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Es war einmal ein Fischer, der hatte drei Söhne. Der erste konnte so gut rudern wie keiner im Dorf und war ein Meister im Aufstellen der Netze. Der zweite verstand sich auf das Angeln und das Pfeifen; er konnte so schön pfeifen, daß die Fische aus reinem Vergnügen an seine Angel bissen. Der dritte konnte gar nichts; aber er war sehr stark und sagte allen Menschen die Wahrheit. Da nun die Leute niemals gern hören, wenn jemand zu ihnen sagt: »Du hast eine rote Nase« oder »Du bist ein Klatschmaul« oder »Du hast das Pulver nicht erfunden«, so mochten sie ihn nicht leiden, und weil er immer so geradezu war, nannten sie ihn Dolpatsch.

Eines Tages half Dolpatsch dem Vater und den Brüdern fischen. Er hatte sich sehr in acht genommen, das Netz beim Auslegen nicht zu zerreißen, denn es kam ihm so fein wie Tüll vor in seinen Fingern. Doch es glückte ihm, und sie brachten das Netz endlich ans Land. Nun sollte es aus dem Wasser gezogen werden.

»Ich werde behutsam sein«, sagte Dolpatsch und zog nach seiner Meinung ganz sanft; allein es war schon gerade zuviel, und die Brüder, die am anderen Ende zogen, wurden durch den heftigen Ruck ins Wasser gerissen, daß sie das Netz fahrenließen und alle Fische davonschwammen. Der Vater schalt, und Dolpatsch sagte: »Ja, lieber Vater, es geht nicht, ich bin nicht zart genug für dies Geschäft.«

Es war aber etwas Schweres im Netze hängengeblieben, und der eine der Brüder brachte es mühsam herbeigeschleppt. Es war ein gewaltiges Schwert, ganz blank und ohne Rost, obgleich es im Wasser gelegen hatte. Als Dolpatsch es erblickte, funkelten seine Augen, er nahm es dem Bruder aus der Hand und schwang es durch die Luft, daß es in der Sonne wie ein Blitzstrahl aufflammte.

»Hurra!« rief Dolpatsch, »nun habe ich ein Schwert, nun ziehe ich hinaus in die Welt und erobere mir ein Königreich.«

»Dummer Junge«, sagte der Alte, »als wenn die Königreiche so auf der Straße umherlägen.«

Aber fort wollte Dolpatsch nun einmal.

Am anderen Morgen schnürte er sein Bündel, gürtete sich sein Schwert um, nahm Abschied von seinen Eltern und Geschwistern und zog fort in die Welt. Da sah er recht, wie groß sie war. Er zog bergauf, bergab, und immer, wenn er auf einem neuen Hügel angelangt war, lag es wieder weit und unermeßlich vor ihm. Am Wege saßen die Finken in den Bäumen und sangen: »Hurra! es geht in die weite, weite Welt!« Dann flog eine Goldammer vor ihm her von Baum zu Baum und zwirnte ihren einförmigen Gesang: »Wenn du zwei Flügel hättst, könntst du mitfliegn!« Die Raben aber, grob wie sie sind, saßen oben in den knorrigen Ästen und riefen dumpf: »Dolpatsch! Dolpatsch!« Der aber lachte nur über sie und ließ sie sitzen.

Eines Tages, da er schon durch viele Länder gereist war, kam er in einen großen, wilden Wald. Wenn's doch ein Abenteuer gäbe, dachte Dolpatsch, es wird schon langweilig. Ich möchte, es käme ein Drache oder ein paar Löwen oder sonst ein Ungeheuer, das man umbringen kann. Aber er wanderte den ganzen Tag, und nichts ließ sich sehen, nicht einmal ein Bär oder ein wildes Schwein.

Gegen Abend, als es schon ganz dunkel war, sah er zwischen den Felsen einen Feuerschein. Er ging darauf zu und gelangte an eine Höhle, in der ein großes Feuer brannte. Um das Feuer saßen vier Räuber, und auf dem Boden lag ein alter Mann, der an Händen und Füßen gebunden war.

