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Für...

Für meine Mami, die es nie mehr lesen wird können.

Prolog

Schreie drangen durch die massive Holztür. Kindliche Schreie. Sie versuchte sich loszureißen, verzweifelt schlug sie um sich, biss und kratzte. Doch der Heimleiter hielt sie mit eisernem Griff, entkommen war unmöglich. Dann erstarben die Schreie plötzlich. Es war still. Zu still. Er kam mit der Peitsche und dem Knüppel aus dem Raum. An beidem klebte Blut. Ihr Bewacher lockerte seinen Griff unbewusst. Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen und trat nach hinten aus. Der Mann musste sie loslassen und sie stürzte in den dunklen Raum. Sie blickte entgeistert auf seinen leblosen Körper. Nein! Das durfte nicht sein! Nicht er! Auf seinem Rücken waren deutlich die blutigen Striemen zu sehen, die die Peitsche hinterlassen hatte. Sie lies sich auf den Boden fallen und nahm seinen Kopf auf ihren Schoß, sein Blut färbte ihr Kleid dunkelrot. Seine Augen waren geschlossen, ihre Tränen vermischten sich mit seinem Blut. Eine leise, stockende Stimme. »Ich...ich hab...hab mich doch ent...« Er hustete Blut. »...mich doch entschuldigt..«
Sie fing an zu schluchzten. »Bitte Sam...Sammy, du darfst nicht sterben...bitte!« Doch sein Blick war bereits starr geworden. Sie war allein, ganz allein. Sanft legte sie ihn auf den Boden. Dann stand sie auf, ging ruhig zur Tür und sah die Männer an. »Du bist ein verdammter Mörder! Ein Mörder! Du hast ihn umgebracht!« Sie sprang ihn an, biss ihm ins Ohr, bis sie Blut schmeckte. So viel Hass. Irgendwann wurde sie gepackt, drei Männer mussten sie festhalten. Sie brüllte und trat verzweifelt um sich. Dann kam ein Arzt, ein Stich und alles wurde schwarz.
Langsam lichtete sich der Nebel. Sie konnte wieder denken. Mörder! Sie war an eine Liege gefesselt und konnte kaum einen Finger bewegen. »Was sollen wir mit ihr machen?« Die Stimmen klangen entfernt, dann ganz nah. »Schlagen! Sie hat mir das Ohr abgebissen!« »Aber musstest du den Kleinen denn zu Tode prügeln?« Ein Wort. Ein Wort voller Hass und Verachtung. »Mörder!« Sie öffnete die Augen und blickte die Männer hasserfüllt an. Der mit dem verbundenen Ohr kam nah zu ihr. »Er -« Sie schrie los, brüllte wie am Spieß. »Er hat sich entschuldigt! Entschuldigt!« »Nein, er hat es verdient!«

Kapitel Eins

Ich blieb stehen und betrachtete das graue, nicht sonderlich einladend aussehende Gebäude. Ich seufzte. Sah nicht direkt nach schöner Wohnen aus. Aber das war nunmal mein neues Zuhause. In rostigen Metallbuchstaben stand über dem Eingang 'Kinderheim St. Beluga'. Das vermutete ich zumindest, denn das 'H' in Heim fehlte und das 'a' ebenfalls. Wer wohl davon erschlagen worden war? Vielleicht wurde ich gleich vom 'S' erschlagen? Ich stellte mir die Schlagzeilen vor:

Mädchen wird von bösartigem 'S' erschlagen
Heute Nachmittag gegen 16.00 wurde die 15-jährige Marley Rosen im Eingang des Kinderheims St. Beluga von einem tollwütigen, angriffslustigen 'S' angefallen. Sie überlebte nicht. Ende.

