Der Tunnel

Roman Von:
Der Tunnel
Der Tunnel (Roman) von Bernhard Ganter
(www.bernhard-ganter.de)
erscheint im April 2008 im Lerato Verlag
€ 9.95 ISBN: 978-3-938882-72-6

Der Autor über seinen Roman & LESEPROBE
ich weiß, ich werde nicht jeden Leser erreichen, aber ich habe mich selbst erreicht.

Warum ich einen Roman über einen Dorftrottel schrieb, werde ich oft gefragt. Ich habe mich mit dem Schreiben an dieser Geschichte mit der Spezies „Dorfdepp“ auseinandergesetzt. Nein, Dorfdeppen gibt es nicht. Und Joseph Staudinger war eben kein Dorfdepp, kein Dorftrottel, er war wie Du und Ich, ein Lebewesen mit seinen Sehnsüchten - nicht mehr, nicht weniger. Dachte, ich als halbwegs gescheiter Mensch, begnadet zu sein: Ich bin der Wissende! Das war mein großer Irrtum. Habe bei meinen Bekanntschaften in so genannten höheren und studierten Kreisen festgestellt, die wahren Nationsdeppen in ihrer selbsternannten, oft unerträglich arroganten High Society, sind zahlreicher und gefährlicher für die Gesellschaft, als es je ein Mensch wie Joseph Staudinger sein konnte. Abgehobenheit ist stets die Mutter des eigenen Unverstandstands. Ich habe viele dieses Genre „Mensch“ auf dem Sterbebett dann jammern und klagen gehört, was man verpasst hat, was man anders hätte machen sollen im Leben. Dann kam Joseph Staudinger, mein Protagonist, in mein literarisches Leben und hat mich gefesselt und geknebelt, ohnmächtig gemacht. Durch ihn habe ich gelernt: Ich bin nicht der Nichtwissende! Was sagte schon König Salomo? Wer viel weiß, der muss viel leiden... denn siehe was unter der Sonne geschieht, es ist alles ganz eitel und haschen nach dem Wind. Joseph Staudinger haschte nicht nach Reichtum, Wissen und Macht, wie viele andere, er haschte nur nach Liebe und Anerkennung, die man ihm verwehrte, weil er eben der Dorfdepp war. Ich habe Joseph Staudinger eine Frau gegeben, die Liebe, nach der er sich tief in seinem Herzen sehnte, aber ich habe ihm auch in meiner Unwissenheit ein schreckliches Ende bereitet. Und trotzdem habe ich ihm mit diesem Buch ein Denkmal errichtet, über seinen Tod hinaus – ich habe ihn unsterblich gemacht, ihn den Dorftrottel, den keiner ernst nahm, über den alle lachten. Ich habe ihn zumindest für eine kurze Zeit mit Glückseligkeit bedacht. Aber die, die ihn verhöhnten und quälten, die ihm Liebe und Anerkennung verwehrten, werden irgendwann so unbedeutend diese Welt verlassen, wie sie gelebt haben und keiner wird sich je an sie erinnern. Joseph Staudinger gab mir seine Geschichte, ich gab ihm den in Granit gehauenen Grabsteinspruch: Intelligenz und Einfältigkeit sind unzertrennliche Geschwister.
Ich habe diese Geschichte nicht nur für den Leser geschrieben, sondern für mich selbst. Der Roman hat sich in meinem Kopf verselbstständigt, von Seite zu Seite eine Eigendynamik entwickelt, die mich anfänglich erschreckte, doch je mehr sie wuchs und sich veränderte, desto mehr begriff ich mich selbst, wurde von Zeile zu Zeile an denen ich mich hakte und quälte, kleinlaut. Jetzt wünsche ich: Ich wäre Wissender! Man möchte vieles im Leben erreichen, doch auf keinem Grabstein ist letztendlich zu lesen: Er hat es geschafft, er war der Unverzichtbare, der ewig Lebende, der ewig Weise, für den er sich in seiner gescheiten Dummheit hielt. Ein Dorftrottel jedoch lebt in seiner kleinen, großen Weisheit, sucht nach Anerkennung, nach Liebe, nach Erfüllung seiner Träume – er, genauso wie der Nobelpreisträger. Ich habe den Roman „Der Tunnel“ geschrieben, habe mich mit Joseph Staudinger auseinandergesetzt und bin zu der Erkenntnis gelangt, dass das Morgen jedem ein Ende setzen wird, mit oder ohne Reichtum, mit oder ohne Liebe, mit oder ohne Anerkennung, mit Intelligenz oder ohne. Am Ende steht das Vergessen. Ob sich jemand mit meiner Geschichte auseinandersetzen will, bleibt jedem selbst überlassen. Mich interessieren nicht die „Beautiful People's“, nicht die so gerne gelesenen Happyends der abertausenden von Geschichten die schon geschrieben wurden und uns belügen, wir uns in das Kokon Einfältigkeit verpuppen, um abermals als Einfältige entschlüpfen. Mich interessiert die Eieruhr, die rieselnden Körnchen aus Liebe, Leidenschaft, Angst und Hoffnung und ihre Vergänglichkeiten. Lebenswege besonderer Menschen eben, so wie die Existenz von Joseph Staudinger, der in seiner Verzweiflung die Zweitfrau eines reichen Arabers stahl, sich in sie verliebte, und daran zugrunde ging. Für solche Geschichten lebe ich, dafür schreibe ich …weil Schreiben Leben, Liebe und Hoffnung überdauert. Lasst uns manchmal etwas dümmer leben, vielleicht leben wir dann ein kleines bisschen glücklicher. Fazit: die so hoch gepriesene geistige Elite hat es, trotz enormen Geistesmästen in Wissenschaft, Ethik und Philosophie, nicht geschafft, die Welt lebenswerter, den Menschen liebenswerter und gerechter zu machen - noch immer schlagen wir, wie zu Neandertalers Zeiten, einst mit Keulen, heute mit vermeintlicher Intelligenz, auf uns ein. Die Opfer sind Menschen, wie Joseph Staudinger. Bernhard Ganter


