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Prolog


Gehetzt sah sie sich um, sie waren näher. Sie meinte ihr Keuchen zu hören, nein, sie war davon überzeugt. Sie sah zu ihm, er strauchelte, fiel hin. In ihren Augen spiegelte sich die Angst, doch er hievte sich wieder hoch und sie stolperten weiter. Es schüttete, die nassen Kleider klebten ihnen an den Körpern, der Wind war stark und kühlte sie zusätzlich aus. Sie hörte vereinzelte Rufe ihrer Verfolger. Sie klangen wütend und waren definitiv näher. Sie blendete alles aus, konzentrierte sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzten, immer und immer wieder. Neben ihr brach er zusammen - und kämpfte sich abermals auf die Füße.
Endlich kam der Fluss in Sicht, ihre einzige Chance zu entkommen. Der Regen hatte ihn in einen reißenden Strom verwandelt, ganze Bäume riss er mit sich.
Ein kurzes Stück führte er sie am Fluss entlang und deutete auf ein Floß. Sie sprang darauf und er tat es ihr nach, rutschte aber ab und stürzte ins Wasser. Verzweifelt griff sie nach ihm, bekam ihn zu fassen und zog ihn mit letzter Kraft aufs Floß zurück.
Der Fluss warf sie und ihr Floß hin- und her. Sie gehörten jetzt ihm und er war nicht bereit, sie kampflos wieder herzugeben. Doch der Junge akzeptierte das nicht, er stand auf und übernahm das Steuer, sie hatte keine Ahnung, wo er die Kraft dafür herhatte.
Ihre Verfolger hatte sie abgeschüttelt und Erleichterung durchströmte das Mädchen. Lächelnd drehte sie sich zu ihm um und erstarrte. Sein Hemd war blutdurchtränkt und er sank in sich zusammen. Sie hatten ihn auf der Flucht erwischt, sie wusste nicht, wie lange er schon durchgehalten hatte.
»Nein! Lass mich nicht allein!« Sie sah ihn zitternd und flehend an.
»Ich bin...sich...sicher...du schaffst...schaffst das...« Seine Stimme war nur noch ein mühsames Keuchen, dann erlosch das Feuer in seinen Augen. Das Tosen den Flusses übertönte ihr schluchzten.