Ich grinste. Dann wurde mir eine Hand auf die Schulter gelegt und eine freundliche Stimme sagte: »Na Marley, komm wir gehen mal hinein.« Ich nickte, ging aber beim Eingang ganz links unterm 'K' vorbei. Das war nicht ganz so bösartig, hatte ich beschlossen. Im Inneren war es abgedunkelt und wirkte staubig. Es war alles mit dunklem Holz verkleidet und die Fenster waren sehr klein und es war wohl auch schon etwas her, dass sie Bekanntschaft mit einem Putzlappen gemacht hatten.
Hinter dem Tresen, der übrigens aus dunklem Holz bestand -oh Wunder- stand ein grauhaariger Mann. Besagter streckte mir seine Hand entgegen. »Du musst Marley sein?« Ich schüttelte die Hand und blickte den Mann an. »Die bin ich. Und ich wurde von keinem 'S' erschlagen!« Er sah mich irritiert an. »Wie bitte?« Ich winkte ab. »Vergessen sie's.« Er wirkte leicht zerstreut und brauchte einen Moment, um sich wieder zu sammeln. Die Frau vom Jugendamt hielt sich im Hintergrund und ich vertrieb mir die Zeit damit, auf meiner Kette herumzukauen. Als er fertig war mit Gedankenordnen, nickte er mir zu. »Komm mit, ich zeige dir dein Zimmer.« Ich schnappte meine Tasche und rannte ihm nach. Vor einem Zimmer im zweiten Stock mit der Nummer 9 blieb er stehen und öffnete sie. Ich blickte in einen Raum, den ich erstmal als Besenkammer identifizierte, bis ich die Betten entdeckte.
Der Heimleiter ging ins Zimmer und riss die Vorhänge auf, worauf milchiges Licht - die Fenster schienen das Wort putzen nie auch nur gehört zu haben - den Raum erfüllte. Von der Größe her lag ich mit Besenkammer garnicht so schlecht.
Auf dem einen Bett lag ein Mädchen mit dem Gesicht zur Wand und als wir eintraten blieb sie genauso liegen. Ich sah sie interessiert an und Mr. Grey - wie ich inzwischen anhand seines Namensschilds entziffert hatte, wie passend - deutete auf sie. »Das ist Rocky. Sie redet nicht.« Ich blickte das Mädchen an. Sie wirkte nicht sonderlich interessiert. »Aber taub ist sie nicht, oder?«, versicherte ich mich. Er schüttelte nur den Kopf und verließ meine Besenkammer - Verzeihung, unsere Besenkammer, es gab ja noch die taub-stumme Rocky - , drehte sich aber im Türrahmen nocheinmal um. »Abendessen gibt es um Sieben. Rocky führt dich bestimmt in den Saal.« Ja klar, davon war ich überzeugt.
Als er weg war, inspizierte ich das 'Zimmer' genauer. Die Betten waren ungefähr so weich wie die Mamorarbeitsplatte meiner Oma. Sehr gemütlich. Es gab einen Schrank, der ganz leer war. Wo zum Teufel hatte Rocky ihr Zeug untergebracht? Ich schleuderte meinen Rucksack auf mein Bett und mich hinterher. Im selben Moment stöhnte ich auf. Morgen hatte ich wahrscheinlich tausende von blauen Flecken. Ich blickte auf das gegenüberliegende Bett. »Ich heiße Marley.« Keine Reaktion. »Ich bin 15 und du?« Keine Reaktion. »Wie lange wohnst du schon hier?« Keine Reaktion. Ich beschloss, mich demnächst mal mit dem Schrank zu unterhalten. Er wirkte so gesprächig wie Rocky. Weil ich nicht lange stillsitzen konnte, sprang ich auch bald wieder auf und riss die Fenster auf. Wie sich herausstellte, hatte diese Besenkammer sogar einen Balkon. Nur keine Balkontür. Sehr sinnvoll. Für mich allerdings kein Problem. Ich klettere einfach durchs Fenster. Bevor ich allerdings auf den Balkon sprang, sah ich ihn mir genauer an. Zum Glück. Er sah alles andere als stabil aus. Der Boden war bröckelig und als ich vorsichtig einen Fuß darauf setzte, bröselte er. Ich zuckte die Schultern und betrat den Balkon. Immerhin hatte ich einen imaginären Angriff eines 'S' überstanden. Es knirschte, was ich aber erfolgreich ignorierte. Als ich mich vorne an das Geländer lehnen wollte, löste es sich und ich fiel damit in die große grüne Hecke, die das Gelände vollständig zu umgeben schien. Diese federte den Fall des Geländers weich ab und das Geländer federte meinen Fall weniger sanft ab. Noch ein paar blaue Flecken. Ich befreite mich und das Geländer aus der Hecke und schleifte es mit in die Eingangshalle. Mr. Grey wollte gerade dazu ansetzten etwas zu sagen, als ich es auch schon lautstark die Treppe hochschleppte, nicht ohne Mr. Grey freundlich gegrüßt zu haben. Am Zimmer angekommen, manövrierte ich es durch die Tür und schließlich durch das Fenster. Das Fenster bekam leider ein paar Kratzer ab, aber das dürfte es ja nicht unbedingt stören. Draußen angekommen lehnte ich das Geländer wieder an die übrigen Seitenteile und kletterte zurück ins Zimmer.
Dort angekommen setzte ich mich aufs Bett. Auf draufschmeißen verzichtete ich diesmal. Rocky lag so da wie am Anfang. Aber leben tat sie schon, oder? »Ähm...wo ist die Toilette?« Keine Reaktion. Ach nein, hätt ich nie erwartet. Ich stupste sie an. Keine Reaktion. Ich verdrehte die Augen. Dann machte ich mich selbst auf die Suche. Ich versuchte es ersteinmal im Erdgeschoss. Ich ging gerade einen Flur entlang, als eine Stimme mich dazu veranlasste, mich umzudrehen. "Marley! Was war das eben denn?« Ach der gute, alte Mr. Grey. »Ich habe das Geländer zurückgebracht. Warum fragen sie?« Er blinzelte. »Welches Geländer?« »Na das vom Balkon!« Mit diesen Worten drehte ich mich um und lief weiter. Dann fiel mir noch etwas ein. »Äh..Mr. Grey? Wo ist denn der Waschraum?« »Den Flur entlang und dann rechts.«, antwortete er automatisch. »Dankeschön!« Und schon war ich verschwunden. Als ich den Waschraum gerade verlassen wollte, kam mir ein kleinerer Junge entgegen, der mich total entsetzt ansah. Ich betrachtete mich ebenfalls. Eigentlich sah ich wie immer aus. Jeans, T-Shirt, Chucks. Dunkelblonde zerzauste Haare und blaugrüne Augen. Wie immer. Wäre auch ungewöhnlich, wenn sich meine Augenfarbe täglich ändern würde. »Hier...hier ist der Jungenwaschraum.« Er stotterte und wurde rot. Ich grinste ihn an. »Macht nichts, ich komm klar.« Warum blieben immer alle verdattert stehen, wenn ich ein Gespräch beendet hatte?
Bis zum Abendessen, blieb mir noch etwas Zeit das Gelände zu erkunden. Ich ging also auf meinen Ausgangspunkt - Der Weg, der zum Heim führte - und blickte mich um. Links von mir war die Hecke. Rechts auch. Wow, so spannend hatte ich mir das Gelände garnicht vorgestellt. Ich lief erstmal zur rechten Hecke und betrachtete sie. Sie wuchs ganz an die Wand des Gebäudes, aber auf der linken Seite sah es besser aus. Durch ein Loch im Gebüsch gelangte ich in einen Art Tunnel. Er war allerdings so tief, dass ich nur auf Knien durchkriechen konnte. Blöderweise wuchsen allerlei Pflanzen auf dem Tunnelboden. Was an sich nicht schlimm wäre, prinzipiell hatte ich nichts gegen Pflanzen. Nur waren unter diesen auch Dornenranken, die sich in meinen Knien steckend, unangenehm anfühlten. Ich fluchte und biss die Zähne zusammen. Ich kroch weiter und versuchte meine Knie soweit wie möglich zu schonen. Es gelang nicht besonders gut. Irgendwann lichtete sich die Hecke zu einer Seite und ich konnte einen dicken Metallzaun, der mir wegen der Hecke noch garnicht aufgefallen war, bewundern. Ich hockte mich hin und blickte raus. Das gesamte Heimgrundstück lag etwas abseits von dem eigentlichen Dorf St. Beluga auf einer großen Wiese. Ich sah also ein ganzes Stück Wiese und dann den Waldrand, der sich in allen möglichen Grüntönen präsentierte. Oma hatte auch ganz nah am Wald gewohnt und ich hatte dort viel gespielt. Die Sonne ging schon langsam unter und ich wollte den Tunnel noch vor dem Abendessen ganz erkunden, weshalb ich mich aufraffte und weiterkroch.
Irgendwann wurde dieser sehr, sehr eng und ich musste auf dem Bauch weiterrobben. Ich zog mich mit den Armen am Busch entlang und versuchte mit den Füßen mitzuhelfen. Als der Tunnel endlich wieder größer wurde, setzte ich mich erschöpft auf und streckte die Arme. Ich gestaltete in meinem Kopf eine Liste der Dinge, die mich Morgen erwarteten.
1. Viele blaue Flecken
2. Noch mehr blaue Flecken
3. Dornen in den Knien
4. Muskelkater in den Armen
Ich lehnte mich zum Verschnaufen gegen den Zaun, der an dieser Stelle wieder zu sehen war, nur um gleich darauf rückwärts einen Hang herunterzupurtzeln. Ich stöhnte auf und notierte
Punkt 5: Noch sehr viel mehr blaue Flecken.
Warum brach heute eigentlich alles hinter, vor oder unter mir weg? Ich rappelte mich auf und sah mich um. Ich lag halb in einen kleinen, mit Schilf bewachsenen, Teich, aus dem sich ein Frosch lautstark über die Störung beschwerte. Konnte ich ihm nicht verdenken. Ich würde mich auch beschweren, wenn jemand, der Fünfzig mal so groß und völlig verdreckt war, halb in meinem Zimmer liegen würde. »'Tschuldigung. Ich wollte eigentlich gar nicht baden.«
6. Anklage wegen Ruhestörung und Hausfriedensbruch bei Herrn Frosch.
Ich stand auf und kämmte mir kurz durch die Haare, um das gröbste Moos daraus zu entfernen. Inzwischen war die Sonne fast hinter einem Hügel verschwunden und ich machte mich seufzend auf den Rückweg.