Der Dorfdepp Staudinger ist lediglich dann in der Dorfgemeinschaft willkommen, wenn die anderen einen Grund zum Lachen suchen. Die düster erscheinende Zukunft wird aber unvermittelt rosig, als Aisha in sein Leben tritt. Sie ist die Zweitfrau eines reichen Arabers. Staudinger glaubt, sein „halbes Leben mit halben Freunden und halben Träumen“ endlich in eine andere Richtung bringen zu können. Geschickt versteht es der Autor, dem Leser die Figur Joseph Staudinger näher zu bringen. Staudinger wirft einen Blick auf die Gesellschaft, zeigt deren Abgründe und Absurditäten. Diese Wahrheit ist nicht immer leicht zu ertragen. Faszinierend sind die Momente, in denen Staudinger tiefe, philosophische Erkenntnisse preis gibt, nur um im nächsten Moment wieder kindlich naiv daher zu kommen. Erst am Ende verdichten sich all diese Fragmente zu einem unerwarteten Höhepunkt, der den Leser unvermittelt mit einem Schauer des Schreckens entlässt.

Yvonne Henninger, Freisinger Tagblatt/ Münchner Merkur

„Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe.“ Diese schmerzliche Erfahrung muss Joseph Staudinger sein Leben lang machen. Zuhause, in dem kleinen Bergdorf in den Berner Alpen, nimmt Joseph keiner ernst. Denn er ist einfältig, naiv, etwas zurückgeblieben, eben der Dorftrottel. Das macht Bernhard Ganter in seinem neuen Roman „Der Tunnel“ auf eindringliche Weise evident. Dabei überwindet der Leser zusehends die innere Distanz zu dem Sonderling, er kommt dessen Gefühlswelt, Ängsten und Hoffnungen nahe. Aus Mitleid wird Mitgefühl, echte Anteilnahme. Ein fesselnder Prozess, den Bernhard Ganter inszeniert. Der Autor beschreibt in schnörkelloser Sprache die brutalen Unterdrückungsmechanismen, denen Joseph schon als Kind ausgesetzt war. Wie er als pubertierender Bub linkisch die Nähe zum anderen Geschlecht suchte und von der Dorfgemeinschaft verstoßen wurde. Allmählich durchschaut der Leser, wer die tatsächlich Einfältigen sind. Eine großartige Lektüre, spannend wie ein Krimi und gleichzeitig ein feinfühliger Entwicklungsroman.
Sabina Dannoura, Süddeutsche Zeitung
LESEPROBE:

In den Bergen, hoch oben, von eisigen Winden, vom Schnee und gefrorenem Regenwasser zerfressenen, schroffen Felsen der Berner Alpen, soll Ruitli gelebt haben, ein Gnom, ein Erdgeist, oder doch nur ein Mensch? Ein Eremit war er, meinten andere, der in den von Bergkiefern und Lärchenwäldern und seinen von Latschen bedeckten Steinhängen, mit abschüssigen Felsschluchten, an steil herab fallenden Bächen vorbei, einst sein karges Leben gefristet haben soll. Schon seit alters soll ihn niemand zu Gesicht bekommen haben, den bartlosen Mann, mit blinden Augen und tauben Ohren, wie man sich erzählte, der nur in kurzen Reimen seine Weltanschauung kundtat. Gar mancher der schwyzerdeutschen Highlander Eidgenossen glaubten daran, dass Ruitli wirklich existiert hatte und als Geist weiter ihre Gebirgsluft atmete. Ein Mönch soll er gewesen sein, der Ruitli, der sich dem klerikalen Glauben der überwiegend protestantischen Bevölkerung rebellisch entgegensetzte. Ein Prediger, jenseits des christlichen Glaubens. Der Mensch sei vergänglich, lebenslänglich, war nur einer der Weisheiten die man ihm in den längst verwesten Mund legte, indem man den Spruch auf eine hölzerne, blank gehobelte Lärchentafel am Steig neben der Klamm anbrachte, wo zwei Waldarbeiter unter mysteriösen Umständen zu Tode kamen. Ruitli soll ihnen Einhalt geboten haben, den Wald abzuholzen. Viele Touristen haben seither den Berg in der Hoffnung erklommen, Ruitli nahe zu sein. Gespürt und gefühlt hätten sie ihn, den Ruitli, hatten sie berichtet. Wer den Berg erklimmt und von hoch oben auf das Berner Voralpenland hinab sieht, in dessen Seele würde er schlüpfen und ihn nie mehr loslassen, erzählte man sich.
Auch Joseph Staudinger glaubte an Ruitli, der ihm mehr bedeutete als Kirchenmänner, die ihm allesamt die Abkehr von seinen heidnischen Ansichten und Hirngespinsten nahe legten, weil er ein Sonderling sei, ein einfältiger Mensch, den es im Sinne der kirchentreuen Gescheitheit zu bekehren galt.
* * *
Als er sich in die Araberin verliebte, die seine ganze Weltanschauung über den Haufen warf, war Joseph Staudinger gerade fünfzig Jahre alt geworden.
Der Briefträger hatte ihm an diesem Morgen keine Glückwunschkarten gebracht. Nicht, dass er darüber sonderlich traurig gewesen wäre - er hatte auch in den Jahren davor nie Glückwunschkarten zu seinen Geburtstagen erhalten - aber er bekam an diesem Tag einen unansehnlichen grauen Brief, geschrieben auf Umweltschutzpapier. Auf dem Umschlag, gleich neben dem Poststempel, prangte die rote Schrift eines Werbeaufdrucks. Wir sind immer für Sie da, wenn sie uns brauchen. Ihre Schweizerische Bundesbahn AG, SBB.
Sein Arbeitgeber teilte ihm seine vorzeitige Pensionierung mit. Aus Rationalitätsgründen, hieß es.
Und genau das war es, was ihn so irritierte. Seit er denken konnte, hatte er seine ganze Arbeitskraft dem Tunnel gewidmet, für den er als Streckenposten die Verantwortung trug.
Dreißig Sommer lang. Dreißig Winter lang. Jeden Tag war er mit seinem langstieligen Hammer unaufgefordert den Gleisen im Tunnel gefolgt. In den Vormittagsstunden prüfte er die rechte Seite und nachmittags die linke Seite. Sein ganzer Lebensinhalt bestand darin, in kurzen Abständen mit dem Hammer gegen den Schienenstrang zu schlagen. Wenn alles in Ordnung war, gab es einen hellen, langen Ton. War etwas fehlerhaft, dann klang es dumpf und kurz. Es gab im Tunnel ein Nottelefon, von dem aus er dann die nächste Dienststelle