»Es ist gut, daß wir den Alten nun endlich einmal haben«, sagte der eine Räuber; »morgen muß er mit und uns auf seiner Felsenburg seine Schätze zeigen, und wenn er nicht will, so machen wir ein Feuer und braten ihn ein bißchen, da wird er schon willig werden!« Die anderen Räuber lachten, allein Dolpatsch fuhr auf einmal dazwischen und rief: »Gleich gebt ihr den Alten frei, oder ich mache euch alle nieder!« Die Räuber sprangen auf und griffen nach ihren Schwertern, allein Dolpatsch fuhr unter sie wie ein Blitz, und in einem Augenblick waren sie alle vier erschlagen. »Nun komm, Alterchen«, sagte er und schnitt mit seinem Schwert die Bande durch, »die vier Hampelmänner tun dir nichts mehr.«

Der Alte dankte ihm und lud ihn ein, mit auf seine Burg zu kommen. Sie fanden in der Höhle eine Laterne; der Alte ging leuchtend voraus und Dolpatsch hinterher. Es ging einen steilen Pfad hinauf, und endlich kamen sie an eine Felswand, die in der Dunkelheit schwarz emporragte. Der Alte nahm seinen Stock und schlug dreimal gegen den Stein. Da ging ein leises Donnern durch den Berg, und eine Öffnung tat sich auf, aus der ein matter Lichtschein hervorkam. Sie gingen hinein, und der Berg schloß sich wieder mit demselben Donner. In dem langen Gange, den sie nun durchschritten, brannte kein Licht, und doch war es hell, denn von den Wänden strömte ein sanfter Schein aus. Dann gelangten sie in einen mächtigen runden Kuppelsaal, unter dessen Decke eine leuchtende Kugel hing. Sonst befand sich weiter nichts darin als ein Baum mit runder Krone, der genau in der Mitte unter der leuchtenden Kugel stand und von einem goldenen, zierlich geschnörkelten Geländer umgeben war. Als die Schritte der Ankommenden auf dem polierten Marmorfußboden des Saales vernehmlich wurden, ging ein Regen und Bewegen durch die Krone des Baumes, und nacheinander taten die Hunderte von apfelgroßen Knospen, die ihn bedeckten, ihre Blätter voneinander, und aus jeder schaute ein kleiner Menschenkopf hervor, der auf den geöffneten Kelchblättern wie auf einer Halskrause aufsaß. Da waren Neger-, Chinesen- und Indianerköpfe, kurz, von allen Sorten Menschen, die es auf der Erde gibt, und alle schauten sie verwundert auf Dolpatsch; alle die Hunderte von kleinen Gesichtern waren auf ihn gerichtet. Dann steckten sie die Köpfe untereinander zusammen und wisperten und kicherten; doch plötzlich sahen sie alle Dolpatsch wieder an, und durch den ganzen Baum ging im Chor ein feines, höhnisches Gelächter. Auf dieses Geräusch hin ward es oben an der Decke hinter einem die ganze Wand umlaufenden goldenen Gitter lebendig; grüne, blaue und rote, höchst seltsame Vögel schauten daraus hervor, und als sie Dolpatsch zu sehen bekamen, schlugen sie mit den Flügeln und kreischten und riefen mit feinen und groben Stimmen: »Dolpatsch! Dolpatsch!«, so daß es einen erbärmlichen Spektakel gab. Der Alte aber warf plötzlich sein ärmliches Gewand ab und stand nun da in einem weißen Seidentalar, mit goldenen Sternen übersät, darüber sein silberner Bart mächtig herabwallte. Er streckte seinen Stab aus, an dessen Spitze ein leuchtender Stein flammende Funken warf, und plötzlich ward alles still. Die Vögel zogen sich in ihre Käfige zurück, und die Blattkelche taten sich einer nach dem anderen zu, bis der Baum wieder grün und schweigsam dastand. Danach führte der Alte den Dolpatsch durch eine der vielen Türen des Saales in ein kleines Gemach, in dem ein mächtiges Himmelbett und ein mit Wein und Speisen besetzter Tisch stand. Hier ließ er ihn allein, und nachdem sich Dolpatsch an den köstlichen Speisen gesättigt und dem edlen Weine tüchtig zugesprochen hatte, legte er sich in das Himmelbett, dessen weiche Kissen wie Wellen über ihm zusammenschlugen, und versank in einen tiefen Schlaf.

