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Beobachtet man in letzter Zeit die Medien, so erlebt der Begriff Respekt wieder eine
Auferstehung. Immer häufiger fühlen sich Einzelne, Gruppen, Nationen oder Kulturen
nicht genügend respektiert. Vermisst wird Takt, Toleranz und Rücksichtnahme.
Wenn beispielsweise ältere Menschen sich darüber beklagen ( und das tun sie schon
seit Jahrhunderten), dass Jugendliche keinen Respekt mehr vor ihnen hätten, wenn
ausländische Mitbürger mit oder ohne Migrationshintergrund dasselbe aussagen,
wenn in vielen Ehen immer noch das Faustrecht praktiziert wird, nützen die Respektkampagnen
einiger Firmen auch nicht viel, wenn man darunter die Mindestanforderungen an Zivilisiertheit versteht.
Das testosterongetränkte Ego vieler heutigen Musikbands und Künstler, die im Hip-
Hop zuhause sind, machen Respekt zum Subtext ihrer Gesänge, weil sie sich nicht
genügend verstanden fühlen. Die Texte in Rapp-Songs ist der ganz uncoole Schrei:
Beachtet uns endlich!
Eine Version von Respekt (lat.respicere-zurücksehen) jedoch, ist die voraussetzungslose
Anerkennung des anderen. Weniger als Zuneigung, aber mehr als oberflächliche
Toleranz. Es sollte ein Teil einer Errungenschaft der Aufklärung sein, dessen
Bedeutung gar nicht überschätzt werden kann.
„Wir sollten unsere prinzipielle Abhängigkeit von anderen Menschen anerkennen und
gleichzeitig akzeptieren, dass sie dennoch von uns getrennt bleiben und sich weigern,
unseren Launen zu unterwerfen“, so die Meinung vom Sozialhistoriker Christopher
Lasch. Seit geraumer Zeit beobachte ich das Respektproblem als psychologisches.
Wer sich selbst nicht achten kann, muss auch anderen die Achtung vorenthalten.
Auch führt der Mangel an Selbstrespekt dazu, dass umso heftiger der Respekt
der anderen eingeklagt wird. Der hervorstechende Narzissmus, der vielen Menschen
im Wege steht, führen dazu, dass sie einer respektlosen Gesellschaft mit einem aufgeblähtem
Ego begegnen.
Wenn man genau hinhört, wird der Begriff Respekt für vieles verwendet, einschließlich
Angst oder Höflichkeit.
Wer beispielsweise sagt:“ Ich habe Respekt vor Hunden“, meint „ Ich fürchte mich vor
ihnen“. Wenn ältere Menschen sich darüber beklagen, die heutige Jugend habe keinen
Respekt mehr vor dem Alter, dann meinen sie vielleicht, das sie im Bus nicht
aufstehen und Sitzplatz freimachen.
„Es ist wertvoller, stets den Respekt der Menschen zu haben, als gelegentlich ihre
Bewunderung“, schrieb einst im 18. Jahrhundert Jean-Jacques Rousseau. Ich halte
mir vor Augen, das überwiegend viele der heutigen älteren Generationen den Begriff
Respekt anders beigebracht bekamen: ritualisierte Höflichkeit, Gehorsam vor Höhergestellten,
Würdenträgern, Polizisten oder Lehrern und den eigenen Eltern. In den
Kulturen moslemischen Glaubens ist das heute noch überwiegend die Praxis. Damals
war auch weit verbreitet, das man keinen Respekt vor „Nichtsnutzern“, „Tagträumern“,
„Schnorrern“ oder „Verrückten“, also all die, die auf der gesellschaftlichen
Stufenleiter weiter unten rangierten, haben sollte. Leider wird das von vielen Kulturen
auch heute noch so gesehen.
Wie sieht Respekt in der heutigen Zeit aus? Ist er vielleicht authentischer, weil jeder
Mensch selbst entscheidet, vor wem er Respekt hat und vor wem nicht? Wird beispielsweise
der Geist der 68’er Revolution, die kein unten und kein oben wollte, sondern
die Gleichheit aller Menschen, wieder wach?
Ich beobachte, 40 Jahre danach, dass Respekt erneut eingefordert wird, allerdings
unter umgekehrten Vorzeichen. Menschen am unteren Ende der sozialen Stufenleiter
oder Migranten, Ausgegrenzte und Außenseiter erleben, dass ihr Anspruch auf
Beachtung allein auf ihren derzeitigen Problemen, ihrer Bedürftigkeit beruht. Respekt
bekommen sie nur, wenn sie nicht schwach und nicht bedürftig sind.