 

Kapitel Zwei

Nachdem ich den Zaun wieder provisorisch zusammengeflickt hatte - Ich hatte das rostige, herausgebrochene Stück mit ein paar Grashalmen festgebunden - maschierte ich in den Speisesaal. Ich war tatsächlich etwas zu spät, wie mir die große Uhr über der Theke zeigte. Deshalb ging ich gleich zur Ausschenke und stellte mich mit einem Tablett hinten an. Vor mir stand der Kleine von der Toilette. Er hatte gerade sein Essen bekommen und ich klopfte ihm auf die Schulter. Er zuckte zusammen und lies sein Tablett fallen. Weinend rannte er aus dem Speisesaal. Ich bekam mein Essen und wollte einen Bogen um die Sauerei auf dem Boden machen, rutschte aber aus und schleuderte mein Tablett in die Luft. Das Essen landete direkt auf der Frau, die es mir eben erst auf den Teller getan hatte. Sie war von oben bis unten damit bekleckert und sah mich zornig an. »Jetzt ist das gesamte Essen hier im Raum verteilt!« knurrte sie durch zusammengebissene Zähne. Ich blickte sie kurz an. »Ach das macht nichts, ich nehm mir was neues!« Ich lächelte, drehte mich um und nahm einem kleinen Mädchen, das in der Nähe stand, sein gefülltes Tablett ab und sah mich um. An einem Tisch entdeckte ich Rocky. Sie saß alleine. Ach nein, was für eine Überraschung. Ich stellte mein Essen geräuschvoll ab und ließ mich neben Rocky fallen. Inzwischen schaute mich der gesamte Speisesaal an. Ich drehte mich um und blickte in die Runde. Ich hob die Hand. »Hey, ich bin Marley!« Dann wandte ich mich meinem Essen zu.
Rocky zeigte keine Reaktion. Ich stellte den Speisesaal auf den Kopf und sie schaute nichtmal auf?! Ich schüttelte den Kopf. Ich betrachtete mein Essen, das nach überfahrenem Hund aussah. Armes Vieh. Ich probierte ein stück Hund und schmeckte, dass ich nichts schmeckte. Ja, der Hund war völlig geschmacksneutral. Na hervorragend. Ich zog eine Grimasse und würgte das arme Vieh herunter. Zwischendurch meinte ich einen Hauch Geschmack zu schmecken, musste mich aber geirrt haben. Ich ließ mein Tablett auf dem Tisch stehen und verließ als erste den Raum, um nocheinmal in die Hecke zu kriechen, bevor es dunkel wurde. Als ich am Zaunloch ankam, blickte ich in den Wald und schließlich setzte ich mich an den Teich und lauschte dem Gequake der Frösche. Wahrscheinlich gab es Morgen überfahrenen Frosch oder so.
Mhmm lecker.
Irgendwann dämmerte es und ich ging zurück ins Zimmer. Rocky lag dort, wo sie schon lag, als ich angekommen war. Inzwischen war ich mir nicht mehr so sicher, ob sie vorhin wirklich im Speisesaal gewesen war oder ob sich der Geist des Abendessens nur verkleidet hatte.
Ich hatte mich gerade - vorsichtig - aufs Bett gelegt, als es an der Tür klopfte. Ein paar Sekunden später steckte Mr Grey seinen Kopf in das Zimmer. »Marley? Würdest du bitte kurz mitkommen?« Ich nickte und sprang auf. »Klar, gerne!«
Er führte mich in sein Büro und bedeutete mir, mich hinzusetzen. »Wenn Sie mich wegen des Geländers sprechen wollen, ich habe es wieder befestigt!« Ich sah ihn erwartungsvoll an.
»Äh...nein, die Küchenleiterin hat sich bei mir beschwert.«
»Oh.«
»Sie hat mir erzählt, dass du das Essen auf dem Boden verteilt hast.«
»Ich wollte sie nicht mit Hund beschmeißen, ich bin ausgerutscht!« verteidigte ich mich.
»Welcher Hund?« Er hob fragend eine Augenbraue.
»Das Essen meine ich. Ich versuche aufzupassen, oke?«
»Marley du-« Weiter kam er nicht, ich hatte den Raum schon verlassen und die Tür zugeknallt. Ich blieb stehen und dachte kurz nach. Dann öffnete ich sie noch einmal rief 'Tschuldigung' und schloss sie leiser. Aber nur ein bisschen leiser. Ich meinte noch, Mr. Grey verzweifelt aufstöhnen zu hören, doch ich hüpfte schon die Treppe hoch.
Im Zimmer ankommen führte ich noch ein kurzes Gespräch mit dem Schrank und setzte mich dann auf mein Bett. Gleich darauf kam eine Frau ins Zimmer und verkündete, dass jetzt Bettruhe war. Ich legte mich hin, als sie das Licht löschte. Das Bett war echt steinhart. Ich warf mich unruhig hin und her und nahm schließlich mein Bettzeug, schmiss es über den Balkon und sprang hinterher. Auf der Hecke breitete ich mein Laken aus und machte es mir, in meine Decke gekuschelt, gemütlich. Viel besser. Ich blickte in den Sternenhimmel und schlief schließlich ein.
Ich wachte auf, als der Himmel sich bunt färbte. Ich setzte mich auf und überlegte kurz. Heute war Sonntag. Morgen würde der Unterricht beginnen. Toll, wie ich die Schule liebte. Wenigstens hatte ich noch einen freien Tag. Ich hatte keine Ahnung, wann, geschweigedenn was es zu Essen gab, aber auf überfahrene, geschmacksneutrale Viecher hatte ich eh keinen Hunger.
Ich hatte mich vor dem Schlafengehen nicht umgezogen und schmiss deshalb nur mein Bettzeug ins Zimmer und kroch in die Hecke. Ich öffnete das Gitter und rannte dann lachend über die Wiese. Ich breitete die Arme aus und drehte mich. Die Sonne war inzwischen ganz aufgegangen und leuchtete warm in mein Gesicht. Ich lächelte.
