Die Liebe eines Ohryeurs ist platonisch
Von: Matthias Hagedorn
Fortzuhören ist schwieriger, als fortzublicken. Die Dimension des Akustischen ist das Ausmaß der Unfreiheit. Als Hörende sind wir unfrei. Wir sind alle Ohryeure. In das geöffnete Ohr verschwindet gesprochene Sprache, die sich in Erinnerungsräume einnisten kann, die verschwindet. Aber Sprache verschwindet nicht immer spurlos, denn sie kann aufgerufen und erinnert werden, sie kann durch einen Mund- oder Schriftraum mitgeteilt werden. Hören bedeutet Eintauchen, es birgt ein Potenzial an Regression, so daß sich der Hörer im besten Fall an den tiefsten Orten seines Wesens berührt fühlt. Das Gehör ist der erste Sinn, der sich im Mutterleib bildet, und der letzte, den der Sterbende verliert. Die Faszination des Hörbuchs geht über die Lust an Geschichten hinaus und reicht, anthropologisch betrachtet, sehr tief.
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