BookRix

„Geld oder Leben, wir sprachen drüber“

Dr. Ute Büx, Psychologin und Sachbuchautorin („Glück dich, du Stück“) über Stephen Urbanskis „Heringskuss“, übers Schreiben an sich und die bange Frage nach barer Münze.

„Heringskuss“ von Stephen Urbanski ist ein ungewöhnlich blumiger, wenn auch lebenswirklicher Kosmos des frei fließenden Assoziationsreichtums. Doch der Leser, der nur zwei Stunden pro Woche darin eintauchen kann und dann in andere Welten zurück muss, ist dafür vielleicht weniger geeignet. „Heringskuss“ ist vielmehr eine Lektüre für all jene Zeitgenossen, die sich ab und an dem Luxus hingeben, punktuell „beobachten“ zu dürfen, ohne selbst zielgerichtet „eingreifen“ zu müssen; „Heringskuss“ ist ein klassisches Sozialdrama. Doch zahlt sich das auch aus, lohnt sich der Aufwand? Jein. Man kann als im besten Sinne freier Autor nicht erwarten, damit Geld zu verdienen. Diejenigen, die ich in diesem Kontext kennengelernt habe, schreiben nicht, was sie wollen, sondern was der Markt will. Diejenigen, die von Verlagen gefördert werden, sind diejenigen, die auch den Verlagen nützen wollen. Geld oder Leben eben; jemand, der aus sich selbst heraus schreibt, weil es ihm zunächst nur um die reine Befriedigung geht, sollte wissen, dass dieser Flirt mit dem Selbst sein womöglich einziger Lohn, sprich: Profit bleiben wird.

Meine Erfahrung, von der ich nicht weiß, ob sie allgemein gilt, ist, dass das Glück beim Schreiben im Schreiben des Richtigen entsteht und besteht. Was richtig ist, entscheidet nur das eigene Gefühl. Deshalb habe ich für mich das Fazit gezogen: Schon der Versuch, mit dem Schreiben Geld zu verdienen, verfärbt die „Satzung“ und nimmt das Glück daran. Wenn man indes seiner Spiellust folgen und dabei auch noch Hochgefühle erleben darf, dann ist schon der Prozess als solcher lebensrettend und somit sehr bedeutend – insbesondere für denjenigen Lesertypus, der Wortschätze wie „Heringskuss“ zu heben versteht und in seine Welt zu integrieren vermag.

Urbanski: HERINGSKUSS, die zwanzig besten Headlines.

1 Lidl, du geile Sau.
2 Helme und Rouladen.
3 Deutschlands letzter Autofahrer.
4 Christen sind auch nur Faschisten.
5 Blendax (Wehe allen Mädchen).
6 ROW-DY 311, deutsches Kennzeichen.
7 Stuhlgang, der große Gleichmacher.
8 Männer, die auf Geschirrspülmittel starren.
9 Hoolspiegel.
10 Gleich bleibt die Uhr stehen.
11 UV-Ultras.
12 In Deutschland ist alles Diebstahl.
13 Lauwarme Cola mit Haut.
14 Wahnsinn saugen.
15 Bezauberndes Zeug.
16 Papierflieger.
17 Dankbar zahlen.
18 Analphabet.
19 Punkt am Ende. Von Nordmende.
20 Mira! Mira! Mira!

(Stephen Urbanski sagt: Bruttige Luft, da braut sich was zusammen. Stephen Urbanski sagt: Ich brau dir ein Schloss.)

(So wie im Märchen.)

Urbanski: HERINGSKUSS, die zwanzig besten Sätze.

1 „Kannst du bluten? Denn das wirst du.“
2 „00:26 Uhr, irgendetwas sitzt noch in den Bäumen und singt für mich.“
3 „Liebe deinen Gelbklinker wie dich selbst.“
4 „1961 war ich einundsechzig.“
5 „Der Tod ist eine Erbsensuppe von der Bundeswehr.“
6 „Du weißt, dass du ein bestimmtes Alter erreicht hast, wenn eine Bäckereifachverkäuferin versucht, dir ein Kastenweizen anzudrehen.“
7 „Schnitt, taumelndes Konsumfleisch: Wer bin ich, wo bin ich, was muss ich kaufen?“
8 „So, Joe.“
9 „Dein Ja gefällt mir.“
10 „Dem Ingeniör ist nichts zu schwör bei Koran.“
11 „Chucks; tragen oder anbehalten?“
12 „Da fährt einer mit Wurst.“
13 „Ich mag sie, ich mag sie alle, ich mag ohnehin alles, was ich mag.“
14 „Lass ihn doch, er will dazugehören.“
15 „Gott sei alten Häuten glatt. Falten wir nun die Hände.“
16 „Legalisiert den Alkohol.“
17 „Am längsten Tag des Jahres kam der Brief.“
18 „Ich gewinne den Kampf um die Bank vorm Waschcenter am Mundsburger Damm; ich begebe mich dorthin, wenn der Regen fällt.“
19 „Autos sind übrigens wie Frauen und Fischfrikadellen: Die teilt man nicht. Die verleiht man nicht. Die besitzt man.“
20 „Stephen Urbanski sagt: Seele. So viel dazu muss sein.“

(Stephen Urbanski sagt: Schönes Netzleben noch.)