Als ich den Wald betrat empfing mich der Duft von Sommer. Und ein kühler Wind. Ich fröstelte leicht. Ich atmete ein und ging tiefer in den Wald hinein. Ich hörte ein Plätschern und folgte diesem Geräusch. Kurz darauf kam ich an einem Bach an, der etwa einen Meter breit und 30 cm tief war. Ich zog meine Schuhe und Socken aus und hielt die Füße ins Wasser. Es war eiskalt und ich zuckte zurück und wartete kurz, bis sich meine Füße an die Kälte gewöhnt hatten. Ich watete durch das Wasser zu einer tieferen Stelle, wo ich erst mein Gesicht wusch und schließlich einfach den ganzen Kopf ins Wasser steckte - um gleich wieder prustend aufzuspringen. Verdammt war das kalt! Aber ich war wach und erfrischt. Gut gelaunt folgte ich dem Bachlauf und verfolgte lachend meine Schuhe, die ich als Boote ins Wasser gelegt hatte und die nun von der Strömung mitgerissen wurden. Ich hüpfte einen kleinen Wasserfall hinunter und sah weiter vorne meine Schuhe. Dann sah ich sie nichtmehr. Ich legte den Kopf schief und lief weiter. Der Bach verschwand hier in einer Art Höhle, die sich in einem riesigen Felsen befand. Neugierig kniete ich mich hin, um hinein schauen zu können. Es fiel aber nicht genug Licht hinein, um etwas erkennen zu können. Ich versuchte hineinzukriechen, aber der Eingang war zu eng. Ich blickte mich um und beschloss dann, zu schauen, ob sonst noch ein Eingang zu finden war. Es war keiner zu finden. Mist. Ich erkundete den Wald noch weiter, konnte aber nichts Interessantes mehr finden. Irgendwann ging ich also wieder zurück ins Heim. Das Frühstück war schon vorbei, als ich in den Saal stapfte. Barfuß. Die Schuhe lagen ja in der Höhle. Die Höhle...»Marley!« Ich schrak aus meinen Gedanken auf und winkte Mr. Grey, der auf mich zueilte. »Marley, wo warst du denn? Du hast das Frühstück verpasst!« Ich lächelte ihn an. »Das macht nichts, ich habe ein paar Walderdbeeren gegessen.« Er sah mich an. »Aber...aber...also ich meine, du kannst nicht einfach morgens im Wald verschwinden und wieder kommen, wenn du Lust hast!« Er fuchtelte verzweifelt mit den Händen vor meinem Gesicht herum. Ich blickte ihn offen an. »Warum denn nicht?« Jetzt schien der Arme wirklich verzweifelt. »Weil das Heim für dich verantwortlich ist!« »Ach, ich komm ganz gut allein zurecht!« Ich drehte mich um und rannte in die Essensausgeberin, die ich bekleckert hatte. »Oh tut mir leid!« Ich ging an ihr vorbei und lief weiter, wurde aber an der Schulter herumgerissen. »Wo sind denn deine Schuhe?!« Ich blickte in das Gesicht eines Mannes, den ich noch nie gesehen hatte. Was ging ihn das bitte an?! »In einem Bach.« Er funkelte mich wütend an. »Was machen deine Schuhe im Bach?!« Er hielt mich grob fest. »Sie gehen Baden!« Meine Augen funkelten wütend. »Und außerdem tun sie mir weh!« Ich riss mich los und rannte in Rocky. Herrgott, wieso liefen mir immer alle im Weg rum? Rocky blickte den Mann an, sie stand da wie angewurzelt. Die Hand zur Faust geballt. Ich blieb interessiert stehen, ich hatte das Gefühl, dass gleich etwas passieren würde. Sie fixierten sich, starrten sich in die Augen. Der Fremde und Rocky. Rocky zeigte eine Reaktion! Wow, das war ja mal was! Aber jetzt wieder zu der eigentlichen Handlung. Beide standen also da, fixierten sich. Und standen da. Ich runzelte sie Stirn. Dann hörte ich ein zischen: Rocky. Sie fauchte nur ein Wort, ein einziges. Aber darin lag so viel Hass und Verachtung, dass ich zusammenzuckte. »Mörder!« Dann drehte Rocky sich um und rauschte aus dem Raum. Ich warf dem 'Mörder' - wie auch immer Rocky darauf kam - kurz einen Blick zu und folgte dann Rocky. Sie rannte inzwischen. Weg. Aus dem Heim.
Ich verfolgte sie, doch sie beachtete mich nicht. Rannte. Irgendwann gab ich es auf, lief zurück ins Heim und wollte gerade in meine Besenkammer gehen, als ich an Mr. Greys Büro vorbei kam. Die Tür stand einen Spalt breit offen und ich hörte Stimmen. Leise schlich ich näher heran und lauschte. »Was hatte Rocky denn? Ken...kennen Sie sie denn?« Das war Mr Grey. Eine tiefere, kratzige Stimme ertönte. Die Stimme des Fremden. »Nein, sie muss mich verwechseln, ich habe sie noch nie gesehen.« Es trat eine kurze Stille ein, in der Papier raschelte. Dann wieder der Fremde: »Wie dem aus sei, sie sind alt und brauchen ihre Ruhe, sie müssen nur hier unterschreiben und ich kümmere mich um diese Gören.« Gören? Reizend. Was unterschreiben? Und was meinte er damit, er würde sich um uns kümmern? »Es sind keine Gören, die Kinder sind nett. Und ich würde den Beruf eigentlich gern weitermachen...es macht mir Spaß.« Der Fremde stöhnte auf. »Das haben wir doch schon alles durchgekaut! Ich übernehme das Heim Ende diesen Monats! Sie wollte doch schon immer an die Küste ziehen!« »Ja, sie haben recht....« Es trat wieder eine kurze Stille ein und ich spürte geradezu wie der Fremde gewinnend grinste. Mr. Grey hatte also unterschrieben. Ich wusste nicht wirklich, was ich davon halten sollte. Wie auch, ich wusste nichtmal worum es ging. Ich zog mich nachdenklich in die Besenkammer zurück. Ich dachte lange nach und döste irgendwann weg. Ich wachte auf, als die Sonne schon tief stand. Es war früher Abend. Und ich verhungerte gerade. Ich hatte schließlich den ganzen Tag noch nichts gegessen. Kurz spielte ich mit dem Gedanken mir den Frosch zu fangen, verschmiss ihn allerdings gleich wieder. Armes Fröschchen. Also wieder in den Wald.