In meiner Tätigkeit als Sicherheitsmitarbeiter habe ich Kollegen kennengelernt und
mit einigen auch auf Seminaren gesprochen, die meist aus dieser gesellschaftlichen
Ecke kamen. Sie alle haben ihre eigenen Erfahrungen gemacht und haben dennoch
einen gemeinsamen Nenner: Mangelnder Respekt, mag zwar weniger aggressiv erscheinen
als eine direkte Beleidigung, kann aber ebenso verletzend sein.
Die meisten hatten einen Hauptschulabschluss und haben früh erfahren, dass es
damit schwer wird, eine Chance in dieser Gesellschaft zu haben. Ich hörte ihnen zu,
wie sie erregt aber dennoch „selbstverständlich“ darüber sprachen, dass sie Verständnis
für diejenigen haben, die „mal genauso unten waren oder noch sind“, deshalb
„Mist bauen“ (im Sinne von Vandalismus, Diebstahl etc.) und ihnen Verständnis
zeigen, ihre Sprache sprechen, aber auch mal „wegschauen“, als Zeichen dafür, „ich
verstehe dich“. Ich erinnere mich, das in den 80’er Jahren der „Dagobert-Fall“ bundesweit
für Aufsehen sorgte und eine Vielzahl der Bundesbürger die vermeintliche,
clevere Taktik des Täters die Polizei zum Narren zu halten, bejubelte.
Ich sprach auch mal mit Kemal, der eine Hauptschule besucht und mir bestätigte,
diese oben genannte Art der Missachtung zu kennen. Er erfuhr sie dreifach, denn
seine Eltern sind nicht nur Migranten, sondern auch HartzIV-Empfänger und er wusste,
dass er mit einem Hauptschulabschluss keine große Chance bekommt. Um nicht
als „schwach und bedürftig“ zu erscheinen, gab Kemal sich gespielt cool und
manchmal aggressiv. Auf meine Frage, wen er respektiert, antwortete er ohne nachzudenken:“
Meine Eltern.“ Das ist für ihn, wie für viele Muslime selbstverständlich. Auf
die nächste Frage, ob er auch einen Vater respektieren würde, der ihn schlägt,
schaute er mich überrascht an, dann schaute er auf den Boden und erwiderte zögerlich:“
Nein….ich glaube nicht.“ Er gab mir auch zu verstehen, dass er Respekt vor
denen hätte, die ihre Religion praktizieren, egal woran sie glauben. Und Farbige findet
er „cool“. Damit meinte er die Breakdancer, Hip-Hopper und Rapper. „Und vor
deinen Lehrern in der Schule?“, fragte ich. Er grinste und sagte nickend:“ Aber klar“.
„Wenn man anerkennt, dass man nicht alles am anderen verstehen kann, erhält die
Beziehung, einen Moment lang der Achtung und Gleichheit,“ so Richard Sennett, der
während seines Studiums mit obdachlosen Jugendlichen in Chicago an ihnen beobachtet
hatte.
Echte Freundlichkeit überträgt sich auf den anderen. Wir spüren ernstgemeinten
Respekt, wenn er von Herzen kommt, unabhängig von seinem Rang oder ob es für
uns von Nutzen ist. Respekt ist entscheidend für das Gelingen und die Haltbarkeit
einer Beziehung, im Job oder auch privat. Aber gerade im Job schöpfen wir nicht das
aus, was wir leisten könnten, wenn wir für unsere geleistete Arbeit nicht gewürdigt
und belohnt werden.
Ich finde, das Thema Respekt, durchaus ausbaufähig ist und nicht zu genüge erforscht.
Möglicherweise ist es auch unmöglich, eine eindeutige Definition zu finden.
Die Respect Research Group an der Universität Hamburg, so las ich, untersucht seit
5 Jahren die Bedeutung von Respekt an Schulen und in Betrieben. Ergebnisse liegen
noch nicht vor, doch die Resonanz ist jetzt schon beachtlich. Das merke ich auch
in meiner Stadt, wo ich lebe.
Zum Abschluss ein Zitat von Albert Camus, dem ich mich anschließe:
Nichts ist kläglicher als Respekt, der auf Angst basiert.

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Tag der Veröffentlichung: 13.09.2009

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