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Zerbrechen


Das streben nach einem Traum, sich etwas wünschen, ganz fest an etwas zu glauben. Früher einmal da dachte ich noch, was ist so schwer daran? Nie hätte ich gedacht, dass genau dass mir einmal Mühe bereiten sollte. Fantasieren was ich mal sein werde, was es gibt, da in meiner Zukunft. Nun was übrig geblieben ist davon, von den zahllosen Wunschvorstellungen, nicht mehr geschmückt von kindlicher Naivität, man braucht eine Lupe dafür, um es zu erkennen. An seine Stelle tritt eine Leere, allumfassend und jede Hoffnung verschlingend. Manch einer denkt sich nun wohl "Pessimist", "Schwarzseher", nun sie mögen recht haben. Es ist wirklich so, die rosarote Brille ist längst eingestaubt und grau geworden. Mit einem Knall war alles einfach verschwunden, klar er hatte sich angekündigt. Ganz langsam anfangs, so schwach das die Warnsignale einfach ignoriert wurden, dass würde schon wieder besser werden. Doch einmal in Bewegung geraten kam was kommen musste und auf einmal war es ganz schnell geschehen. Die ganze schützende Welt, der ich immer angehört hatte, in die nichts Böses eindringen konnte, war einfach weg, überrollt von einer dunklen Realität, die meine Zukunft prägen sollte. Die Einsamkeit nahm zu, die glücklichen Stunden stetig ab. Wer war da, die Leere die nun in mir wuchs zu füllen? Es kam niemand. Selbst die wenigen Freunde die noch da waren, was konnten sie tun, sobald sie nicht in meiner Nähe waren. Sie hatten selbst viel zu schwere Lasten, die ich mit ihnen trug als wäre ich nicht schon unter dem Gewicht meiner eigenen zusammengebrochen. Es ist schon lustig, wie schnell so etwas gehen kann. Alte Freunde, die sich gegen einen wenden, mit denen man alles geteilt hat, alle Gefühle und noch so kleines Geheimnis. Wie sehr können gerade diese Freunde, die einem am meisten bedeutet hatten und man dachte sie gehen mit einem durch dick und dünn, gerade sie sind es, die am tiefsten in dich eindringen können und am meisten Schmerz verursachen können. Sie wissen alles, sie kennen dich oder kannten was du einmal warst. Ich müsste lügen wenn ich sagte, dass ich sie nicht dafür hasste, doch da war auch noch etwas anderes als Hass, Sehnsucht. Sehnsucht nach meinem alten Platz, an ihrer Seite, nach den glücklichen Stunden. Du blickst in ein Gesicht, dass du besser kennst als dein eigenes, nun musst du dich daran gewöhnen, dass es nicht mehr ein warmes, freundliches Gesicht ist, bei dem du allen Schmerz vergessen konntest. Nein, es war genau das Gegenteil. Immer wieder war es dieses Gesicht, dass mich ausnutzen konnte, wie es wollte. Was war übrig von meinem Stolz, den ich immer verteidigt hatte, der auch der Grund war, weshalb ich nicht wie alle Anderen jene zurückgelassen habe, die anders waren. Weil ich auch sie verstand, die verpönt waren, nicht zu den "normalen" gehörten, halt einfach anders waren. Es war der Stolz nicht nach dem Aussehen Menschen zu beurteilen, versuchen zu verstehen, der mich trieb. Man könnte sagen es war mein Egoismus, oder die Angst vor meinem Gewissen die mich dazu trieb, wohl nicht die gute Eigenschaft, den damals, da war ich noch ganz wie die Anderen, stand gerne im Mittelpunkt und genoss jede Aufmerksamkeit, die mir geschenkt wurde. Ich hätte mich damals immer als brav beschrieben, als beliebt, jemand der mit niemandem Probleme hatte oder sie jediglich auf kleine Streitereien beschränkte. Lächerlich, wenn