Kapitel Eins

Ich schlug wild um mich, als mich jemand am Arm nahm und mich von Zaro's Leichnam wegführte. Stimmen redeten auf mich ein, vermischten sich zu einem Summen, ich verstand kein Wort. Verzweifelt drückte ich mir die Hände auf die Ohren. Es sollte aufhören! Ich versuchte mich loszureißen doch der Griff verstärkte sich nur und ich brach schluchzend zusammen.
Schließlich fand eine einzelne Stimme den Weg in mein Bewusstsein. Ich sollte ihr gratulieren, schoss es mir in den Sinn, sie war die einzige bisher, die es geschafft hatte.
Die Stimme war sanft und beruhigend. Jemand half mir auf und meine Kraft verließ mich vollends. Widerstandslos ließ ich mich wegführen, weg von meinem Bruder, weg von dieser Nacht.
Ich spürte, wie mir eine Decke um die Schultern gelegt wurde und irgendjemand nötigte mich ans Feuer. Ich zitterte und klapperte so mit den Zähnen, dass ich Angst hatte, Stücke würden abbrechen.
Schließlich hob ich den Blick und blinzelte ein paarmal, bis ich klar sehen konnte. was ich sah, war das Gesicht einer jungen Frau, die mich besorgt anschaute. Ein erstauntes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ich nahm an, es lag an meinen Augen. Das eine war blau wie Eis, das andere grün wie Gras. Zugegeben, das war ungewöhnlich. Aber ich mochte meine Augen, sie waren etwas Besonderes. Was ich von dem Rest meiner Wenigkeit nicht behaupten konnte. Halblockiges schulterlanges Haar, das etwa die Farbe eines dreckigen, hellen Straßenkötersfells besaß. Ich war dünn, aber durchtrainiert.
Die Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
»Ich bin Flavia und wie heißt du?«, fragte mich Flavias Stimme, denn ich hatte die Augen wieder geschlossen und hörte sie daher nur, sah sie aber nicht. Ich öffnete die Augen wieder.
»Mein Name ist Lynn.«, verriet ich ihr, aber meine Miene blieb ausdruckslos.
Flavia sah mich offen an. »Hallo Lynn, wie geht es dir?«, wollte sie dann wissen.
Ich schnaubte.
Wie sollte es mir schon gehen? Super, wie immer, wenn ich den einzigen Menschen, der mir etwas bedeutet, verliere. Und ihnen Flavia? Haben sie heute auch schon einen Bruder verloren? Nein? Ach, dann wünsche ich ihnen noch viel Glück!
Ich hatte Zaro verloren, verdammt noch mal! Ich verfluchte mich selbst, als sich Tränen in meine Augen schlichen. Ich senkte den Kopf sodass mir meine Haare ins Gesicht fielen und es verdeckten.
Sie schien wohl auch bemerkt zu haben, dass das nicht die ideale Frage war und entschuldigte sich zerknirscht.
Ich riss mich zusammen und sah sie wieder an. »Wo bin ich hier?«
Sie war sichtlich froh, diese unangenehme Situation überstanden zu haben und antwortete mir sogleich. »Du bist im Lager der Fennek. Weißt du, wer wir sind?«
Ich nickte. Wie konnte ich sie nicht kennen? Es herrschte dauernt Krieg zwischen ihnen und den Ressar. Die kannten sogar mein Bruder und ich und wir lebten die meiste Zeit im Wald. Was ich auch besser fand.
Wären wir dort doch bloß geblieben...
»Möchtest du einen Tee?«, fragte mich Flavia. »Es sieht aus, als wäre dir kalt.«
Ich nickte. Welch scharfsinnige Beobachtung angesichts der Tatsache, dass ich zitterte wie Espenlaub. Der Tee wärmte meine Hände und in der Hast, in der ich ihn trinken wollte, verbrannte ich mir Zuge und Lippen. Leise fluchte ich und versuchte es ein zweites Mal, diesmal erfolgreich. Die warme Flüssigkeit begann mit von innen zu wärmen und mein Zittern ließ langsam nach. Der Schnaps, der in dem Tee war, bewirkte sein Übriges.
Flavia erzählte mir leise irgendwas und ich musste eingeschlafen sein, denn als ich die Augen aufschlug, blickte ich an eine Zeltdecke. Ich sprang auf, als mir alles wieder einfiel. Zaro, das kann nicht sein, du lebst!
Aber mein Gefühl wusste es besser, das alles war nicht nur ein Traum gewesen, nein, es verdammt noch mal die Realität!
Am Zelteingang bewegte sich etwas und mein Blick heftete sich darauf.
»Lynn! Du bist ja endlich aufgewacht!« Flavia schien sich wirklich darüber zu freuen.
»Warum endlich? Wie lange hab ich denn geschlafen?«, wollte ich fragen, doch aus meiner Kehle kam nur ein erbärmliches Krächzen. Flavia hielt mir einen Wasserschlauch hin und jetzt merkte ich erst, wie durstig ich war. Ich stürzte das Wasser geradezu hinunter und verschluckte mich mehrmals. Hustend gab ich Flavia den Wasserschlauch wieder zurück und bemerkte ihren amüsierten Blick. Ich funkelte sie an und wartete auf eine Antwort. Die mich dann überraschte.
»Drei Tage lang.«, lautete sie.
Ich hustete ein weiteres Mal, diesmal, weil ich mich vor Überraschung verschluckt hatte.
Bitte was? Was war in dem verdammten Tee gewesen?!
Meine Frage schien sich in meinen Augen deutlich widerzuspiegeln oder Flavia ahnte einfach, was ich dachte, denn sie kam zu mir und legte den Arm um mich.
»Unser Heiler hat dir etwas Schlafmittel in den Tee gegeben...« Ich riss mich los und starrte sie wütend an. »Lynn, bitte. Er wollte nur, dass du genug Zeit hast, dich zu erholen.
»Das würde ich immer noch gerne selbst entscheiden!«, schrie ich und genoss, dass meine Stimme wieder fast den alten Klang hatte. Wie sollte man den seinen Willen durchsetzten, nur mit einem Krächzen als Stimme?
Flavia tat das einzig richtige: Sie wartete, bis ich mich von selbst wieder beruhiget hatte.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.05.2013

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