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Der verheißungsvolle Morgen

Rudolf K. erhob sich eines Morgens aus wirren Träumen von seinem Lager und fand das ganze Zimmer von verheißungsvollem Sonnenschein durchflutet. Gebückt trat er ans Fenster, seine Wanduhr beim Durchqueren des Raumes ins Auge fassend¬ �es war zehn Uhr� und blickte hinaus auf das strahlend blaue Antlitz des Himmels, an dessen Gesichtszügen kein Wölkchen den Mut besaß sich zu materialisieren, kurz die Grenze zwischen Vorstellung und Wirklichkeit zu überschreiten, um die erhabene Monotonie der Realität mit ihrem Erscheinen aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Gut, dachte sich K., denn an diesem Morgen gelüstete es ihn danach ins Grüne fahren, um sich zu entspannen und durch einen längeren Aufenthalt inmitten der Natur dem Labyrinth aus Gedanken, Plänen und Problemen die seinen Geist in rastloser Unruhe gefangen hielten für ein paar Stunden zu entkommen. Bei diesem Vorhaben wäre ihm eine Wolke, und sei es noch die Kleinste gewesen sehr ungelegen gekommen. Aber nach einem so unerfreulichen Durchkreuzen seiner Pläne sah es ja wahrhaftig nicht aus.
Trotzdem unterzog Rudolf K. den Himmelsteppich, der sich bis ins Unendliche auszudehnen schien, noch einmal einer näheren Untersuchung, da sich in ihm unbestimmbare Zweifel regten, deren Ursache er nicht erklären, jedoch auch nicht ohne Weiteres von sich weisen konnte.
Alles erstrahlte im tiefsten Blau. Ein Sommertag, so schön und jung wie die Knospe einer noch nicht erblühten Rose schien seinen Lauf zu nehmen.
Doch was war das?! Da in weiter Ferne, wo sich die Schatten des Waldes mit der klaren Helligkeit des Himmelssaumes vereinigten waren bei näherer Betrachtung Schemen weißlichen Dunstes zu erkennen, gewissermaßen Vorboten einer grauen, alles zu umspannen- drohenden Wolkendecke.
Tief in seinem Innern hörte Rudolf K. schon das Donnern des bevorstehenden Unwetters, vernahm schon das Prasseln des Regens, der ohne Zweifel bald vom jetzt noch spöttisch leuchtenden Himmel hinabstürzen werde.
Der Tag, der so vielversprechend begonnen hatte, war verloren, Rudolf K.�s Traum von einem Ausflug ins Grüne gestorben.


Traum einer Motte

Thomas Alfert, bekennender Atheist und darüber hinaus Kolumnist einer der einflussreichsten und wichtigsten Zeitungen des Landes, setzte sich eines Abends an seinen Schreibtisch, um einen Artikel zu verfassen, der die Nichtexistenz Gottes zum Inhalt haben sollte.
Noch ehe er den letzten Satz dieses blasphemischen Machwerks hatte vollenden können, bemannte sich seiner eine bleierne Müdigkeit und er schlief den Kopf auf die Tischplatte gebettet ein. Während dieses Schlafes träumte Alfert von einer Motte die elegant ihre Kreise um eine riesenhafte, gleißendes Licht aussendende Lampe zog.
Am Anfang wahrte die Motte respektvolle Distanz zur Quelle ihres Begehrs und das Licht der Lampe erhellte ihre Umgebung und wärmte ihre Flügel. Nach einer Zeit jedoch wurde die Motte übermütig und flog immer engere Kreise ziehend und immer schneller um das Licht. Sich ihrer Lebensgefahr nicht bewusst, beschloss sie, sich auf die gleißende Kugel zu setzen, die sie für nicht mehr gefährlich hielt, da sie sie so lang umflogen, und deshalb den Respekt vor ihr verloren hatte. Da verbrannte die Motte und ihr Körper taumelte zu Boden.
Dieses Bild vor Augen erwachte Thomas Alfert aus dem kurzen Schlummer, der nicht mehr als drei Minuten gedauert haben mochte, ihm aber trotzdem wie eine halbe Ewigkeit vorkam.
Nach dem er wieder zu vollem Bewusstsein gekommen war, zerriss er den Artikel und nahm ein Buch aus einem seiner Bücherregale das er einmal von seiner Mutter geschenkt bekommen, es seit dem aber nie wieder in Händen gehalten hatte: Die Bibel.


Wortgebäude

Ich sitze an meinem Schreibtisch und errichte Wortgebäude. Gebäude, die auf rein materieller Ebene keinen Halt finden, geschweige denn überhaupt zu begehen sind. Dennoch sind es Gebäude, weitläufig und bewohnt.
Die Bewohner dieser geistigen Machwerke, zahlreich und eitel, füllen die Zimmer (manche eng und klein, andere wiederum groß und geräumig) mit ihrer ungreifbaren ideellen Präsenz. Sie nennen sich Gedanken und bewohnen diese aus Buchstaben-Ziegeln gefertigten, verschachtelt zeitlosen Behausungen erst seit Kurzem.
Da viele jener ewig rastlosen, niemals zur Ruhe kommenden Individuen aus verschiedenen Familien stammen und diverse Anschauungen vertreten, trotzdem aber, oder gerade deswegen, oft gezwungen sind auf engstem Raum miteinander auszukommen, kommt es bisweilen zu Zwist und Auseinandersetzungen, die ab und an in wahren Wortschlachten ihren epischen Höhepunkt erreichen. Die Opfer dieser beispiellosen Szenen sprachlicher Gewalt, die langsam verendend auf der Straße der Schlussfolgerung aufhören zu existieren, sind meistens die Edleren unter dem Gedankenvolk, die Ideale. Sie haben sich vor allen Anderen bis zuletzt eine erhabene Würde, gewissermaßen eine Aura von Tugend und Wahrhaftigkeit bewahrt. Darum beneiden sie auch viele der einfältigeren, niederen Gedanken, verhöhnen sie und trachten ihnen nach dem Leben.
Ich sitze an einem Schreibtisch und errichte Wortgebäude, die den Verfolgten unter meiner geistigen Untertanen Asyl gewähren.

Impressum

Texte: Der Autor behält sich alle Rechte in Bezug auf seine geistigen Schöpfungen vor und weißt darauf hin, dass ein unerlaubtes Publizieren seiner Werke für ihn selbst, wie für den betreffenden Publizisten, unweigerlich zum Tode führen würde.
Tag der Veröffentlichung: 06.09.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Denjenigen, die die Literatur um ihrer Vielfalt willen schätzen und sie mit ihren Ideen und Werken bereichern.

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