man den restlichen Verlauf meiner Jugend im Heimatdorf betrachtete. Ja dieser Stolz der mir beide Beine brach, er ist es auch worauf ich heute zurückblicke und mir sagen kann, dank ihm wurde ich nicht einer jener Menschen, die nur ihre eigene Welt kannten und wie in einer Seifenblase leben, wie ich damals gern auch gelebt hätte. Tausendmal habe ich mir gewünscht, zu ihnen zu gehören, mit ihnen zu Lachen, wohl einfach typischer Teenager zu sein. Mir war es aber verwehrt, ich wurde schneller Erwachsen, wenn auch nur in einigen Beziehungen, in anderen war ich noch ganz Kind. Wenn ich sagen müsste was mir am meisten zu schaffen gemacht hat, nun ich würde wahrscheinlich Einsamkeit antworten. Stunden vergingen, ohne dass ich ein Wort sagte, ich sass nur da, in meinen Gedanken und Träumereien, in die ich mich zurückzog. Je länger ich alleine war, desto mehr veränderten sich auch meine Vorlieben. Die Musik wurde dunkler, ich flüchtete mich in die Fantasiewelten der Bücher. Meine Träume waren auf einmal spannender als mein Alltag, mir kamen Ideen, ich fing an sie aufzuschreiben, eine Geschichte zu formen. All das was ich nicht konnte, was mir Grenzen aufwarf, in meinen Träumen konnte ich sie vergessen. Weit weg war meine Wirklichkeit und das erfundene wurde ein Teil von mir. Ich bin heute noch froh, diese Inspiration erlangt zu haben. Ich hatte etwas gefunden, das mir gehörte, indem ich gut war, doch wohl am wichtigsten was mir die Aufmerksamkeit der anderen schenkte. Sie die sonst nur mit ihren Problemen zu mir kamen, mich ansonsten beschimpften, auslachten und die mir sagen konnten, dass sie nichts gegen mich hätten, sondern dass es meine Freunde waren, die sie nicht mochten, ich solle sie hinter mir lassen und zu ihnen kommen, ja genau die Aufmerksamkeit dieser Menschen war es, die ich mir damit erlangte. Nun wohl auch die meiner Familie, die zu beschäftigt mit sich selber war, irgendetwas davon mitzubekommen. Sie sahen nicht die Tränen, die ich im Stillen geweint habe, im Schutz meines Zimmers, hörten nicht die stillen Schreie, die ich in meinen Texten und Zeichnungen nach Aussen sandte, die Signale sie wurden einfach übersehen. Nun ich kann es ihnen nicht übel nehmen. Sie waren ja alle noch in dieser heilen Welt, dachten dass all das Übel weit weg war, uns nicht erreichen konnte. Ich war nicht laut, habe nicht wie andere laut geschrien, ich wurde leise. Stumm sogar fast, nur noch fähig mich im geschriebenen Wort zu äussern, dass sie nicht sahen, nicht lasen. Doch nicht nur sie waren taub, auch die Ohren der Lehrer waren verschlossen. Anfangs, als noch Worte des Klagens über meine Lippen gingen und ich noch genügend Mut und Glauben hatte, sie spielten es herunter, wiesen darauf hin, dass ich nicht laut war, kein Problemkind, nicht rebellierte, immer brav und achtsam. Zu Viele dröhnenden Schreie hörten sie, zu beschäftigt waren sie mit ihnen, als dass sie mein leises Flüstern bemerkten. Wer hätte das auch schon gekonnt, ist es nicht viel einfacher es zu überhören. Ich machte ihnen ja keine Probleme, wieso sollten sie dann reagieren, es war ja nichts geschehen, dass ihre Aufmerksamkeit erregt hätte. So blieb ich ungehört, unbeachtet und musste meinen eigenen Weg, aus dieser Misere finden. Ich tat es auch, mir zeigte sich eine Möglichkeit auf. Fliehen, aus dieser Schule. Mit einiger Anstrengung und gemischten Gefühlen gelang mir der Aufstieg in ein höheres Lerninstitut. Ich konnte weg.

