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Die Nacht vor Heiligabend

 

Es war an einem Tag vor Heiligabend. Meine Frau war bei Freundinnen eingeladen so dass ich mit meiner Tochter und meinem Sohn alleine war. Meine Tochter war damals gerade mal 5 Jahre alt.

Nach dem Abendessen verschwand mein Sohn in seinem Zimmer und ich dachte, meine Tochter auch in ihrem. Also machte ich es mir im Wohnzimmer mit einem Roman von Stephen King gemütlich, als meine Tochter auch schon herein getapst kam. ,,David ist blöd!",maulte sie und kletterte zu mir aufs Sofa.

,,Tja. Er ist dein großer Bruder. Das ist sein Job," antwortete ich. Sie sah mich mit fragenden Augen an. Vielleicht versteht man in dem Alter noch nicht viel von Ironie.

,,Was hat dein blöder Bruder denn jetzt schon wieder gemacht?",wollte ich wissen. ,,Er hat gesagt, es gibt kein Christkind", antwortete sie.

Meine Güte, dachte ich. Und das einen Tag vor Heiligabend. Vielleicht sollte der Junge einfach mal ab und zu seine Klappe halten.

,,Soll ich dir eine Geschichte erzählen?", schlug ich vor.,,Au ja", rief sie begeistert. ,,Steht die da drin?", wollte sie wissen und deutete auf meinen King Roman. ,,Äh...Ja", sagte ich, warum auch immer.

Sie kletterte vom Sofa und mit den Worten: ,,Ich mach uns Tee", hüpfte sie Richtung Küche.

Gut, dachte ich. Da kann ich mir inzwischen eine Geschichte überlegen. Ich konnte ihr ja schlecht aus dem King Roman vorlesen.

Dann schossen mir Gedanken durch den Kopf. 5 jährige... Tee... heiß... Verbrühungen? ich schoß regelrecht in die Küche, wo sie mir auch schon ihr Puppen Tee Service entgegen streckte. Leer.

,,Du meine Güte", keuchte ich. ,,Ich dachte du machst tatsächlich Tee." Sie schaute mich verdutzt an. ,,Aber Papa. Dafür bin ich doch noch viel zu klein.", bemerkte sie ganz richtig.

Wir gingen zurück ins Wohnzimmer und machten es uns auf dem Sofa gemütlich.

Ich schlug den King Roman auf und erzählte ihr die Geschichte, in dem ich so tat, als würde ich sie lesen.

,,Vor langer, langer Zeit machten sich einmal ein Mann und eine Frau auf einen langen Weg. und die Frau war schwanger. Schon in der ersten Nacht ihrer Wanderung stellte sich ihnen ein Problem in den Weg. Ein Wolf, der gefährlich knurrte. Da stand plötzlich ein Kind in einem weißen Gewand neben ihnen, ging zu dem Wolf und strich ihm über den Kopf. Der Wolf setzte sich und lies das Paar friedlich passieren. Als sie an dem Wolf vorbei gegangen waren, blickte der Mann zurück und wollte sich bei dem Kind bedanken, aber es war verschwunden.

Als sie noch lange gewandert waren, waren sie müde. Sie kamen an eine verlassenen Hütte, dort wollten sie übernachten. Aber sie hatten kein Wasser mehr um sich Tee zu kochen. Der Mann wollte mit seinem Becher aus dem nahe gelegenen zu gefrorenen Weiher Eis schaben, aber das Eis war so fest, dass er nicht den kleinsten Splitter in seinen Becher bekam. Da stand wieder das Kind im weißen Gewand neben ihm und befahl ihm seinen Becher in das Wasser zu tauchen. Der Mann erklärte, dass das nicht ging, weil der Weiher gefroren sei. Noch einmal befahl ihm das Kind den Becher ins Wasser zu tauchen. Der Mann gehorchte und da, wo der Becher das Eis berührte, verwandelte es sich zu Wasser. Der Mann wollte sich bei dem Kind bedanken, doch es war wieder verschwunden.

Mit dem Becher Wasser konnten sie sich Tee kochen und die Frau schlug vor, dass sie eine Weile in der Hütte bleiben sollten. Der Mann stimmte ihr zu. was machte es schon, wenn sie einen Tag später an ihr Ziel gelangen würden.

Da erschien wieder das Kind im weißen Gewand und es war ganz aufgeregt und befahl ihnen weiter zu gehen. Das Paar sah nicht ein, warum. ,,ihr müsst", rief das Kind schon fast verzweifelt. Der Mann wollte wissen, warum.

,,Weil... der Stern schon morgen am Himmel steht. Weil... ihr dann am Ort eurer Bestimmung sein müsst,"

Das Paar begriff immer noch nicht, warum das so wichtig sei und fragte nochmal nach dem Grund.

,,Weil", begann das Kind nochmal und war diesmal so fest und überzeugend in seiner Stimme, ,,heute die Nacht vor heilig Abend ist."

Maria und Josef hatten plötzlich so ein seltsames Gefühl in sich. Es war Friede und Freude und das Gefühl als sehne sich die ganze Menschheit danach.

Und so machten sich Maria und Josef noch in der Nacht vor heilig Abend auf den Weg nach Bethlehem."

Meine Tochter war so an mich gekuschelt und so still dass ich dachte, sie wäre eingeschlafen.

,,Lena?", sagte ich. Sie blickte zu mir hoch. ,,Das war eine wunderschöne Geschichte",meinte sie.

,,Und was meinst du, wer das Kind in dem weißen Gewand war?", fragte ich. ,,Das Christkind?",rief sie freudig. ,,Ganz genau", bestätigte ich. ,,Das Christkind hat Maria und Josef auf ihren Weg nach Bethlehem begleitet damit es Weihnachten wird. Und da es Weihnachten gibt, muss es ja auch das Christkind geben, oder?"

Mit einem Lächeln stimmte sie mir zu.

 

 

Impressum

Texte: Roland Schilling
Bildmaterialien: Roland Schilling
Cover: Roland Schilling
Tag der Veröffentlichung: 22.12.2020

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