benachrichtigen konnte. Die SBB hatte das nicht von ihm gefordert, dazu gab es andere Gerätschaften. Vielmehr sollte er den Tunnel von Unrat befreien, Steinlösungen am Fels oder im Winter Schneewehen melden. Die gab es Zuhauf, und allesamt hatte er die Unzulänglichkeiten der Natur auf seiner Seite, hatte sie allesamt Ruitli zu verdanken, wie er glaubte, der mit Felsstürzen, Muränen und Lawinen seinen Arbeitsplatz sicherte. Auf einmal sollte seine Arbeit nichts mehr wert sein? Sollte durch Elektronik ersetzt werden?
Er hatte sich in den vielen Jahren nicht an das eiserne Klirren der Hammerschläge gewöhnt. Er bekam diese metallenen Klänge nicht mehr aus dem Kopf. Einmal waren sie ganz nah und manchmal wieder unbegreiflich weit weg. Wie ein Echo, das sich in der Ferne verlor. Sogar nachts, wenn er träumte, hörte er es.
Joseph Staudinger hatte die Sonne nur selten gesehen. Er verbrachte seine Tage, einer Fledermaus gleich, in der Dunkelheit des Tunnels, in dem die Züge einfuhren und wieder hinausfuhren. Schnelle Züge, langsame Züge, moderne Züge, alte Züge. Die ganze Welt war für ihn ein Tunnel, ein großes, schwarzes, übelriechendes Maul, das ihn zu verschlingen drohte. Die Menschen in den Zügen rasten an ihm vorbei, ohne dass er je ihre Gesichter erkennen konnte. Die beleuchteten Waggons zuckten wie Lichtblitze durch den finsteren Schlund seiner Unterwelt.
Ihn kümmerte es nicht, woher die Reisenden kamen und wohin sie fuhren. Das ganze Leben, die Zeit, war für ihn ein vorbeirasender Zug, der es ihm nie ermöglichte, aufzuspringen. Das einzige, was die Menschen seiner Welt hinterließen, waren leere Cola-Dosen, Bierflaschen und andere Abfälle, die sie aus den Fenstern der Abteile warfen.
Manchmal machten sich die Lokomotivführer einen Spaß daraus, mit anhaltendem, schrillem Signalton durch den Tunnel zu fahren. Er hatte sich dann jedes Mal die schmerzenden Ohren zugehalten, war schreiend mit den Ratten und Mäusen um die Wette ins Freie gelaufen.
Die von den Dieselloks rußgeschwärzte Röhre hatte sein zerfurchtes Gesicht im Laufe der Jahre, der von Menschenhand entstellten, vor Dreck strotzenden, felsigen Grottenwand, gleich patiniert. Sein graublasser Teint ähnelte dem eines Leichenbestatters. Sein schmächtiger Oberkörper hatte sich in den Jahren der Rundung des Tunnelgewölbes angepasst. Der gebeugte Rücken ließ ihn klein und zwergenhaft erscheinen. Seine gekrümmte Wirbelsäule drückte den Kopf nicht nur weit nach vorne, sondern auch tief nach unten, was ihm ein vogelhaftes Aussehen verlieh.
An dem Tag, an dem er diesen hässlichen, grauen Brief erhalten hatte, traf er auf die Araberin. Schön war sie, schön und jung. In seiner Brust war es auf einmal still geworden. Er hörte nicht mehr das Tong Tong des schlagenden Hammers, nicht mehr das Rattern und Pfeifen der Züge.




Beiträge und Kommentare
Wichtiger Beitrag
dragondreams

Man weiß ja:

zu 99% schreibt man doch für sich selbst.Sonst kämen so schöne ehrliche Texte garnicht dabei heraus.
Auf dem Weg,
der einem wie ein Tunnel erscheinen mag, begegnet man sich fast immer selbst.
Und das ist gut so.
Herzliche Grüße Elfi:)

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jock.wolf

Der Text läuft wie ein Kinofilm vor dem geistigen Auge ab. Gefällt mir sehr gut!!!

Wichtiger Beitrag
betthupfer

Schon die Vorschau baut Spannung auf,
Scheint ein gutes Buch zu sein.
Gruß Harald

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