Neuanfang


Mit schlechtem Gewissen floh ich vor den Problemen. Ich hatte andere zurückgelassen, es nagte an mir, doch es konnte nicht meine Freude nehmen. Kaum fähig zu reden kam ich das erste Mal in meine Zukünftige Klasse, fast nur Frauen, was ich mit gemischten Gefühlen feststellte. Mit meinem letzen Mut, den ich in mir zusammenkramte, sprach ich jemanden an. Zu ihr fühlte ich mich die nächste Zeit gebunden, sie war mein Pfeiler, der mich verankerte. So verschieden wir auch waren, sosehr wir einander auch widersprachen und gegensätzlich waren, es war mir egal. Ich hatte jemanden gefunden, an diesem neuen Ort, an dem ich wieder lernen musste zu Vertrauen, Freundschaft zu schliessen und nicht mehr hinter jeder Person die Falschheit zu erwarten, die mich immer umgeben hatte. Es dauerte lange, bevor ich mich wieder öffnete, wieder fähig war ohne sie auszukommen, alleine zu stehen. Die Last die mir genommen wurde war riesig und ich konnte mein Glück kaum fassen. Es schien mir als hätte ich alles hinter mir lassen können und vollkommen neu angefangen. Nun das stimmte nicht ganz, zwar waren die Hauptlasten von mir gefallen aber die Wunden die sie verursacht hatten hinterliessen tiefe Narben, die nicht einfach so verheilten. Ich hatte mich zu sehr von einem sozialen Leben abgewendet, war mir nicht gewohnt mich einfach so zu unterhalten, konnte nicht einfach mal so schnell einen Kaffee trinken gehen, die Regeln brechen und schon gar nicht meine eigene Meinung kundtun. Zwar war ich nicht mehr alleine auf meinem Weg, doch die Einsamkeit verschwand nicht so schnell. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, ich müsse mich beweisen, stark sein und immer alles am Besten können, halt einfach perfekt sein. Ich machte mir selbst Vorwürfe, bereute meine Dummheit, bereute nicht so sein zu können wie die Anderen. Ich fühlte mich ihnen Unterlegen, fühlte mich hässlich und dumm. Immer verglich ich mich mit ihnen oder fürchtete das sie sich jeden Moment als gleich wie die alten Mitschüler herausstellten. Misstrauen füllte meine Gedanken und so richtig befreunden konnte ich mich nicht. Streit, der früher an der Tagesordnung stand verschwand zwar, aber trotzdem blieb in mir noch etwas von der alten Angst. Es war doch schon einmal so gewesen, da hatte ich gedacht es sei alles in Ordnung, nur um am nächsten Tag alles in Scherben zu sehen. Doch was mir am schwersten viel, war mein Lachen wieder zu gewinnen. Lange war es verstummt, eingerostet, versteift. Einst ohne Hemmung, schallend, doch nun nur noch zögerlich. Ist das Lachen einmal verloren, so findet man es nicht so leicht wieder. Und trotzdem ich nahm die Suche auf. Ich lernte, versuchte den anderen etwas abzukupfern, mich anzupassen. Je länger es ging desto sicherer wurde ich und konnte dass, was ich vorher nur in meiner Kunst und Lieblingsmusik ausdrückte, nun auch sonst zeigen. Ich wurde fast durchsichtig, war fast zu normal, was mich wieder zu etwas abnormalen machte, den das Wort Individualität war das grosse Thema. Doch zu dieser Zeit war ich damit schon ganz zufrieden und froh nicht mehr unter Dauerbeobachtung zu stehen, zumindest solange ich mich ausserhalb des Dorfes befand. Dort war alles beim alten geblieben und ich konnte ihnen fast nicht in die Augen blicken, mich ihnen stellen. Sie sollten alle sehen, dass ich ein neuer Mensch war und trotzdem war mir immer mulmig wenn ich sie erblickte. Doch es sollte nicht mehr lange so bleiben, es kam etwas was mich endlich ganz loslösen konnte, Umzug. Weg aus dem Dorf, den Gesichtern, denen die mein altes ich kannten und zertreten haben. Mit diesem letzten Schritt und der Zeit die Vergangen war, konnte ich dieses Kapitel nun abschliessen. Was jetzt auf mich wartete war ein neues Kapitel, keineswegs einfach, aber sicher war ich stärker geworden um mich ihm zu stellen.

Leere


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Tag der Veröffentlichung: 24.10.2011

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