Kapitel Drei

Mit knurrendem Magen lief ich in die Schlucht und sah mich um. Ich war gewohnt, mir mein Essen selbst zu suchen, also ging ich davon aus, dass ich schnell etwas im Magen haben würde. Doch zu allererst wurde meine Aufmerksamkeit von dem mir nicht unbekannten Felsen erregt, der meine Schuhe gekidnappt hatte. Aus seiner Richtung drang nämlich ein klägliches Maunzen. Ich folgte dem Klagelaut und blieb schließlich vor dem Schuhe- und neuerdings anscheinend auch Katzenverschliengenden Spalt stehen. Ich ging in die Knie und beachtete dabei das eiskalte Wasser nicht, dass um meine nackten Füße floss und in dem Killerspalt verschwand. Wie zum Teufel war das Katzenvieh da hineingekommen? Die musste wirklich noch klein sein. Ich hielt die Luft an und lauschte. Die Katze tat anscheinend das Selbe, denn es war totenstill. Toll, so konnte ich natürlich super feststellen, wo genau sie sich befand. Es blieb still. Auch als ich mich bewegte. Ich kletterte auf den Felsen und sah mir den Spalt von oben an. Er war stockfinster. Was hatte ich denn auch erwartet? Dass dort unten eine paar Straßenlaternen standen und den Spalt gut beleuchteten? Eher unwahrscheinlich. Andere Leute würden jetzt wahrscheinlich dahin zurücklaufen, wo sie wohnten und eine Lampe und Hilfe holen. Ich nicht. Stattdessen legte ich mich auf den Bauch und langte mit dem Arm hinein. Die Katze war immer noch still.
Ich tastete die Wand ab und berührte dann etwas Nasses, Plüschiges. Im nächsten Moment hatte ich die Krallen dieses Plüschigen in der Hand und zog sie fluchend zurück. Ich betrachtete meine Hand so gut es in dem immer schwacher werdenden Lichtes des Waldes ging und hielt sie dann ins Wasser. Das Blut bildete rote Schlieren und verschwand rasend schnell im Spalt. Die Killerkatze fauchte jetzt. Vielen dank. Du mich auch. Ich riss einen Streifen meines T-Shirts ab und umwickelte damit meine verletzte Hand. Ich kletterte vom Felsen und lief einmal drumherum. "Eigentlich müsste ich jetzt durch einen versteckten Eingang in eine unterirdische Höhle gelang-" murrte ich leise, während ich weiterstampfte und im nächsten Moment der Boden unter mir nachgab. Na also! Dachte ich. Dann landete ich im eiskalten Wasser und die mörderische Kälte raubte mir den Atem. Dass ich bei meinem Aufprall auf die Wasseroberfläche auch eine Eisschicht durchbrach, bildete ich mir wahrscheinlich nur ein. Aber Tatsache war: Es war arschkalt und ich musste hier schleunigst raus, sonst würde ich zum Eiswürfel werden. Und da das nicht meiner zukünftigen Lebensplanung entsprach, zwang ich meine Arme und Beine dazu, zu schwimmen. Keuchend und hustend schleppte ich mich schließlich auf den 'Sandstrand'. Ich wälzte mich auf den Rücken und spielte paniertes Tiefkühlschnitzel. Zitternd setzte ich mich auf, zog meine Klamotten aus, wrang sie aus und zog sie wieder an. Mit dem Ergebnis, dass ich noch sandiger, aber genauso nass war. Was für ein Erfolgserlebnis. Ich sah mich um, wo ich gelandet war und sah in einer Ecke zwei Augen, die im immer schwächer werdenden Licht, das durch den Spalt fiel, leuchteten. Ach ja, die Killerkatze. Der provisorische Verband hatte sich bei irgendeiner Gelegenheit aufgelöst und in den Schnitten in meiner Hand befand sich Sand. Unglaublich angenehm. Ich hockte mich hin und beobachtete die Katze ebenfalls. So saßen wir eine Zeitlang da und beobachteten uns, hielten Augenkontakt. Ich hasste es, bei diesem Spiel aufzugeben - ich hasste es allgemein, aufzugeben - aber da ich nicht erfrieren wollte, musste ich schließlich doch aufgeben, um nachzusehen, ob meine Füße noch existierten, spüren tat ich sie jedenfalls nichtmehr. Sie waren noch da. Beruhigend. Jetzt kam ich auf die Idee, meine verlorenen Chucks zu suchen und wurde bei genauerem umsehen in der Höhle auch schnell fündig. Sie lagen in Richtung Katze. Ich stand auf und stakste in diese Richtung. Sollte mich das Vieh doch fressen, meine Füße froren gerade ab und ich wollte meine heißgeliebten Chucks gefälligst zurück. Ich schnappte sie und ignorierte das Knurren. Ich lief zurück und setzte mich wieder. Ein Stück näher an der Katze als vorher. Irgendwie sahen die Augen nicht wie bei einer kleinen Katze aus. Irgendwie sah die Katze auch nicht nach einer kleinen Katze aus, als sie jetzt aufstand und näher zu mir lief. Sie sah eher aus wie ein junger Tiger. Das könnte wahrscheinlich daran liegen, dass diese Katze, die gerade auf mich zulief, auch ein Tiger war. Jeder andere, vernünftige Mensch hätte jetzt seine Schuhe geschnappt und das Weite gesucht. Ich bin nicht wie jeder andere und vernünftig bin ich wahrscheinlich auch nicht. Höchstwahrscheinlich. Ich blieb nämlich sitzen und hielt dem Tiger die Hand hin. Er zog sie wieder in seine Ecke zurück. Klar wusste ich, dass es hier in der Gegend Tiger gab, es gab genug Geschichten darüber. Nur waren sie verdammt selten geworden und ich hatte nicht erwartet, hier einen so nah an der Zivilisation anzutreffen. Das erklärte natürlich die Kratzer. »Miez, Miez!« Ich stand auf und ging dann wieder in die Knie. Hmm...so klappte es scheinbar nicht. Ich musste sehen, ob der Tiger verletzt war und wie zum Teufel ich ihn hier herausbekam. Und wie ich hier herauskam.