Als er am späten Morgen erwachte, schien durch die Vorhänge seines Himmelbettes die Sonne und durchleuchtete die seltsamen Bilder und Figuren, die darin eingewebt waren. Dolpatsch streckte und dehnte sich behaglich, denn so gut war es ihm noch nie ergangen. Auf das Geräusch, das er dabei machte, regte sich etwas oben auf der Krone des Himmelbettes, und ein großer blauer Papagei kam emsig mit Schnabel und Füßen an der Gardine herabgeklettert, setzte sich auf das Fußende des Bettes, verneigte sich dreimal gravitätisch und sagte: »Wünsche untertänigst einen guten Morgen. Ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß sich mein Herr und Meister, der große Magier Furibundus, in ihrem astronomischen Kabinett befinden und bereit sind, den Herrn Dolpatsch zu empfangen.« Dies alles aber schnarrte er so seltsam hervor, als habe er ein Uhrwerk im Leibe. Dolpatsch sprang aus dem Bette und fand auf dem Stuhle nicht mehr seine alten Kleider, sondern köstliche prinzliche Gewänder, und als er diese angezogen und die blaue, silbergestickte Kappe mit der weißen Reiherfeder auf das wallende Goldhaar gedrückt hatte, da kannte er sich selbst nicht mehr, als er sich im Spiegel sah. Danach gürtete er sein Schwert um, das in einer neuen, goldenen Scheide steckte, und folgte dem Papagei, der vor ihm herflog, sich aber alle Augenblicke wendete und vor lauter Devotion in der Luft einen Purzelbaum machte. Als er in den großen Kuppelsaal kam, waren alle die kleinen Köpfe auf dem Baum schon wach, und wie auf Kommando wendeten sich ihm alle Augen entgegen. Aber als sie die mächtige Gestalt mit der breiten Brust und dem wallenden Goldhaar so herrlich gekleidet sahen, da lachten sie nicht wieder, sondern durch den ganzen Baum ging es einstimmig wie ein Murmeln der Bewunderung, und die kleinen Gesichtchen wendeten sich ihm nach, so lange sie ihn sehen konnten.

Der alte Magier saß in seinem astronomischen Zimmer zwischen seltsamen, glänzenden Instrumenten, und vor ihm auf einem Tisch von blankpoliertem schwarzem Stein lag eine goldene Tafel, die mit farbig leuchtenden Linien in sonderlich verwirrter Weise bedeckt war. Als Dolpatsch eintrat, nickte er ihm zu, bat ihn, sich ebenfalls an den Tisch zu setzen, und sagte: »Ich sah es gestern abend gleich, daß du im Besitze des Schwertes Verindur bist, und da dies Schwert nur Menschen zuerteilt wird, die zu großen Dingen bestimmt sind, so habe ich in der Nacht die Sterne befragt über deine ferneren Schicksale. Auf dieser goldenen Tafel siehst du verzeichnet, was ich erforschte. Aber dunkel und verworren blieb mir noch manches. Ich konnte wohl entziffern, daß es ein Erlösungswerk sei, zu dem du bestimmt bist, allein eine große Gefahr ist damit verknüpft, deren Natur zu erkennen über meine Kräfte geht. Die Königstochter, die dein zur Befreiung von bösem Zauber wartet, heißt Morgane, doch Land und Ort konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Was mir noch übrigbleibt, zu dieser Erkenntnis zu gelangen, das will ich tun. Zuerst will ich den Sonnenschein befragen, die Zeit ist günstig.«

Der Magier setzte einen goldenen, glänzenden Stuhl auf den Tisch und zog den Fenstervorhang zurück, so daß ein breiter Strom von Sonnenlicht eindrang und der Stuhl ganz in funkelndem Feuer stand. Sodann griff er mit den Händen in den flimmernden Schein und formte und bildete darin, sonderbare Worte dazu murmelnd, und dabei näherte er sich immer mehr dem Stuhle, dessen funkelnder Glanz stärker wurde und sich verdichtete, bis er allmählich Form und Gestalt annahm, und endlich saß dort ein feuerglänzendes, bewegliches Persönchen mit lachenden Augen und lodernden Haaren, das war der Sonnenschein in eigener Person. Der Magier schwang seinen Stab um ihn, so daß der flammende Edelstein einen feurigen Kreis beschrieb, und rief: »Gib Antwort mir, wo weilt Morgane, die Königstochter?«

