Bin ich blind? Oder blöd? Ich habe hier kein Gedicht gefunden. Oder ist der Gründer ein Leidensgenosse von mir? Ich habe so eine ähnliche Gruppe - Lyrik - zu gründen versucht. Ohne Resonanz. Ich bin aber gern bereit, meine eigene Gruppe aufzulösen, wenn sich hier echte, gute, ergiebige Kontakte mit Lyrikern ergeben, die nicht nur "Herzschmerz"-Ergüsse absondern.
Also, ich setze einfach mal ein, zwei Gedichte hierher. Dann... mehr anzeigen
Bin ich blind? Oder blöd? Ich habe hier kein Gedicht gefunden. Oder ist der Gründer ein Leidensgenosse von mir? Ich habe so eine ähnliche Gruppe - Lyrik - zu gründen versucht. Ohne Resonanz. Ich bin aber gern bereit, meine eigene Gruppe aufzulösen, wenn sich hier echte, gute, ergiebige Kontakte mit Lyrikern ergeben, die nicht nur "Herzschmerz"-Ergüsse absondern.
Also, ich setze einfach mal ein, zwei Gedichte hierher. Dann sehen wir mal weiter.
Schöne Grüße!
Aufstieg
So gingen sie unter dem Weltenschlaf
Her. Denn kurz ist dort oben die Nacht
Wenn der mechanische Ball sich wälzt
Unter dem Sternhimmel. Die ihrige aber
War morgenlos, sternlos und tief. Lange
Schon stiegen sie aufwärts im Totengang
Und blieben doch unberührt von der Zeit,
Die an ihnen abfloss wie Wasser an einer
Felswand. Tief unten, von woher sie
Kamen, war Jammern und Stöhnen,
Heulen und Wehklagen. Sie aber waren
Im Glück, waren wieder vereint. Sie
Sangen beim Aufstieg, sie lachten, froh
Ihres lebendigen Fleisches, über die
Zwei schwarzen Begleiter, die stumm
Wie verdrießliche Priester mit ihnen
Zogen, die Felswand entlang oder als
Bucklige Zwerge zu ihren Füßen: die
Durften sie ansehen, die hatten keine
Gesichter. Hunger litten sie nicht noch
Auch Müdigkeit; Durst nur; da schöpfte
Sie von den Wandrinnsalen und ließ
Ihn trinken. Aus ihrer Hand schlürfte er
Mit geschlossenen Augen die kühle
Belebung. Nein, er sah sich nicht
Um, sah sie nicht an! Denn er war
Blindlings sicher, er wusste: Sie war
Es, die Wahre, die Einzige, Richtige,
Seine Frau!
PS.: Das Gedicht ist tatsächlich an meine Frau gerichtet, zur Silberhochzeit. Es variiert, wie man unschwer erkennt, den Orpheus-Mythos, bzw. stellt ihn geradezu auf den Kopf. Und der zweite folgt sogleich:
Der Eisberg
Fast alles, was wir auf dieser
Reise sahen, hatten wir uns
Größer vorgestellt.
Bis auf den Eisberg.
Er war gewaltig, eine Insel
Aus Eis. Unvorstellbar,
Dass er schwamm. Es war
Windstill, kein Problem nahe
An ihn heranzufahren. Wir waren
Ein Filmteam, das unterwegs war
Um Wale zu filmen. Wir hatten
Den Diesel abgestellt. Stille
Lag über dem Wasser. Da
War nur der weiße Gigant,
Unmittelbar in unserer Nähe.
Eine Steilwand, so hoch und
So breit wie ein Kreidefelsen,
Wie die weißen Klippen
Von Dover und doch
Anders, ganz anders,
Mit nichts vergleichbar,
Was ich je gesehen hatte.
Wie ein Käfer lag unser Boot
Zu seinen Füßen. Zwischen uns
Und dem Berg schwappte nur
Eine Handbreit Wasser. Er war
Glatt wie eine Glasscheibe.
Wasser lief an ihm herab,
Ein ständiger Strom, als würde
Er unter der Sonne schwitzen.
Mit zurückgebogenem Hals
Sah man hoch oben seinen
Grat an den Himmel stoßen,
Scharfkantig, schnurgerade,
Wie mit dem Messer geschnitten.
Das Erstaunlichste aber war:
Trotz seiner gewaltigen Masse
Wirkte der Berg beinahe stofflos.
Je näher man kam, desto
Undeutlicher wurden seine
Konturen. Er war durchsichtig
Und auch wieder nicht. Man konnte
Durch seine Haut sehen wie
Durch Glas, aber der Blick
Traf nichts, er verlor sich
In einem endlosen Weiß
Als bestünde der Berg
Innen aus Nebel. Es war
Tatsächlich, als stünde man
Vor dem Geist eines Berges.
Das Meer ringsumher
War strahlend blau, ebenso
Der Himmel. Der Berg
Dagegen war weiß, so weiß…
Vielleicht gibt es Worte dafür
In der Eskimosprache.
Dieses Weiß war so intensiv,
es war überirdisch. Einmal flog
Eine Möve vorbei; es schien
Als sähen wir sie auf einer
Riesigen Leinwand. Sie werden
Mich jetzt bestimmt auslachen,
Aber ich hörte den Berg singen.
Natürlich nicht wie ein Mensch,
Auch nicht wie ein Wal, nur ein
Tiefer Ton, ein Summen, sehr
Stark und doch unkörperlich,
Wie das Nebelhorn eines
Geisterschiffs. Der Ton
Bedrängte einen, er schien
Anzuschwellen, es war wie
Eine Warnung, unheimlich,
Aber auch überwältigend.
Ach, wir hätten ewig dort
Bleiben können, zu Füßen
Des kalten Giganten,
Mit ihm südwärts reisen
Und sehn wie er langsam,
Ganz langsam abschmilzt.
Aber der Aufnahmeleiter
Rief plötzlich: „Wale! Da drüben
Sind Wale!“ Und dann herrschte
Die übliche Hektik an Bord.
Der Diesel sprang an, der Kutter
Setzte hinter den Walen her,
Der Regisseur rief: „Achtung,
Wir drehen. Bedrohte
Giganten eins, die Erste.“
Als wir die Bilder endlich
Im Kasten hatten und noch
Einmal zurückschauten
Sahen wir unseren Eisberg
Weit, weit hinten am Horizont
Ganz langsam davontreiben,
Wie ein Eisstück, das über
Eine Glasscheibe rutscht und
Langsam zu Wasser wird.
Seine Albinohaut funkelte
In der Sonne. Erst jetzt fiel
Uns auf, dass wir den Berg
Nicht gefilmt hatten. Keiner
Hatte daran gedacht. Wir besaßen
Nicht mal ein Foto.
PS: Der "Eisberg" ist eins meiner persönlichen Lieblingsgedichte. Beruht auf einem tatsächlichen Erlebnis. (Der Regisseur war ich.)
Anfang und Ende, oder Mitte, oder In mir die Ruhe.
Wie wäre es damit? Vielleicht auch Stille?
LG
sigrid