Ich stehe im Ring. Ich sehe hinaus zu den Jungs, sie alle Jubeln, freuen sich auf einen blutigen Kampf. Ich sehe zu meinem Gegner. Ich weiß, dass ich gewinnen werde und er weiß es auch. Jeder weiß es. Ich Gewinne immer. Jeden Kampf. Verloren habe ich schon so lange nichtmehr, das sich keiner mehr an das letzte Mal erinnert. Keiner außer mir. Ich kenne das Gefühl, zu wissen, dass man gleich verliert. Ganz gleich, ob man sein Bestes gibt. Ich bin lang nicht der Älteste, nein. Aber ich bin der Beste. Ich verabscheue das Kämpfen, ich verabscheue das sinnlose Blutvergießen, vielleicht ist das ja der Grund, warum ich so gut bin. Ich hasse mich für jeden einzelnen Schlag, den ich austeile, für jeden Knochen, den ich breche. Ich weiß, dass mich das nicht besser macht als die anderen. Ich werde auch diesen Kampf gewinnen, so wie jeden anderen, ich werde meinen Gewinn nehmen und so tun als würde ich mich freuen. Dann werde ich gehen. Weg von den anderen. In eine dunkle Ecke und werde weinen. Weinen, weil ich das geworden bin, was ich nie sein wollte. Ein Schläger. Es tut nichts zur Sache, ob es mir Spaß macht, oder nicht. Allein was zählt ist, dass ich es tue. Dass ich andere absichtlich verletzte. Es tut nichts zur Sache, dass ich versuche so wenig Schaden wie möglich anzurichten, die Gegner so wenig wie möglich zu verletzten. Ich werde nicht gezwungen. Nicht direkt. Ich muss Geld verdienen. Natürlich gibt es andere Wege. Aber nicht viele, zumindest nicht für jemanden wie mich.

Ich fing an eine Melodie zu pfeifen, irgendeine. Hatte ich mir gerade ausgedacht. In diesem Moment begann es zu Gewittern. Aber richtig. Super, das machte den Tiger bestimmt zutraulicher. Ich pfiff weiter. Was sollte ich auch sonst machen? Es war inzwischen stockfinster in der Höhle, hin- und wieder erhellte ein Blitz sie für einen Moment.
Irgendwann war ich wohl eingeschlafen, denn als ich aufwachte, fiel ein heller Lichtstrahl durch den Spalt. Ich zitterte und es war hier unten immer noch arschkalt. Im ersten Moment wunderte ich mich noch, wo ich abgeblieben war. Hatten sie die Zimmer im St. Beluga umdekoriert? Auf Hölenstyle? Mir kam diese Theorie nicht einmal so abwegig vor und ich verwarf sie erst, als ich mich an letzten Abend, beziehungweise letzte Nacht erinnerte. Keine neue Deko also. Na gut. Achja, da war noch irgendwas gewesen. Genau. In dieser Höhle hier war ja noch ein Tiger. Stimmt. Wo genau war der eigentlich? Immer noch zitternd blickte ich mich um. Das würde eine Fette Erkältung geben. Juhu.
Die Miezekatze war zuerst nirgendwo zu entdecken. Nach einer weiteren Runde umschauen, entdeckte ich sie schließlich auf einem Vorsprung nahe des Spaltes. Ein Vorsprung? Nahe am Spalt? Na, wenn das sich mal nicht nach einem Ausweg anhörte! Würde da nicht eine Großkatze draufhocken. Die musste da irgendwie weg. Nur wie? Ich versuchte es erstmal wieder auf die übliche "Miez, Miez"-Tour. Überraschenderweise erfolglos. Naja, überraschend war es eigentlich nicht sonderlich, aber erfolglos auf jeden Fall. Ich beschloss die Mieze erstmal genauer zu betrachten und dann weiterzuüberlegen. Die Mitze war etwa 1,50 m ohne Schwanz lang und die Schulterhöhe schätzte ich auf 90 cm. Mit dem möglichen Gewicht befasste ich mich nicht. Ich trat versuchshalber einen Schritt näher ran. Nichts passierte. Noch einen Schritt. Und noch einen. Na also! Lief doch super! Und noch einen. Fauchen. Mist.
Ich trat einen Schritt zurück. Das fauchen erstarb. Gut, soweit durfte ich nach der Meinung des Tigers also gehen. Ich hockte mich an Ort und Stelle im Schneidersitz auf den Boden und überlegte. Dann klopfte ich meine Taschen ab. Und entdeckte ein Karamellbonbon. Das musste noch vom Jugendamt sein. Die Dinger schmeckten klasse. Aber ich wollte hier nicht ewig hocken, deshalb packte ich es aus und streckte es dann schweren Herzens der Katze unter die Nase. Mochten Katzen Karamell? Ich ließ sie schnuppern und pfiff dann die gleiche Melodie wie gestern Abend - weil mich schlicht und einfach in diesem Moment nichts besseres einfiel und ich davon überzeugt war, dass das beruhigend wirkte - und lief ich eine andere Ecke um das Bonbon dort zu platzieren. Nichts passierte. Die Katze saß nach wie vor in Brathuhnstellung (also auf dem Bauch und Vorderpfoten unter den Körper abgeknickt) zusammengekauert da. Karamell war wohl nicht ganz ihr Fall. Tja, Pech. Mein leider schon. Also wenn meine Mieze das Bonbon nicht wollte...mit einem genüsslichen Schmatzen lutschte ich es.

Kapitel Vier

Irgendwann hatte ich keine Lust mehr zu warten, mir war kalt, ich hatte Hunger und wollte verdammt noch mal aus dieser blöden Höhle. Ich lief also auf den Tiger zu und stellte mich direkt vor ihn. Er blickte mich aufmerksam an, wirkte aber nicht aggressiv. Warum hatte ich es nicht gleich so gemacht? Ich blickte ihm tief in die Augen und versuchte ihn per Gedankenübertragung dazu zu bringen, zur Seite zu gehen. Ich hatte nicht wirklich mit Erfolg gerechnet und er blieb auch aus. Ich versuchte es noch eine zeitlang, dann wurde es mir zu blöd und ich knuffte die Katze einfach in die Seite. Erschrocken fauchend machte sie einen Satz zur Seite und sprang dann vom Vorsprung. Brav. Ich kletterte nun meinerseits auf den Vorsprung und versuchte, die Tatsache zu ignorieren, dass sich die Katze jederzeit von hinten auf sich stürzen konnte. Nervös linste ich trotzdem über die Schulter. Entdecken konnte ich sie aber nicht. Wahrscheinlich hatte sie sich in den Schatten zurückgezogen. Schön. Einigermaßen beruhigt streckte ich mich, um an den Rand des Risses zu kommen, um mich daran hochzuziehen. Vergeblich. Ich hüpfte hoch. Ebenfalls vergeblich. Kein Wunder. Der Riss war knappe zwei Meter über mir. Ich verdrehte die Augen über mich selbst. Wenn der Tiger da nicht hochspringen konnte, war ich selbst wohl eher noch weniger in der Lage dazu.
Frustriert schlug ich mit der Faust gegen die Wand. Wenn ich jetzt erwartet hatte, dass sich eine Geheimpforte öffnet, war ich jetzt wohl enttäuscht. Ich hockte mich auf den Vorsprung und ließ die Beine baumeln. Durch den Spalt kam ich nicht hinaus. Durch das Loch, durch das ich hier gelandet war, fiel als Ausgang auch weg. Es führte ins Wasser, wie ich ja schon festgestellt hatte. Das Wasser. Ich schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Natürlich! Irgendwo musste das Wasser schließlich hin, sonst wäre die Höhle schon längst überflutet. Hoffentlich war der 'Abfluss' so groß, dass ich auch durch passte. Voller Tatendrang sprang ich auf und lief zum Rand des Beckens. Ich suchte die Wände ab, in der Hoffnung, vielleicht doch noch einen Ausgang zu finden, ohne durch dieses Nordpol-Wasser tauchen zu müssen. Natürlich nicht. Glücklicherweise war das Wasser so klar, dass ich bis auf den Grund sehen, und somit aus den Wandteil, der unter Wasser stand, absuchen konnte. Ich kniete mich hin, kniff die Augen zusammen und suchte konzentriert die Wand ab. Ich war so konzentriert, dass ich den warmen Atem erst recht spät bemerkte.