Der Sonnenschein flammte ein wenig stärker auf und sprach mit klingender Stimme: »Ich kenne alle Königstöchter, die mein Strahl bescheint, so weit die Länder der Erde reichen. Ich sah sie am Springquell wandeln, wo die Nachtigallen schlagen; ich sah sie auf weißem Zelter mit dem Falken auf der Hand ausreiten zur Reiherbeize; ich kenne auch die Tochter des Kaisers von China mit den geschlitzten Augen und den verstümmelten Füßen, und die Töchter der Negerkönige in Afrika brennt mein Strahl noch schwärzer, als sie schon sind; die Prinzessin Morgane aber kenne ich nicht.«

»Ich danke dir«, sagte der Magier, »es ist genug.« Da ging ein Flimmern und Zittern durch den glänzenden Feuerkörper, er verblaßte und verschwamm, und dann war nur noch der funkelnde Widerschein des Sonnenlichtes auf dem Stuhle zu sehen.

»Heut abend müssen wir den Mondschein befragen«, sagte nun der Magier; »wenn der nichts weiß, steh ich am Ende meiner Kunst.«

Als der Abend gekommen war, setzte der Magier einen silbernen Stuhl auf den Tisch und ließ den Mondschein ein. Er streichelte und formte ihn und bildete ein silbernes Nebelmännchen aus ihm, das mit seinem runden, schimmernden Gesichtchen ruhig dasaß. Dann schlug er wieder seinen Zauberkreis und sprach: »Gib mir Antwort, wo weilt Morgane, die Königstochter?«

Der Mondschein sprach mit sanfter Stimme: »Manche Königstochter habe ich gesehen auf meiner nächtlichen Fahrt um die Welt, und manche hat mein Strahl geküßt, wenn sie zur Nacht schlummernd in seidenen Kissen lag, die Prinzessin Morgane aber sah ich nicht!«

»Ich danke dir«, sprach der Magier, »es ist genug.« Da verblaßte und verschwamm die helle Gestalt, und es war nur noch der Widerschein des Mondes, der auf dem silbernen Stuhle lag.

Der Magier entzündete nun die große, kupferne Lampe, die über dem Tische hing, und sprach: »Nun weiß ich keinen Ausweg mehr, den Ort zu erfahren, wo sich die Königstochter Morgane befindet.« Dann legte er sich zurück in seinen Stuhl und starrte nachdenklich in die Flamme der Lampe. Doch diese, als der Name Morgane ausgesprochen wurde, hüpfte auf und knisterte deutlich. Dann verdichtete sie sich, nahm Form und Gestalt an und saß wie ein kleines glänzendes Männlein auf ihrem Docht wie auf einem Stühlchen da.

»Warum willst du nicht das Lampenlicht befragen?« sprach es mit feinem Stimmchen.

»Nun, was weißt du zu sagen?« fragte der Magier.

Das Lampenlicht schimmerte hell auf und sprach: »Ich habe sie gesehen. – Du weißt, wir Flammen sterben nicht, und so irgendwo eine erlischt, glimmt sie gleich anderswo wieder auf. Ich saß mit einem Kreise von Genossen in einer großen Lampe, die leuchtete wie die Sonne, und da habe ich die Prinzessin gesehen. Sie wandelte in einem Garten, der herrlicher ist als irgendeiner, den Sonne und Mond je beschienen haben. Sie können ihn auch nicht bescheinen, denn der Garten liegt in. einer mächtigen Halle ohne Fenster, und seine Blumen sind aus Gold und Silber und Edelgestein.«

»Wo liegt diese Halle?« fragte der Magier. Das Lampenlicht sprach: »Morgane ist die Tochter des Königs von Barokko, und die Halle liegt im königlichen Schloß der Hauptstadt des Landes.«

»Ich danke dir«, sagte der Magier, »es ist genug.« Da dehnte und reckte sich das kleine Männchen und floß zu einer milden Flamme wieder auseinander.

Jetzt wissen wir genug«, sagte der Magier; »nun brauche ich nur mein Buch nachzuschlagen.« Er nahm einen riesigen Folianten von der Wand, blätterte darin und las dann: »Barokko, Königreich, am Ende der Welt, links um die Ecke. Zwanzig Millionen Einwohner. Hauptstadt: Zopfheim, dreihunderttausend Einwohner, am Schnörkelfluß gelegen. Regierender König: Bombastus XVI. – So, nun können wir ruhig zu Bette gehen«, sagte er dann, und so geschah es.

