Vormittags, 11.30 Uhr
Der erste Penner draußen wird ungehalten. Er klopft jetzt schon seit über zwei Stunden gegen Schmierinsfeld's Tür. Nach einem Mirabellen-Likörchen ist sie bereit für den Pöbel. Der Mann ist 55, Maurer von Beruf, hat drei Kinder und wurde vom Arbeitgeber gefeuert, weil er sich im Methusalemalter bewegt. Sie sitzt ihm gegenüber und feuert ihm ihre persönlich überarbeiteten Fragen entgegen. Ob er denn öfter krank wäre? Der Penner gibt sich kleinlaut, weil er im Jahre 1978 einmal wegen Schädelbruchs eine Woche krankgeschrieben war. Sie schenkt ihm einen abschätzenden Blick und klimpert auf der Tastatur ihres PC's, druckt drei Jobs aus, die nichts mit den Fertigkeiten eines Maurers zu tun haben, drückt ihm diese in die Hand und entlässt ihn mit klirrender Stimme: "Wenn Sie sich da nicht vorstellen, dann werden Sie gesperrt!". Der Mann verdrückt eine Träne, nimmt schluchzend die Ausdrucke in die Hand und verabschiedet sich, während Frau Schmierinsfeld sich den blutroten Nagellack der Marke Klinik krallt.
12.00 Uhr
Endlich! Mittagspause, die heilige Zeit. Sie bastelt schnell wieder ein Schild "PAUSE!", heftet es an ihre Tür und schließt sich wieder ein. Sie überlegt, mit wem sie heute essen gehen könnte. Mit Krüger aus der Umschulung oder lieber mit Preschmayer aus der Revision? Sie frischt ihr Make-up auf, welches sie eine halbe Stunde kostet. Dann ruft sie Preschmayer an und bittet um einen Termin, den sie prompt bekommt. Sie nickt sich im Spiegel zu und dankt dem heiligen Ex-Arbeitsminister Blümel, dass er damals nur ältere Bewerber für das Amt zuließ. Somit war sie sogar in ihrem Alter noch eine der jüngsten. Sie verbringt ihre Mittagspause bei Kollege Preschi, der nicht nur ihre Teilchen zu schätzen weiß. Auf dem Weg zurück in ihr Büro zupft sie ihre Bluse zurecht, ignoriert die drei Penner, die seit 8.30 Uhr auf ihren Termin warten und schließt sich wieder ein.
14.30 Uhr, nach dem Käffchen
Verträumt guckt sie aus dem Fenster, überlegt, ob sie noch die Pille nehmen sollte oder ob ihre Menopause schon eingesetzt hat. Lustlos telefoniert sie mit ihrer Mutter, die sie schon wieder mit einer "ganz guten Partie" bekannt machen will und legt den Hörer erst auf, als sie ihre Mutter nicht mehr verstehen kann, weil draußen wieder Tumult herrscht. Sie schließt die Tür auf, packt das Schild "PAUSE" wieder ein und bittet den "Nächsten" herein.
Es ist eine junge Frau, 26, 2 kleine Kinder, alleinerziehend und mit abgebrochener Lehre. Na, der werden wir erstmal was erzählen! Sie mustert neidisch die makellose Haut der jungen Frau und streicht ihr sofort den Antrag auf Arbeitslosenhilfe. Das wäre ja noch schöner, wenn die mit dem Geld vom Amt sich ein schönes Leben macht!
Sie fühlt sich wieder einigermaßen besser und besticht durch ihre lässige Arroganz, während sich die makellose Haut ihres Gegenübers bald in ein verquollen aufgeschwemmtes Tränensackmeer verwandelt. Sie seufzt pathetisch, und lädt die junge Frau zum nächsten Besprechungstermin in drei Monaten wieder ein. Kopf hoch! Wird schon! Sie zwickt sich unter ihrem Schreibtisch in ihre linke Hand, damit sie nicht laut losbrüllt vor Lachen.
14.35 Uhr, Zigarettenpause
Frau Schmierinsfeld heftet das "Bin gleich zurück"-Schild an ihre Tür und versucht bei Kollegin Kempinski-Nöttler noch einiges über Mundschenk herauszufinden. Sie bekommt Käffchen und Kuchen, während sie die Vorzüge des Verblichenen lobpreist. Langsam wird sie müde und sie hat noch zwei Penner zu bedienen. Verkehrte Welt!
15.30 Uhr, kurz vor Feierabend
Sie kehrt in ihr Büro zurück und findet nur noch einen krakeelenden Penner vor ihrer Tür. Der andere hat aufgegeben. Sie bittet ihn herein und ist so richtig gut in Fahrt, weil Kempinski-Nöttler meinte, ob sie nicht zu reif für Mundschenk gewesen wäre. Pff, die Tucke muss gerade reden, die kriegt eh keinen mehr ab. Wer hier jetzt was abkriegt, ist der langhaarige Nichtsnutz, der ihr gegenüber sitzt. Sie lässt ihn gar nicht erst zu Wort kommen, bombardiert ihn mit Fragen und Anschuldigungen, lehnt sich danach gemütlich im Sessel zurück und ist überzeugt, dass es eine ihrer Glanzleistungen seit dem Rausschmiss des Akademikers letzte Woche war.
Sie zerrt die Bibel, auch Drittes Buch Asozialgesetzbuch genannt, aus ihrer Schublade und hält dem arbeitsfaulen Pack die Merkblätter für Vermittlungsfähigkeit entgegen. Sie entlässt ihn mit dem Tip, sein letztes Geld für den Friseur auszugeben und vielleicht hätte sie dann einen Job als Artdirector einer Werbefirma für ihn. Sie kichert noch auf dem Heimweg über ihren genialen Witz.
Eigentlich ist sie ja beim Amt total fehlbesetzt. Trotzdem war sie heute wieder voll leistungsfähig und schmeißt den Laden hier fast alleine. Zufrieden mit sich und ihrer kleinen Welt gönnt sie sich heute abend Pralinés und vielleicht auch den arbeitslosen Callboy, den sie letzten Freitag zum Vorstellungsgespräch ins Finanzamt geschickt hatte. Damit das faule Geschmeiß die tatkräftige Unterstützung zu schätzen weiß.
Tag der Veröffentlichung: 16.01.2010
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