Jake hat versucht mir lesen und schreiben beizubringen, so gut er es eben konnte. Er hatte gehofft, dass ich es schaffen würde, dass ich hier herauskam, etwas besseres werden würde. Doch er hatte mir auch kämpfen beigebracht, weil er gewusst hatte, dass auch ich kämpfen würde müssen. Hier bist du geboren, hier lebst du und hier stirbst du. Früher oder später. Eher früher. Du kommst hier nicht weg. Hier gibt es keine Gesetze, keine staatlich festgelegten zumindest, hier herrscht das Recht des stärkeren. Hier gibt es keine Gesetzesvertreter, hier gibt es niemanden, der für Ordnung sorgt. Selbst die Polizei meidet das Viertel, es ist zu gefährlich. Viele Polizisten sind hier schon gestorben. Gestorben, weil sie für Gerechtigkeit sorgen wollten. Aber die Bewohner dieses Viertels hier wollen das nicht, sie haben Angst, ihr hart erkämpftes Ansehen zu verlieren und für ewig im Knast zu landen, denn fast alle hier gehören eingesperrt.

Abwesend täschelte ich mit der Hand den Kopf der Raubkatze und murmelte. »Gleich, mein Kleiner. Gleich." Da ertönte ein Schnurren und ich drehte den Kopf langsam zur Seite. Das saß der Tiger und drückte seinen Kopf schnurrend an meine Hand. Ungläubig starrte ich ihn an. Er öffnete du Augen und blickte direkt in meine. Im nächsten Moment war er im tieferen Schatten der Höhle verschwunden. Mit klopfendem Herzen setzte ich mich hin und blickte in die Dunkelheit, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Tiger würden ohne triftigen Grund keine Menschen angreifen, nein. Aber ich war nicht nicht sicher, ob er nicht vielleicht doch einen triftigen Grund hatte. Keine Ahnung, wie lange er schon hier war und ich war mir doch recht sicher, dass bei Tigern Hunger ein triftiger Grund zum angreifen war. Ich schluckte. Aber eben war er doch ziemlich schmusig gewesen!
Ich zuckte die Schultern und wand mich wieder dem Wasser zu. Er hatte mich eben nich gefressen, warum sollte er es jetzt denn tun? Schließlich entdeckte ich einen Schatten an der Wand und lief am Wasser entlang, sodass ich direkt gegenüber dem Schatten stand und ihn genauer betrachten konnte. Ich juchzte auf, als ich entdeckte, dass es sich wirklich um ein Loch handelte. Dann fiel mir die Wassertemperatur wieder ein und setzte meiner guten Laune recht stark zu. Aber was blieb mir anderen übrig? Ich streckte mich, holte tief Luft und sprang dann ins Wasser. Die Kälte raubte mit den Atem aber ich zwang mich dazu, Schwimmbewegungen zu machen. Irgendwann nach gefühlten drei Stunden - in der Realität dürften es knappe 10 Sekunden gewesen sein - berührte ich die Wand. Ich tastete und fand zu meinen Glück recht schnell das Loch. Mit meiner Hand konnte ich inzwischen nichts mehr ertasten, sie war zu abgefroren, aber mit dem Kopf ging es doch noch recht gut. Ich riss die Augen auf und schwamm in das Loch hinein. Es als eng zu bezeichnen, wäre untertrieben gewesen. Ich kam mir vor wie ein Stückchen Leberwurst. Genau genommen hatte ich noch nie gefragt, wie sich ein Stückchen Leberwurst in der Plastikpackung fühlt, aber so stellte ich es mir in etwa vor. Ich nahm mir vor, die nächste Leberwurst, die ich traf, einmal zu fragen. Jetzt zog ich mich mit den Tauben Armen nach vorne, bis ich mit dem Kopf an die Wand stieß. Ich wollte erst laut losfluchen, überlegte es mir dann aber anders. So viel Luft hatte ich nun auch wieder nicht. Und Zeit auch nicht. Und Körperwärme erst recht nicht. Stattdessen tastete ich die Wände ab. Eigentlich schleuderte ich eher meine Arme um mich, um zu merken, ob ich anschlug oder nicht. Wenn nicht, ging der Weg dort vielleicht weiter. Und er ging weiter. Auch auf jauchzen verzichtete ich, sondern Schwamm schnell weiter. Es ging senkrecht nach unten. Und die Luft wurde langsam knapp, sehr knapp.
Ich beeilte mich noch mehr und hoffte, dass es bald irgendwo Luft gab. Sehr bald. Ich schwamm schneller, die Luft wurde immer knapper, längst tastete ich mich nichtmehr vor sondern schwamm einfach. Mit Mühe unterdrückte ich den Reflex, tief Luft, beziehungsweise in meinem Fall tief Wasser zu holen. Ein paar Sekunden später wurde mir schwindelig und schwarz vor Augen. Mein letzter Gedanke war, dass ich wohl öfter wieder schwimmen gehen sollte.