Am anderen Morgen verabschiedete sich der Magier von Dolpatsch, und als sie bei dem Baume vorbeikamen, nickten alle die kleinen Köpfchen und wünschten glückliche Reise. Als sie vor das Felsentor traten, stand dort ein milchweißer Schimmel, schön gesattelt und gezäumt, und stampfte mit den Hufen; den schenkte ihm der Magier zum Abschied. Dolpatsch sprang in den Sattel, schwang zum Gruß sein Schwert um das Haupt, daß es einen Flammenschein um sich warf, und sprengte davon in die weite Welt. Er ritt durch viele Länder und Königreiche, verrichtete mit seinem Schwert Verindur wunderbare Taten und tötete die Drachen und Einhörner, wohin er kam, so daß sein Ruhm groß ward. Zuletzt kam er in das Königreich Barokko und ritt geradeswegs auf die Hauptstadt zu.

Mit der Verzauberung der Prinzessin Morgane aber war es also zugegangen. In dem Lande Barokko lebte eine mächtige, aber böse Fee, die, da sie die einzige im Lande aus dem alten Geschlecht der Feen war, großen Stolz und Hochmut besaß. Deshalb war sie in mächtigen Zorn geraten, als sie zur Taufe der kleinen Prinzessin keine Einladung erhalten hatte, und am Nachmittage erschien sie plötzlich an der Wiege und verkündete, der Prinzessin würde großes Leid widerfahren, sobald sie ein Strahl der Sonne oder des Mondes vor Vollendung des sechzehnten Jahres treffen sollte. Sie würde davon in Siechtum verfallen und elend sterben. Darob gerieten der König und die Königin in große Angst, und sie ließen die kleine Morgane also ängstlich behüten, daß sie ihr sechzehntes Jahr glücklich erreichte, ohne auch nur einmal den Strahlen dieser beiden Himmelslichter ausgesetzt gewesen zu sein. Aber die Fee mußte auch wohl in dieser Zeit den Sinn der Prinzessin verwirrt haben, denn es stellte sich heraus, daß diese einen Haß und Abscheu gegen die wirkliche Welt in sich aufgenommen hatte und nicht zu bewegen war, von der jetzt erlangten Freiheit Gebrauch zu machen. Die Eltern schickten eine Gesandtschaft mit köstlichen Geschenken an die Fee und ließen sie um Rat und Hilfe bitten; allein die Gesandten kamen mit den Geschenken und dem Bescheide zurück, das Mittel, die Prinzessin zu erlösen, sei das einfachste der Welt; allein der junge Ritter, der sie befreien wolle, müsse es selbst finden, sonst sei es ohne Wirkung.

Die Prinzessin war bei alledem guten Mutes. In der riesengroßen Haupthalle des Schlosses waren alle Fenster vermauert worden, und Morgane, der die Eltern alles zu Willen taten, hatte dort einen prächtigen Garten anlegen lassen, der aber ganz und gar künstlich war. Die gelben Blumen waren aus Gold, die weißen aus Silber, Fischschuppen oder Perlmutter, die roten aus Rubinblättchen und die blauen aus Saphir. Die grünen Blätter waren aus kostbarem Leder oder steifem Seidenstoff gepreßt und die Stämme der Bäume vergoldet oder schön lackiert. Es waren künstliche Felsen dort und gläserne Bächlein mit goldenen Brückchen darüber und kleine Tempelchen mit Glöckchen daran und Einsiedeleien mit künstlichen Eremiten, und in den Zweigen sangen farbige, blitzende Vögel, die waren auch künstlich und hatten ein Uhrwerk im Leibe. An den Wänden der Halle rankten nachgemachte Weinstöcke hoch empor, an denen mächtige blaue und grüne Trauben hingen, und pflückte man eine Beere ab, so war es ein kleines Glasfläschchen, gefüllt mit köstlichem Syrakuser. Ja, alles war dort so sauber, appetitlich, lackiert und ausdividiert. Alle Steige waren mit Goldsand bestreut, und fortwährend liefen zehn königliche Abstäuber mit Pfauenfederbüschen umher und hielten die Reinlichkeit aufrecht. Für die Blumen waren wieder zehn andere angestellt, die den Titel Düftler führten und deren Obliegenheit es war, jede Blume mit ihrem zugehörigen Duft zu versehen. Sie standen unter dem königlichen Oberhofdüftler und rochen auf hundert Schritte nach Rosen, Veilchen und Narzissen.

