Der Aufstieg
Karl steht auf einer Lichtung, vor einem Hügel. Einem steilen Hügel, der ihm inmitten der anderen Berge keineswegs wie eine seichte Erhebung vorkommt. Dazu wird er von der kahlen Erscheinung fast erschlagen; nur ein paar Baumstümpfe sind noch auszumachen, die gegen ihre Umgebung abstechen wie Schweißperlen auf unbehaarten Köpfen, während zwischen ihren diffusen Schatten gelbe Lichter hindurchhasten. "Sind das Rattenaugen?", fragt er sich entgeistert. Er kann auch den wolkenverhangenen Himmel und die ab und an aus den tiefhängenden dunkelgrauen Wolken stürzenden Tropfen ausmachen, so dass er sich vorkommt, als stecke er in einer trockengelegten schmutzigen Kanalisation. Doch er will in die Clique aufgenommen werden; muss dazu hier rauf, jetzt, im Dunkeln, komme was wolle, seien es der Drache aus der Seyfriedsage oder Zombies, die von Voodoopriestern ausnahmsweise mal freigelassen wurden, oder Werwölfe, die in einer Nacht wie dieser, in der der Vollmond sein geripptes Antlitz zeigt, aus ihrem menschlichen Käfig ausbrechen.
Karl schaut noch einmal zurück, starrt sehnsüchtig auf die wenigen Lichter der im Tal schlummernden Stadt, wünscht sich, er könnte jetzt in seinem Zimmer sein, in seinem Bettchen liegen, und bräuchte nicht in dieser kalten, nebligen, ungastlichen und ihn mit Angst überflutenden Nacht herumzusteigen. Doch am Tage den Berg hinaufzustapfen wäre ein Kinderspiel, in der Nacht - eine wahre Aufnahmeprüfung ist das, nichts für Weicheier. Und Karl - Karl ist kein Weichei.
Er setzt das rechte Bein nach vorn, dem folgt das linke. Aber mitten in der erneuten Bewegung des rechten Beines muss er ein weiteres Mal verharren. Eine Vision erscheint ihm, in der er sieht, wie seine Mutter - seine so sehr geliebte Mutter - hart arbeitet und dabei kränkelt. In ihm reißt der Gedanke an seine hier zu bewältigende Aufgabe kurzzeitig ab. Er wird von Reue überflutet, hatte er sie doch tatsächlich vergessen. Schamvoll füllen sich seine Augen mit Tränen, krampfhaft muss er schlucken, ein Kloß steckt in seinem Hals. Seine Mutter. Sie weiß nichts davon, dass er jetzt hier steht. Sie weiß nichts davon, dass er nicht zu Hause ist. Auch ist sie jetzt schuften in einer Fabrik, die Accessoires für Autos herstellt, steht am Fliessband und zieht Fußmatten aus der Maschine, die sie dann auf entstandene Mängel überprüft; ignoriert dabei ihren ständig schmerzenden Rücken, um Geld für den Zwei-Mann-Haushalt anzubringen, damit sie nicht verhungern. Denn einen Vater gibt es nicht, der ist vor vier Jahren, als Karl sieben war, gestorben. An Krebs, Hodenkrebs oder so ähnlich, eine schreckliche Krankheit. Sein Vater klagte und jammerte ständig darüber, war zum Schluss kaum noch zu ertragen. Aber vielleicht hat ihn auch Karl sein Handikap fertig gemacht, denn Karl ist behindert, hat ein steifes Knie, das rechte. Und deshalb hatte Karl bisher auch nie Freunde, niemand wollte mit ihm spielen, er war ausgeschlossen aus den Gruppen anderer Kinder; verkroch sich daraufhin für immer in sein Zimmer, setzte nur einen Fuß vor die Tür, wenn er musste.
Bis jetzt!
Der Gedanke daran lässt ihn weitergehen. Die Mitglieder der Clique haben ihm versprochen, dass auch er dies schaffen kann, alles sei nur eine Frage des Angst überwinden. Und Angst - Hat er Angst? 'Ja!', glaubt er. Dazu kommt, dass es beginnt, ihn leicht zu frösteln. Er rafft seinen Kragen noch enger zusammen und hinkt schneller.
Plötzlich grunzt irgendwo im hinter ihm liegenden Wald ein Keiler. Ist der brunftig? Kann er seine Bache nicht finden? Kann er sie nicht erriechen? Dazu sieht Karl Sperlinge aufgeregt im Hain aufflattern, die sicherlich von irgendjemanden gestört darauf hoffen, noch irgendwo einen neuen Unterschlupf zu finden vor dem böigen, Schnee ankündigenden Wind;
Schlagartig bleibt Karl stehen. Spitzt seine Ohren, um eventuell sich ihm nähernde Schritte vernehmen zu können, bevor die Gefahr auf ihn zurollt.
Doch jetzt herrscht Ruhe um ihn herum. Dennoch schweift sein Blick abtastend über den Hügel. Da - "Was ist das? Bewegt sich da etwas? Nein, das kann doch nicht sein! Ist das ein Lebewesen? Eine Schlange? Das mittlere Stück liegt ganz ruhig um die Steigung; den Anfang kann man bei den maximal fünf Metern, die es hier möglich ist zu schauen, nicht ausmachen. Und das Ende bewegt sich, ganz langsam, aber es bewegt sich."
Karl wagt sich näher heran. Neugier hat von ihm Besitz ergriffen, ist viel stärker als die sowieso schon zurückgestellte Angst. Und jetzt kann er das exemplum movendum auch besser betrachten. Muss sich aber augenblicklich verdutzt über die Augen wischen. Denn was sich hier ihm bietet, ist keine Schlange, keine den Berg hoch kletternde Pflanze, kein Lebewesen. Es sieht aus wie ein Rechteck, ein Trapez, eine winklige Ellipse. Es ist zweidimensional. Kein Körper also. Sondern ein Weg.
...
Yaoi/Yuri fällt weg da ich zu deinem leidwesen damit nicht bewandert bin
Ist okay, war ja nur so Ne Art.
Also wollen wir was anderes schreiben?