Kapitel Fünf

Ich spürte einen Schmerz im Fuß und holte tief Luft, bevor ich die Augen öffnete. Momentmal...Luft? War ich nicht eben noch unter Wasser gewesen? Ich schlug die Augen auf und blickte gegen groben Felsen. Weil das zwicken im Bein nicht aufhörte, blickte ich schließlich in Richtung meines Fußes. Der Tiger zwickte mich, stellte ich dadurch fest. Schön. Er blickte mich an und ich erwiderte den Blick. Dann hörte er auf, mein Bein zu malträtieren und schob sich rückwärts, bis er außer Sichtweite war. Ich war in einer kleinen Grotte gelandet, um genau zu sein, war nur mein Oberkörper inklusive Kopf - ohne Kopf wäre höchstwahrscheinlich auch nicht so vorteilhaft gewesen. Wie in Gottes Namen hätte ich den denn wieder finden sollen? - meine Beine die hingen noch in dem halb überfluteten Gang. Irgendwie hatte ich Probleme, mir das Tunnelsystem vorzustellen. Erst war ich geradeaus geschwommen, dann nach unten und jetzt war ich im trockenen. Naja, halbtrockenen. Meiner Meinung nach fließt Wasser nach unten und müsste somit die Höhle hier wieder auffüllen. Vielleicht irrte ich mich ja auch. Wie dem auch sei, ich hatte Luft, und wie die hier her kam und warum sie immer noch hier ist, war mir im Moment eigentlich relativ egal. Ich setzte mich auf und blickte mich nun weiter um. Die Höhle - Verzeihung, eher das Höhlchen, so groß war sie auch wieder nicht - war eigentlich mitten in einem Tunnel, es gab zwei Gänge, in dem einen war der Tiger verschwunden und ich war dort wahrscheinlich hergekommen und der andere verlief genau in die entgegengesetzte Richtung. Der Tigergang verlief nach unten und war überflutet, der andere Gang nach oben und war trocken. Nach meinem Taucherlebnis fiel mir die Entscheidung nicht wirklich schwer. Kurze zeit später stieg der Gang so an, dass ich eher klettern musste als kriechen. Ich holte mir etliche Schürfwunden und fluchte laut, schließlich hatte ich jetzt genug Luft dazu. Irgendwann meinte ich einen Lufthauch zu spüren und es hätte mich kaum gewundert, wenn es ein Drache gewesen wäre, der an mir schnüffelte um zu entscheiden, ob ich fressbar war oder nicht. Was ich in meinem Zustand bezweifelte. Er würde mich erst im Ofen auftauen müssen. Aber es war kein Drache, wie ich gefühlte drei Wochen Kletterei später feststellte. Es war ein Ausgang und die Luft, die in meinen Schacht strömte war warm. Der Drache würde doch noch zu seinem Mittagessen kommen. Sofort machte sich mein Magen bemerkbar. Ich beeilte mich noch etwas und schleppte mich mit letzter kraft über die Kante. Keuchend blieb ich zwischen den Waldblümchen liegen. Ich sehe den Blick meines Gegners, er versucht seine Angst zu verstecken und äußerlich fest entschlossen zu wirken. Doch ich beobachte Menschen, ich kenne ihre Körpersprache. Das kaum erkennbare zucken seiner Augenlider, seine Pupillen, die hin- und herhuschen. Einen Moment bin ich versucht, ihn gewinnen zu lassen. Aber das geht nicht. Ich bin der Star, wenn ich verliere ist mein Leben keinen Cent mehr Wert. Auf den Startruf, springt er nach vorne, versucht mich am Kopf zu erwischen, doch ich bin schneller, habe mich weggeduckt und stehe nun hinter ihm. Ein Schlaf auf den Rücken und er gerät ins straucheln, fängt sich aber wieder. Es ist vollkommen still. Die Sonne scheint zwischen den Bäumen hindurch aus einem strahlend blauen Himmel auf den Waldboden. Endlich Wärme. Ich Strecke mich wohlig aus, muss aber wieder an den Tiger denken. Er hat mich gerettet, er muss mich durch das Tunnelsystem geschoben haben, bis ich an einer Stelle mit Luft ankam. Hoffentlich ging es ihm gut. Ich stand auf und ging, naja okay, ich wankte eher, zum Felsspalt. Ich hätte dort, auch wenn ich hochgekommen wäre, nicht durchgepasst. Was mir eigentlich auch klar hätte sein müssen. Ich ließ mich neben den Spalt fallen und Pfiff die Melodie. Ein Miauen antwortete mir. So ist's brav. Nur wie sollte ich das Kätzchen hinausgekommen? Durch den Spalt schonmal nicht. Das Kätzchen war, wie bereits erwähnt, nicht direkt klein. Ich blieb erstmal so liegen, so konnte ich gut nachdenken. Und auftauen. Ich zitterte immer noch. Ziemlich stark. Um genau zu sein, blieb ich liegen, weil ich kaum in der Lage war, mich zu bewegen. Ein klägliches Miauen Drang zu mir nach oben und ich rappelte mich auf. Ich würde schon irgendwie warmwerden. Dachte ich und fiel wieder hin, sobald ich stand. Fluchend versuchte ich es ein zweites und drittes mal, bis ich endlich stand. Die Welt drehte sich und mir war schwindlig. Und wäre ich nicht gerade am verhungern und hätte noch etwas im Magen, müsste ich mich wohl übergeben. Wie gut, das dem nicht so war. Was war schon verhungern gegen sich erbrechen müssen? Die Welt wurde endlich klarer und ich sah mich suchend um. Wie zum Henker konnte ich den Tiger dort herausbekommen? Mein Blick fiel auf einen Baumstamm. Aber wie sollte ich den durch den Spalt stecken? In Bretter Sägen? Ich hielt nach einem Biber Ausschau, die waren ja mit Holz ganz geschickt. Wie ich dem erklären sollte, was ich von ihm wollte, hatte ich mir noch nicht überlegt. Hatte sich dann auch erledigt, den zufällig wartete nicht gerade in der nähe ein Biber darauf, einem tiefgekühlten Mädchen zu helfen, einen, jetzt womöglich ebenfalls tiefgekühlten, Tiger aus irgendeinem Loch zu ziehen. Ich konnte natürlich versuchen, das Kätzchen durch mein Pfeifen durch das Tunnelsystem zu navigieren, durch das auch ich herausgekommen war. Aber erstens war der Tiger dafür wahrscheinlich zu groß und wenn ich er wäre, würde im leben nicht noch einmal in dieses Nordpolwasser springen. Blieb nur noch das Loch, durch das wir wahrscheinlich beide in die Höhle gelangt waren.

Nachwort

Vielen Dank, dass du dich ganz offnsichtlcih für mein Buch interessierst! Ich werd mir Mühe geben und so schnell wie möglich wieterschreiben.

Die Idee, der Text, der Titel und das Buchcover sind meiner Fantasie entsprungen bzw von mir selbst gestaltet. Die Idee beruht auf keiner wahren Begebenheit und wer meint, sich in meinem Buch wiederzufinden...tja, das muss wohl Zufall sein (;

 

Ganz liebe Grüße,

Inga Wachter

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.04.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Mami, die es nie mehr lesen wird können.

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