Allmählich kam es wie eine Krankheit über den ganzen Hof, und der Abscheu vor allem Natürlichen ward immer größer, so daß es Hofdamen und Hofherren gab, die von dem Geruch einer wirklichen Rose in Ohnmacht fielen. Sie ahmten alles nach, was sie von Morgane sahen, und bald sah es wunderlich genug an dem Hofe des Königs Bombastus aus. Die Männer schnitten sich ihre natürlichen Haare ab und setzten sich riesige Perücken auf, und die Damen türmten einen gepuderten Lockenbau wie einen Bienenkorb groß auf ihr Haupt. Dazu trugen sie Reifröcke, daß sie aussahen wie Glocken mit zwei Klöppeln, und gingen auf Hackenschuhen wie auf Stelzen einher. So wandelten sie in dem Garten der Prinzessin Morgane beim Scheine einer künstlichen Sonne, die unter der Decke hing und von einem eigenen Hofastronomen dirigiert wurde, und rochen an den nachgemachten Blumen und lauschten auf die künstlichen Vögel und saßen in den bimmelnden Tempelchen und tranken Schokolade mit Eierschnee.

Als das Gerücht von der Verzauberung der Prinzessin Morgane in die Welt drang, fanden sich allmählich viele Prinzen und irrende Ritter ein, die die Erlösung der Prinzessin zu bewirken trachteten, denn der König hatte dem, der dies vermöchte, die Hand seiner Tochter und sein halbes Königreich versprochen. Sie alle wurden aber, sobald sie nach Zopfheim kamen, von der Luft des Hofes angesteckt, schnitten sich die Haare ab, setzten ellenlange Perücken auf und machten der Prinzessin Komplimente, so zierlich und künstlich, daß man sie gleich hätte unter Glas setzen mögen. Aber kaum hatten sie drei von diesen ausspintisierten, fein geschnitzten Redensarten fertig, so fühlten sie eine Steifigkeit in ihren Kinnladen und eine Erstarrung in ihren Gliedern, und plötzlich saßen sie da als lebensgroße Porzellanpagoden, und nur mit dem Kopfe konnten sie noch erklecklich wackeln.

In der großen Hauptallee des künstlichen Gartens waren zu beiden Seiten zwei lange Reihen solcher verzauberten Prinzen und Ritter aufgestellt, und jedesmal, wenn Morgane dort entlangging, stieß sie mit ihrem Fächer die Köpfe an, so daß sie alle hinter ihr herwackelten: »Ja, ja, ja, ja!«

Als Dolpatsch durch die Straßen der Stadt Zopfheim ritt, da rannten die Leute an die Fenster oder blieben auf der Straße stehen und sperrten vor Verwunderung Mund und Augen auf, denn solchen Helden hatten sie noch nicht gesehen. Er aber ritt geradeswegs in das königliche Schloß und begehrte den König zu sprechen. Als er diesem sein Anliegen vorgetragen hatte, führte ihn ein Diener in ein prächtiges Zimmer, und kaum war er dort, so traten unter vielen Bücklingen zwei geschniegelte Männlein ein, die ihm ihre Dienste anboten. Der eine war der Oberhoffriseur und der andere der Oberhofgarderobier. Als aber Dolpatsch merkte, was sie wollten, daß der eine ihm sein mächtiges Goldhaar abschneiden und ihm eine Puderperücke aufsetzen wollte und der andere ihm einen Galafrack, Kniehosen, Seidenstrümpfe und Schnallenschuhe nebst einem niedlichen Galanteriedegen anziehen wollte, da rief er mit so fürchterlicher Stimme: »Hinaus!«, daß die beiden vor Schreck anfangs ganz starr waren, dann in ihrer Angst gar nicht schnell genug aus der Tür kommen konnten und schließlich übereinander hinweg die Treppe hinabpurzelten.

Nach einer Weile erschien zitternd und blaß der Oberhofmeister mit zwanzig Kammerdienern und forderte Dolpatsch auf, zur Prinzessin zu kommen. Zugleich fragte er mit bebender Stimme, ob der Herr Ritter nicht die große Güte haben wolle, wenigstens die Sporen abzulegen, die Prinzessin sei so nervös, und man könne nicht wissen ...

