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Phantasmen oder Trugbilder ?

 

 

 

 "Die Dichter luegen zu viel." (Platon)

 

Hans Blumenberg entwarf in Münster eine ganze Philosophie daraus, dass der Mensch seine Kunst und Kultur sich erschaffe, um dem unerträglichen „Absolutismus der Wirklichkeit“ zu entfliehen und zu trotzen, und sein Freund Odo Marquardt entwickelte in Gießen eine ganze „Kompensationsphilosophie“, welche die mentalen Folgeschäden der profitabel siegreichen Naturwissenschaften durch geisteswissenschaftliche Gegengewichte ausgleichen will. Nichts anderes leistet auch des gewöhnlichen Sterblichen Alltagsphantasie, die in Traumwelten ausschweift, wenn die Realität zu drückend eng oder bedrohlich wird.  Zuweilen sind Ficts und Fakes eben gewinnender als Fuckten - und Tatsachen nur vollendete Untaten. Manchmal ist ein erfundener grosser Boesewicht wie "Fantomas" schöner als ein kleiner realer Gauner.

 

Phantasie muss aber nicht nur bequemes Wunschdenken sein, sondern kann auch im Dienste der strengen Wissenschaft für gewagt originelle Hypothesen sorgen, die zuweilen die beobachteten Tatsachen besser ordnen und erklären als uebliche Interpretationsschablonen. Schon Kant hatte diese Funktion der Einbildungskraft betont, mit der wir uns Gegenstände vorstellen können, die gar nicht leibhaftig gegenwärtig sind. Im „Schematismus der transzendentalen Deduktion“, einem Kernstück seiner „Kritik der reinen Vernunft“ (1781), erhob er diese Phantasieleistung der Imagination sogar zum Herz jeder "intelligiblen Synthesis des sinnlich Mannigfaltigen“. Die Vernunft wird dann zum Zaubertrick, diese Einbildungskraft zur Urteilskraft zu zivilisieren und zu objektivieren.

Sartre schrieb mit "L´Imagination" ein brauchbares Freiheitswerk zwischen Kunst und Philosophie.

 

Phantasie bildet gleichsam den himmlischen Überschuss des überflüssigen Überflusses in uns. Der Mensch ist, viel mehr als ein „vernunftbegabtes Tier“, das einzig bekannte phantasierende Lebewesen. Es setzt Lügen und Fiktionen in die Welt, um der Wahrheit näher zu kommen, d.h. die Wirklichkeit zu distanzieren. Kurz : Der Mensch ist wesentlich viel eher ein Mystiker, der mit geschlossenen Augen eine Vision der Welt hat,  als der rationelle Roboter, den er vielleicht erfindet. Man braucht nämlich sehr viel emanzipierte Phantasie, um die Realität auch nur zu erfassen, geschweige denn zu verändern, statt nur die eingeschliffen gewohnte Konvention und Fable convenue zu gewahren, die wir gern und viel zu schnell Realität nennen.

 

Moderne Fan-"Fantasy" ist nur gerissene und zeitgeisthoerige Anpassungspoesie, die nirgendwo das erdrückend Bestehende transzendiert, so kreativ sie sich auch gebaerdet.

 

Wird der Konfektionsrealismus zu drückend, entweicht Luftikus Phantasie kurzerhand ins unbelangbare Abseits oder gar Jenseits, in zuträglichere Paralleluniversen, Wunschkinder aus der Liebesehe von Herz und Hirn, Hymen und Hoden. Wenn Weltknecht Verstand und Akrobat Phantasie sinnig kollaborieren, kann schöpferische Kunst entstehen, auch in seriöser Wissenschaft. Aber artistische Phantasie ist nicht willkürlich frei, sondern lässt sich treiben von unbewussten Antrieben und gebieterischen Launen wie "Neigungen". 

 

(Die mythisch phantasiereich ausgestaltete Gottesidee z. B. war die wissenschaftliche Urhypothese der Menschheit, eine konkurrenzfähige und unsterbliche Welterklärungstheorie bis auf den heutigen Tag.)

 

 

 

„In Fichtes Freiheitsphilosophie findet die deutsche Frühromantik das Recht, in schöpferischer Subjektivität Phantasie und Witz spielen zu lassen und den Widerstreit zwischen Endlichem und Unendlichem in Ironie, Paradoxien und Aphorismen zu spiegeln.“ (Otfried Höffe: „Kleine Geschichte der Philosophie“, München 2005, S. 236)

 

Nun also mit Phantasie

ueber Phantasmen und Phantome:

 

Einer helfe dem anderen, nicht nur gegen Mängel und Feinde,

sondern auch gegen Auswüchse der eigenen Phantasie.

 

Philosophie ist kluge Phantasie:

Nachwissenschaftlichkeit im Sonntagsstaat.

 

Man phantasiert gern die phantastischste Ordnung und Unordnung weg.

 

Phantasie erfindet die Vergangenheit,

Verstand erklärt die Zukunft.

 

Wissen ist Macht, sah Bacon, und pries den Aphorismus, der ohnmächtiges Selbstbewusstsein mit Allmachtsphantasien gekonnt vereint.

 

Die Phantasie träumt nie im Schlaf.

 

Realität ist so, dass sie zu Träumen zwingt,

doch Phantasie nicht so, dass sie zum Handeln treibt.

 

Gott hilft Angsthasen durch Verstecke

und Helden durch Phantasielosigkeit.

 

Bloße Phantasie ist der einzige Kerker, der größer ist als der Weltraum, doch schon die kleinste Fliege und der kleinste Fußtritt führt hinaus.

 

Wer kann der Realität noch entfliehen,

seit sie jede Phantasie übertrifft?

 

Phantasielosen dünkt Vernunft etwas Phantastisches.

 

Weltbilder sind oft zu unrealistisch,

weil sie nicht phantastisch genug sind.

 

Kunst ersetzt Erfolg durch Qualität,

Literatur den Film durch Phantasie.

 

Alle Macht den Rufern :

„Die Phantasie an die Macht!“ ?

 

Für Phantasie bin ich nicht Realist genug,

für Realismus habe ich nicht genug Phantasie.

 

Wessen Phantasie reicht aus,

sich in phantasielose Menschen hineinzuverset­zen?

 

Der Mensch hat wenigstens Phantasie genug,

sich phantasiebegabte Wesen auszudenken.

 

Beter lernt Not. Gott ist zu realistisch,

um nicht erfunden zu sein, und zu phantastisch,

um nicht zu existieren.

 

Mancher Eifersüchtige will nur

für seine blühende Phantasie bewundert wer­den.

 

Erinnerung ist vergessene Einbildung,

Phantasie ist vergessenes Gedächtnis.

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 22.04.2024

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