»Muß ihr abgewöhnt werden!« sagte Dolpatsch. »Vorwärts!«

Der Oberhofmeister ging, einen großen, goldenen Stab in der Hand, mit schlotternden Knien voran, und die zwanzig zitternden Kammerdiener folgten. Als sie über den Hof kamen, hörte Dolpatsch ein erbärmliches Geheul, er trat hinzu und sah einen Mann, der gefesselt auf dem Gesicht lag und von den Henkersknechten die Bastonade erhielt, was eine sehr unangenehme Art von Prügeln mit einem Bambus auf die bloßen Fußsohlen ist. Dolpatsch sprach: »Haltet ein: warum schlagt ihr den Mann?«

»Er ist einer der Düftler im Garten der Prinzessin«, sagte der Oberhofmeister – »er hat ein schweres dienstliches Vergehen begangen und heute morgen Pfefferminzduft in die Rosen gegossen, wodurch sich die Erste Hofdame der Prinzessin eine Verrenkung der Riechnerven zugezogen hat.«

»Bindet ihn los!« sagte Dolpatsch und ging kopfschüttelnd weiter. Bald kamen sie in die geschlossene Vorhalle des Gartens, die großen Flügeltüren wurden von den zwanzig Kammerdienern aufgerissen, der Oberhofmeister trat vor und rief: »Herr Ritter Dolpatsch von Verindur!«, denn das einfache, bürgerliche Dolpatsch brachte er so allein nicht über die Zunge. In großem Halbkreis saß der Hof versammelt, in der Mitte die Prinzessin, dahinter auf erhöhten Sitzen die königlichen Eltern, und ringsum blitzte und flammte der künstliche Garten in seiner ganzen Pracht. Als Dolpatsch in die Tür trat, ging ein Fächern und Rauschen der Entrüstung durch den ganzen Kreis der Hofdamen, und wie aus einem Munde flüsterten sie: »Entsetzlich, er trägt seine eigenen Haare.«

Dolpatsch aber schritt unbekümmert sporenklirrend durch den Garten vor, verbeugte sich vor der Prinzessin und setzte sich ohne weiteres auf einen Stuhl, der für ihn bereitstand. Da er aber den ganzen Morgen durch die Wälder geritten war, so brachte er einen frischen Waldgeruch mit, der von ihm ausging und die erbleichende Hofgesellschaft veranlaßte, die Riechfläschchen an die Nasen zu führen. – Die Prinzessin bewahrte mit Mühe ihre Würde dieser ihr entsetzlichen Erscheinung gegenüber und schickte sich an, die drei Fragen zu tun, die ihr bei allen vorhergehenden Rittern gute Dienste geleistet hatten.

»Wo liegt der schönste Garten der Welt?« fragte sie. Darauf hatten nun die anderen etwa so geantwortet: »Wir befinden uns in demselben, verehrungswürdigste Prinzessin. Wenn es Eurem Knecht gestattet ist, allerdevotest seine untertänigste Meinung auszusprechen, so erachtet er diesen Garten sozusagen für ein Juwel, desgleichen in keinem Lande der Welt, selbst in dem Wunderlande India nicht, gefunden werden dürfte.«

Dolpatsch aber sah verächtlich in die Runde und sprach: »Komm hinaus mit mir in den Wald, Prinzessin, wo die mächtigen Bäume gen Himmel ragen und sich die Rehe friedlich unter ihren Zweigen äsen, wo die Waldbäche rauschend von den Bergen gesprungen kommen und auf den stillen Wiesen die wilden Blumen blühen. Dort ist der schönste Garten der Welt. Diesen hier vermag ich nur für Leder und buntes Glas zu erachten.«

Die Prinzessin erbleichte, die Hofdamen sagten: »Fi donc!«, und die Kavaliere murmelten verächtlich zwischen den Zähnen: »Plebejer!«, aber nicht zu laut, denn sie hatten einen heillosen Respekt vor Dolpatsch. Draußen aber rollte es mit dumpfen Donner, als ob ein Gewitter aufzöge.

Die Prinzessin tat die zweite Frage: »Wo leuchtet die herrlichste Sonne?«

Die anderen Ritter hatten dann mit verzückten Augen zu der künstlichen Sonne aufgesehen und hatten ihren milden Schein gepriesen und behauptet, sie finde ihresgleichen nicht. Dolpatsch aber sprach: »Es gibt nur eine Sonne. In dem Dinge dort vermag ich nur eine große Tranfunzel zu erkennen!«

Die Prinzessin wurde blaß wie der Tod; dreizehn Hofdamen und fünf Kavaliere fielen in Ohnmacht, während einige sofort an ihren Degen griffen und ihn ein wenig in der Scheide lüfteten – sie steckten ihn aber sehr schnell wieder ein. Draußen rollte ein gewaltiger Donner über die Halle hin, daß sie in ihren Grundfesten bebte.

Als sich die ganze Gesellschaft einigermaßen wieder erholt hatte, tat die Prinzessin die dritte Frage. Sie erhob sich und trat einen Schritt vor: »Wer ist die schönste Prinzessin der Welt?«

Ringsum ward es totenstill, und der Hofstaat hielt den Atem an selbst die glänzenden Vögel sangen nicht mehr, denn sie waren alle abgelaufen.

Dolpatsch antwortete: »Ich kam wohl weit durch die Welt, allein ich habe nicht alle Prinzessinnen gesehen und kann es nicht entscheiden. Was dich betrifft, so siehst du aus wie eine Vogelscheuche!« Hier fiel der ganze Hofstaat mit einem Ruck in Ohnmacht, und die Prinzessin sank entsetzt in ihren Stuhl zurück. Dolpatsch aber fuhr ruhig fort: »Du hast fremde tote Haare auf dem Kopf in Gestalt eines Bienenkorbes, und diese Haare sind grau wie die eines alten Weibes. Dein Gesicht ist angemalt und mit schwarzen Pflästerchen beklebt. Dein Leib ist eingeschnürt gleich dem einer Wespe; einen unförmlichen Hühnerkorb hast du unterwärts hängen, und deine Füße sind gekrümmt und unförmlich; du bist die häßlichste Prinzessin, die ich je gesehen habe.«

Auf einmal geschah ein furchtbarer Donnerschlag, daß die Grundfesten der Erde bebten und die Wände der Halle zusammenstürzten – das Dach aber ward durch eine gewaltige Windsbraut eilig davongetragen. Zugleich aber kam ein mächtiger Platzregen hernieder, der den ganzen künstlichen Garten hinwegwusch und fortspülte. Allmählich ward der Regen milder, und die Sonne malte einen schönen Regenbogen an den Himmel. Über den Boden des künstlichen Gartens aber lief ein grünlicher Schimmer, der sich mehr und mehr verstärkte, dazwischen leuchtete es blau, golden und rosig. Gras und Blumen sproßten empor, und in den Gründen schimmerte es blau von Veilchen. Quellen begannen zu rauschen, und blühende Büsche neigten sich über sie hin, in denen die Nachtigallen schmetternd jauchzten. Dann vertropfte langsam der Regen, und im Nu hatte die strahlende Sonne alles getrocknet.

Wo war aber die Prinzessin und der ganze Hofstaat geblieben? Ja, die waren gründlich abgewaschen worden. Sie hatten keine Hühnerkörbe und keine Bienenkörbe mehr, und die schöne Bemalung war auch dahin. Die Hofdamen trugen weiche, schmiegsame Gewänder, und die Haare, golden, rötlich und braun, wallten frei und schön herab. Die Herrlichste aber war Morgane, und man sah nun erst, daß sie die allerschönste Prinzessin der Welt war. Das merkte auch Dolpatsch; er schloß sie in seine Arme und gab ihr einen Kuß und verlobte sich mit ihr auf der Stelle. In diesem Augenblicke kam eine Schar wohlgekleideter Ritter und Prinzen herbei, eben die, die in Pagoden verwandelt gewesen waren. Sie kamen gerade zum Gratulieren recht. Hätte einer von ihnen gewußt, daß die Prinzessin nur erlöst werden konnte, wenn ihr jemand dreimal hintereinander die Wahrheit sagte, da hätte er selbst die Braut heimgeführt.

Nun, wie es weiter ward, das wißt ihr schon. Es gab eine prächtige Hochzeit, und als der alte König starb, da wurde Dolpatsch sein Nachfolger.

Da sein Vater schon gestorben war, so ließ er seine Brüder zu sich kommen und schenkte jedem ein Landgut, so daß sie nur noch zu ihrem Vergnügen Lachse und Forellen und andere vornehme Fische zu fangen brauchten.

Er bekam mit seiner Frau Morgane viele Kinder; die Söhne waren so stark wie ihr Vater und die Töchter so holdselig wie ihre Mutter, und weit und breit verkündete man den Ruhm des mächtigen Königs Dolpatsch des Ersten.


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Tag der Veröffentlichung: 25.06.2012

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